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60 Jahre Tageszeitung "Hürriyet"Ein Blatt für die Völkerverstimmung

Sie ist die beliebteste türkischsprachige Zeitung - auch bei uns. In enger "Freundschaft" mit dem "Bild"-Chef übt "Hürriyet" politischen Einfluss aus.

Das "Hürriyet"-Weltbild schmeckt auch Lesern in Deutschland, hier in einem Döner-Imbiss. Bild: dpa

Der Pranger war im Mittelalter ein Schandpfahl, an dem Verbrecher öffentlich zur Schau gestellt wurden. Das Volk konnte den Missetäter anglotzen, mit Lebensmitteln bewerfen und beschimpfen. Heute ist der Pranger vor allem medial. Niemand muss mehr auf eine Bühne gestellt werden, Zeitungsseiten reichen aus. Ein besonders allgegenwärtiger Pranger ist die türkische Tageszeitung Hürriyet, die am 1. Mai ihr 60-jähriges Bestehen feiert.

Hürriyet (zu Deutsch Freiheit) ist die beliebteste türkischsprachige Zeitung in der Türkei und in Deutschland. Auf der Titelseite wacht der Kopf des Staatsgründers Kemal Atatürk vor der roten heimischen Flagge über die Nation; darunter steht die Parole: "Die Türkei gehört den Türken". Die bekundete Vaterlandsliebe geht so weit, dass die Grenzen zum seriösen, sachlichen Journalismus schon mal verwischen. Wer oder was nicht gefällt, wird an den Hürriyet-Pranger gestellt und mit wuchtigen, straßenkämpferischen Worten bedacht. Dabei geht es immer um die türkischen Belange, welche die Zeitungsmacher als missachtet betrachten.

Eine Zurschaustellung, die schon einige Persönlichkeiten der deutschen Öffentlichkeit erleben konnten (siehe Kasten). Wer nicht in das Hürriyet-Weltbild passte, wurde mal als "Nestbeschmutzer", mal als "Verräter" bezeichnet. Dabei handelte es sich nie um einzelne Ausrutscher, die Schimpftiraden wurden häufiger wiederholt. Der aggressive Journalismus ging sogar so weit, dass die Bundesregierung einst als "Schwein, Schwein, Schwein" beschimpft wurde, nachdem sie Waffenlieferungen in die Türkei eingestellt hatte. Seit einem Wechsel in der Europaredaktion 2001, seit Strafanzeigen wegen Beleidigung und presserechtlicher Rügen ist der Ton etwas sanfter. Mittlerweile werden Kritiker oder auch die Bundesregierung nicht mehr ganz so hemmungslos an den öffentlichen Pranger gestellt.

Nur bei Roland Koch (CDU) griffen die Blattmacher noch mal tief in die emotionale Werkzeugkiste. Während des hessischen Wahlkampfs in diesem Jahr rief die Hürriyet ihre Leser dazu auf, Koch nicht zu wählen, weil die Unionskampagne "widerwärtig" sei. Ein Kolumnist glaubte sogar "einen Kreuzzug der Deutschen gegen die Türkei" zu erkennen. Damit auch wirklich jeder verstand, was man von Koch halte, wurde eine verächtliche Karikatur des hessischen Hardliners gedruckt, die ihn mit einer langen Nase und einem Knüppel in der Hand zeigte, dazu die Schlagzeile "Stoppt diesen Rassisten".

Neben dem direkten Angriff auf Einzelne werden auch brisante Ereignisse dazu genutzt, um gesellschaftlich Stimmung zu machen. Es sind die großen Katastrophen und die kleinen Demütigungen, welche die Autoren zu reißerischen Thesen motivieren. Die von Koch geforderten Erziehungscamps für kriminelle Jugendliche bezeichnete die Hürriyet als "Konzentrationslager". Nach einer Messerstecherei in Köln, bei dem ein junger Marokkaner getötet und die vermeintlichen deutschen Täter zunächst nicht inhaftiert wurden, beschwerte sich das Blatt: "Wer einen Deutschen schlägt, kommt ins Gefängnis. Wer einen Migranten tötet, kann zu Hause bleiben." Sätze, die das Gefühl vermitteln, man lebe im Feindesland. Das Blatt ist ein eigenes Universum, täglich neu geformt von einem ziemlich ungebremst dahinwalzenden Journalismus. Kritik an der Berichterstattung will Kerem Çaliskan, Chefredakteur der Europaausgabe, nicht gelten lassen. "Es gibt jetzt eine Hetzkampagne gegen die Hürriyet wegen Ludwigshafen", kritisiert er. "Wir finden das ungerecht". Es sei kein türkisches Problem, sondern ein deutsches. "Konservative Kreise akzeptieren die türkische Wirklichkeit in Deutschland nicht", sagt Çaliskan.

Nicht alle Deutschtürken teilen diese Meinung. Die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz etwa kritisiert die Berichterstattung als "oberflächlich und einseitig". Es gehe immer nur um die "Türkei, Türkei, Türkei, Türkentum, Türkischsein. Alle Themen, die nicht unmittelbar mit Migration im Zusammenhang stehen, sind bei denen eigentlich nicht unterzukriegen". Deswegen habe sie sich schon immer etwas von der türkischen Presse distanziert. Aber auch die Hürriyet suche nicht mehr ihre Nähe, nachdem Deligöz 2006 ihre türkischstämmigen Mitbürgerinnen aufgefordert hatte, das Kopftuch abzulegen.

Seit der Brandkatastrophe in Ludwigshafen, bei der am 3. Februar 2008 neun Menschen starben, ertönen die nationalen Fanfaren wieder. "Schlimmer als der Krieg", titelte die Hürriyet zwei Tage später und druckte ein Bild des Moments ab, in dem ein verzweifelter Vater seinen Sohn aus dem Fenster warf. Obwohl die Brandursache noch völlig unklar war, wurde sofort ein fremdenfeindlicher Anschlag vermutet. Es folgten Angst schürende Schlagzeilen. Immer härter, immer reißerischer. "Beim zweiten Mal haben sie es verbrannt", titelte das Massenblatt am 6. Februar, oder "Ein Mann hat es angezündet, fünf haben es gesehen" am 11. Februar. Ein Gastkolumnist war sich sicher, "die Deutschen assimilieren die Türken; wo sie das nicht können, verbrennen sie sie."

Wochenlang wurde wild spekuliert, wer denn nun in Ludwigshafen gezündelt habe. Zwar wurde die Katastrophe bisher nicht restlos aufgeklärt, aber für einen fremdenfeindlichen Anschlag spricht nichts. Dennoch ist das Misstrauen geblieben und scheint es in ganz Deutschland zu brennen - glaubt man der meinungsstarken Postille. Sie meldete in den vergangenen zwei Monaten über 20 Wohnungsbrände bei türkischen Bürgern. Und die Blattmacher dämmen die Angst ihrer Leser alles andere als ein. Im Gegenteil: "Im Briefkasten lagen Streichhölzer" bei Türken in Bielefeld, wie im März zu lesen war. Deutschland - ein Land der Biedermänner und Brandstifter. Es ist die Zeit der Halbwahrheiten in knalliger Sprache, Verschwörungsszenarien machen die Runde.

Wer dieses Universum Hürriyet verstehen will, muss den türkischen Journalismus verstehen. Denn dieser ist aufdringlicher und aggressiver als der deutsche. Während hier in den Nachrichten die Gesichter von Toten in der Regel nicht gezeigt werden, halten die türkischen Kameras voll drauf. Die Hauptnachrichten werden vom Boulevard bestimmt. Zeitungen verkaufen sich kaum über Abos, sondern müssen sich am Kiosk behaupten. Dafür eignen sich dramatische Schlagzeilen mit deftigen Bildern und poppigen Farben am besten. Die Hürriyet ist die türkische Bild-Zeitung.

Deswegen wundert es auch nicht, dass Bild-Chefredakteur Kai Diekmann im Beirat seiner türkischen Kollegen sitzt und beide Boulevardblätter schon mal zusammenarbeiten. "Biz dostuz!" - "Wir sind Freunde", verkündeten 2006 Diekmann und sein türkischer Kollege Ertugrul Özkök in einem zweisprachigen Kommentar und mahnten während des Karikaturenstreits zur "Völkerverständigung". In einem weiteren Kommentar nach dem Brand in Ludwigshafen riefen beide dazu auf, kein Misstrauen zu schüren. Jetzt zum 60. Geburtstag spricht Diekmann gar von einer "großen Liebe" zwischen sich und den Türken und der Zeitung. "Weil in Hürriyet so viel Innovationskraft und Kreativität steckt, dass es für eine Zeitung schon fast zu viel ist", lobt er die "journalistische Qualität".

Wegen dieser multikulturellen Freundschaft muss sich Diekmann keine Sorgen machen, an den Hürriyet-Pranger gestellt zu werden. Zwar gab es während des Hessen-Wahlkampfs kleine Meinungsverschiedenheiten. So hatte sich die Hürriyet über die in ihrer Wahrnehmung fremdenfeindlichen Kampagne der Bild beschwert, die nach dem U-Bahn-Attentat zweier Migranten in München die Titelseiten bestimmte. Aber wahre Freunde trennt eben nichts. Diekmann durfte sich in einem offenen Brief an die türkischen Leser wenden und beteuerte, nicht türkenfeindlich zu sein. Von jeher stehe seine Zeitung "für die Vertiefung der türkisch-deutschen Freundschaft".

Ein seltsames Verständnis von Freundschaft. Schließlich fragte Bild noch vor dem Bundestagswahlkampf 2005 ganz besorgt und gewohnt populistisch: "Werden Türken die Wahl entscheiden?"

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6 Kommentare

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  • J
    Joscha

    @Herr Schüler

     

    Da haben Sie sich wohl im politisch korrekten Ton vergriffen. Naja, vielleicht beim nächsten Mal. Wir brauchen moralisch überlegene Leute wie Sie! Immer schön mit dem Finger auf andere zeigen! Mehr ahnungs- und planlose Gutmenschen braucht das Land!

  • AY
    Ali Yildiz

    zum meinem Namen: ich bin türkischer Abstammung!

    HÜRRIYET ist kein deut besser als BILD. Einige bemerkenswerte Unterschiede gibt es jedoch: Diekmann hat BILD so übernommen und macht dort weiter, wo seine Vorgänger aufgehört haben und seine Nachfolger weitermachen werden. Für die verbrannte Erde muss er in Deutschland geradestehen (oder nicht). Anders ist es bei Caliskan. Dieser Egozentriker, der nicht den blassesten Schimmer hat, wie Deutcshland funktioniert, arbeitet auf seine nächste Position in der Türkei hin und das auf Kosten von mehreren Millionen Türken in Europa. Je mehr Brand um so höher sein Comeback in der Türkei. Da ER sich festgebissen hatte bei den Aussagen der Mädchen, hat er auch nach anderen Zeugenaussagen und den Berichten der Staatsanwaltschaft und der türkischen Kriminologen weiterhin auf diesen bereits dementierten Zeugenaussagen beharrt. Diekmann sortiert die gelieferten Berichte seiner Journalisten, Caliskan`s Journalisten schreiben nach seinen Vorgaben. Das ist der Unterschied. Wie ist es sonst zu verstehen, dass Zeugenaussagen und Pressekonferenzen so dimetral unterschiedlich zu Agenturberichten wiedergegeben werden? Hürriyet gibt nicht die Meinung der türkischen Community wieder, sie gibt die Meinung vor und das ist die große Gefahr. Die deutschen Meinungsmacher berufen sich auf Hürriyet, womit sich dieser unglücklicher Kreis schließt. Bei rund gut 30 Tsd. verkauften Exemplaren scheint die Gefahr nicht groß aber mit ZAMAN ist sie die auflagenstärkste Zeitung und durch die deutschen Blätter und den nunmehr reichlichen Preseauswertungen in den Ministerien, erfährt sie eine Multiplikatorwirkung. Ein Günter Wallraff in den Redaktionsräumen von Hürriyet würde jetzt erheblich viel Wind aus den Segeln von Caliskan und Kollegen nehmen. Und das sollte bald passieren, denn Hürriyet ist eindeutig integrationshemmend und das absichtlich. Bezüglich der Zusammenarbeit von BILD und HÜRRIYET gibt`s nur eins zu sagen: eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

  • G
    gustl

    Herr Schüler,

     

    warum müssen Sie und auch andere Migranten immer persönlich angreifen? Vielleicht macht diese Dame (oder Herr?) einfach nur ihren Job und gibt uns damit einen Zugang in eine andere Welt. Nichts oder niemand wird hier verharmlost. Die Boulevardpresse wird schlicht kritisiert. Na und?

  • F
    Fabian

    @Herr Schüler

     

    "was die Autorin mit diesem Artikel beabsichtigt ist mir nicht ganz klar."

     

    Ihrem Namen nach zu urteilen, dürfte die Autorin dieses sehr guten Artikels selbst Türkin sein. Dass sie auf einem "Rachefeldzug" ist, scheint mir von daher eher unwahrscheinlich.

     

    Was die Autorin mit diesem Artikel beabsichtigt, liegt eigentlich auf der Hand: Sie klärt auf über ein Blatt, dass in Deutschland hundert- wenn nicht millionenfach gelesen wird und somit erheblichen politischen Einfluss ausübt.

     

    Ein gutes Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken in Deutschland setzt u. a. voraus, dass bekannt ist, was die einen und die anderen politisch prägt. "Hürriyet" sieht man jeden Morgen am Kiosk neben Bild, taz, FAZ usw. liegen. Was drin steht wissen nur die türkischen Leser. Ein Artikel einer türkischsprachigen Journalistin, der deutschen Lesern einen Eindruck vom Inhalt dieser Zeitung gibt, ist daher sehr wichtig!

     

    Der Wahlspruch des Blattes "Die Türkei den Türken" sollte jedenfalls all denen zu denken geben (dazu gehört wohl auch Herr Schüler), die eine deutsche Zeitung mit dem Wahlspruch "Deutschland den Deutschen" mit (berechtigtem) Argwohn entgegentreten würden.

     

    Während man der Autorin des Artikels mit großem Respekt begegnen muss, weil sie sich mit ihrem Artikel sicherlich der Gefahr aussetzt, von Seiten der "Türkischen Community" bedrängt zu werden, finde ich den Beitrag von Herrn Schüler nur noch lächerlich. - Niemand bagatellisiert ausländerfeindliche Anschläge. Sie, Herr Schüler, bagatellisieren aber die Gefahr, die von Zeitungen wie "Hürriyet" oder "Bild" für das Zusammenleben von Türken und Deutschen in Deutschland bedeutet. - Dass Sie Leuten, die, wie die Autorin des Artikels, diese Gefahren offen ansprechen, gleich Böses unterstellen ("Rachefeldzug", "Bagatellisierung") zeigt Ihre ideologische Verblendung nur zu deutlich.

  • X
    xyxxx

    Ich hab sicherheitshalber die Namensfelder ausgelassen.

    Nun mein Beitrag zu ihrem;

    ich leb nun seit über 30 Jahren in Deutschland und stamme aus der Türkei.Noch vor 20 Jahren als Ausländer in der Hürriyet gern untergetaucht womöglich weil man Heimweh hatte anstatt sich zu integrieren sehe ich es Heute anders.

    Es ist nicht zu leugnen,was diese Zeitung mit ihren Mitarbeiter sich anmaßen.Nämlich in Namen aller Türken im Ausland zu sprechen.Dabei übersieht Hürriyet,das sie Rufmord begeht.

    Letzes ende wird es es so dargestellt als ob wir Ausländer hierhin verschleppt und zum zusammenleben gezwungen wären.

    Ich meine es ist das mindeste,das man lernt um mit einer neuen Umgebung umzugehen.Respekt,Ehrfurcht vor dieser Umgebung sollte man schon aufbringen.Ob dabei die Sprache oder Ausländerfeindlichkeit und andere alltags bedingte Barrieren zu überwinden oder unüberwindbar sind ist der Grenze jedem Individuums überlassen und nicht auf andere abwälzbar.

    Das tut Hürriyet in unseren Namen und das ist in Zweierlei Hinsicht beschämend;1.weil sie uns bevormundet,2.weil es derart primitiv ist.

    Es macht mich immer wieder traurig die Hürriyet oder andere türkische Zeitungen zu lesen.Noch trauriger stimmt es mich,das sie kein Ersatz als Medien haben.

    Gesellschaftlich ist die Türkei nur an Masse wahrnehmbar;viele Menschen,viele US-dollars,viele Militärputschs aber wenig Menschenverstand.

    Schon ein hysterisches Land.

  • HS
    Herr Schüler

    Das die Hürriyet die BildZeitung der Türkei ist, war uns schon bekannt. Nur, was die Autorin mit diesem Artikel beabsichtigt ist mir nicht ganz klar. Vielleicht Ihr auch nicht. Sie bagatellisiert die Anschläge auf die Migranten in Deutschland. Es mag sein, dass der letzte Hausbrand nicht rechtsextremer Herkunft ist. Was ist aber mit den dutzenden Toten von rechtsradikalen Übergriffen? Oder ist sie auch auf dem Rachefeld? Wieder eine Frau die sich rächen will, an einem Land welches 3000 km entfernt von uns ist.