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Gus Van Sants neuer Film "Paranoid Park"Die endlose Gegenwart

Gus Van Sant erkundet in seinem neuen Film "Paranoid Park" nicht zum ersten Mal das fragile Zwischenreich der Jugend. Leise umkreist er die Gleichzeitigkeit von Ohnmacht und Freiheit.

Junge Leute stehen auch im neuen Film von Gus van Sant im Mittelpunkt. Bild: peripher

Es ist eine hemmungslose Feier, eine fast götzenhafte Verehrung der Jugend, die Gus Van Sant mit seinen Filmen betreibt. Wenn er die Kamera auf seine halbwüchsigen Helden richtet, dann wirken sie seltsam entrückt und zugleich sexy, erhaben und doch ganz von dieser Welt. Man muss nur an den blonden Jungen im knallgelben T-Shirt aus dem Highschool-Massaker-Film "Elephant" denken. Wie ein Engel kommt er aus der Tiefe des Schulflures, im Gegenlicht und zu den Klängen von "Für Elise" auf den Zuschauer zu. Oder an den mexikanischen Straßenjungen in Van Sants Regiedebüt "Mala noche" (1985), der zum Objekt der Begierde eines Ladenbesitzers wird. Verstohlen mit den Blicken des älteren Mannes nimmt auch die Kamera den wilden Jüngling wahr, der doch unerreichbar bleiben wird.

Van Sant ist fasziniert vom Paradox der Adoleszenz, das er immer wieder umkreist und erkundet. Es geht um den Widerspruch, dass der Jugend die Welt gehört, aber sie noch nicht zu ihr - um das Zwischenreich unendlicher Spiel- und Experimentierräume, um das Nebeneinander von Ohnmacht und Freiheit. Da dieser Regisseur um die Verletzlichkeit weiß, die dieser Zustand mit sich bringt, haben die meisten seiner Bilder eine Doppelbödigkeit. Eine leise, unheilvolle Vorahnung liegt über den Szenen, jede Einstellung erzählt auch von der Fragilität und Vergänglichkeit des halbwüchsigen Daseins. Umso leidenschaftlicher zelebriert Van Sant diesen kurzen Zeitraum mit allen erdenklichen Mitteln, hält ihn als magischen (Kino-)Moment auf der Leinwand fest.

Wie aus einem Renaissance-Gemälde gefallen scheint der Held mit dem ebenmäßigen Antlitz und den braunen Augen aus Van Sants neuem Film "Paranoid Park". Alex wirkt in seinem coolen Skateboardoutfit merkwürdig verloren. Die schweren Sneaker und die übergroße Kapuzenjacke trägt er wie eine Ritterrüstung. Schutz bietet ihm auch die melancholische Musik von Nino Rota, die schon bei Federico Fellini die Irrealität und das Zirkushafte des Lebens betonte. Minutenlang folgt die Kamera Alex bei seinen Wegen durch die Schule oder durch eine Shopping-Mall. Die Zeitlupe dehnt diese Augenblicke zu etwas Kostbarem, gleichzeitig bekommt man es mit einem bewegten Stillstand zu tun, mit einer Bewegung um ihrer selbst Willen. Immer wieder streut Van Sant grobkörnige, dokumentarische Super-Acht-und Videoaufnahmen von Skateboardern in den Film ein. Die Unschärfe des Bildes lässt die Jungs mit ihren tiefhängenden Jeans ganz bei sich. Oder auch in einer endlosen Gegenwart.

Im Titel gebenden Paranoid Park können sie dieses Lebensgefühl zelebrieren und unter Beweis stellen. Unter einer Autobahnbrücke in Portland haben Jugendliche die illegale Skater-Anlage gebaut, mit besonders steilen Tubes und gewaltigen Graffiti. Es ist eine Trutzburg, ein raues Reich mit eigenen Gesetzen und Regeln, die Alex und sein Freund erst noch kennen lernen müssen.

Schon in "Elephant" war die Welt der Erwachsenen nur ein fernes Raunen und alles andere als Rückhalt. Vor Unterrichtsbeginn musste sich ein Schüler um die betrunkenen Eltern kümmern. In "Paranoid Park" ist der Vater auf dem Absprung in ein anderes Leben. Er ist ein Mann, dessen ständige Entschuldigungen bei Alex längst kein Gehör mehr finden und die den kleinen Bruder sogar zum Erbrechen bringen. Kein Wunder, dass die Kamera ihn völlig aus dem Fokus verliert, im Hintergrund verschwinden lässt und die überforderte Mutter immer nur als vom Bild angeschnittene Figur zeigt. Wohin soll Alex also gehen, um von dem Unfall nach einem Ausflug zum Paranoid Park zu erzählen? Es ist ein Unfall, den er selbst verursachte und bei dem ein Wachmann auf grauenvolle Weise starb. Um dieses Ereignis kreist der Film, um die Erschütterung, die Schuld, die die Tat bei Alex auslöst. Und um den Entschluss des Halbwüchsigen, all das mit sich allein auszumachen.

Bereits zu Beginn, wenn Alex und die anderen Skateboarder in der Schule verhört werden, weiß man um den Tod des Mannes. Doch den eigentlichen Vorfall sieht man erst viel später. Wie in "Elephant" arbeitet Van Sant auch in "Paranoid Park" mit Zeitsprüngen, Wiederholungen und Ellipsen. Doch diesmal ist die Aufhebung der Linearität nicht Ausdruck von Kontrollverlust und schicksalhafter Ohnmacht, vielmehr erleben wir die Entstehung einer Erzählung. Alex schreibt seine eigene Geschichte auf und eignet sie sich an. Er ist Ich-Erzähler und Kommentator, der das verdrängte Trauma langsam an sich herantreten lässt.

Immer wieder kreist Alex Erinnerung um den sterbenden Wachmann. Wie versteinert sehen wir ihn den schwer verletzten Mann anstarren, der ihm hilfesuchend die Hand entgegenstreckt. Die quälende Länge verleiht dieser Sterbeszene etwas Überhöhtes, sie erzählt von einer Gewalt, die stets präsent ist, auch wenn sie sich nicht immer zeigt.

Tatsächlich sollte man den fatalen Vorfall am Paranoid Park nicht nur buchstäblich lesen. Die Fotos des Leichnams, die ein Polizeibeamter in Alex Schulklasse zeigt, weisen über sich selbst hinaus. Etwa auf einen Krieg, dessen Bilder von den amerikanischen Medien weit gehend verdrängt werden. Alex beginnt sich mit seinen Freunden über den Irakkrieg auszutauschen und Zeitung zu lesen. Der Unfall führt zu einer anderen Wahrnehmung der Welt, die Van Sant auf sehr diskrete, fast beiläufige Weise behandelt.

So wird "Paranoid Park" zur Geschichte eines adoleszenten Erwachens, das in eine andere, womöglich bewusstere Form der Jugend führt. Der Film zeigt diesen Schritt in Szenen, die so schön wie schlicht sind. Etwa wenn Alex in einem befreienden Akt seine aufgeschriebenen Notizen zerreißt und sich mit dem Skateboard von seiner neuen Freundin auf dem Fahrrad ziehen lässt. Oder wenn Van Sant dokumentarische Aufnahmen eines Skaters einfügt, der sein Können in einer gigantischen Betonröhre demonstriert. Am anderen Ende schimmert Licht.

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