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Kolumne Älter werdenEin Loblied auf Väterchen Franz

F. J. Degenhardt, dem späteren DKP-Hofpoeten, verdanke ich meine linke Sozialisation. Heute rührt er mich zu Tränen.

privat

Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn im Jahre 1968

Auf dem XVIII. Parteitag der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im März dieses Jahres, zu dessen Besuch mich das ZK dieser Zeitung nötigte, erstand ich bei einem Händler für realsozialistische Devotionalien eine CD von Franz Josef Degenhardt - aus rein nostalgischen Gründen. Keine ganz neue, sondern eine aus dem Jahre 1987, die ich aber noch nicht kannte. Der "sehr geehrte Linksanwalt" produziert auch mit inzwischen 77 Jahren rastlos immer noch Texte für Menschen, "die nachts nicht schlafen können, wenn sie an früher denken, alle Allesfresser schnarchen hören und die fetten Köter in die Sümpfe jagen"; jedenfalls behauptete er das 1967.

"Da müssen wir durch!", so der Titel dieser CD aus einer Zeit, in der ich den "guten alten Degenhardt" der 60er-Jahre, diesen genauen Beobachter und klugen Chronisten der spießigen Nachkriegszeit mit ihrem "Muff von tausend Jahren", in der "Liebe kälter als der Tod" (Fassbinder) war, längst schon abgeschrieben hatte. Denn ausgerechnet im Revoltejahr 1968 war "Väterchen Franz" Haus- und Hofpoet der DKP geworden und las in der kapitalistischen BRD nun Messen für die (real)sozialistisch existierende DDR, diesen spießigsten, muffigsten und kleingeistigsten Obrigkeitshörigkeitsstaat auf Erden, diese Karikatur einer roten Republik, in der die Liebe noch bis zum erbärmlichen Ende kälter als der Tod war.

Großartig sei dort in der DDR zwar nichts, räumt Degenhardt ein. Doch das durfte es ja auch gar nicht sein, "denn wo was groß ist, ist es drum herum meist klein". Hatte der für uns damals alte Mann (37), dem ich doch die Anfänge meiner linken Sozialisation zu verdanken hatte, noch alle Tassen im Schrank? Nein. Denn "klein" war drüben doch sowieso schon alles: von Mielke bis Trabi, von Minigolf bis Tischtennis; die Spiele mit den größeren Bällen galten drüben als "kapitalistische Dekadenzsportarten". Haben Sie den kleinen dicken Walter (Ulbricht) in diesem berühmten Wochenschaufilm der DDR - der (Arbeiter-und-Bauern-)Führer privat - schon einmal an der Pingpongplatte herumhopsen sehen? Mit dem Hosenbund unter den Achseln? Genau so hatten wir freie Radikale uns den Sozialismus immer vorgestellt.

Alte Männer hocken 40 Jahre danach auf dem Parteitag der DKP im Bürgerhaus zu Mörfelden-Walldorf, das einmal "Klein-Moskau" genannt wurde, weil die DKP dort über Jahrzehnte hinweg im Stadtparlament vertreten war. Alles Veteranen, versteht sich. Nicht alles sei schlecht gewesen in der DDR, so der Tenor beim proletarischen Mittagstisch und auch in den Grußworten. Sogar "eigentlich nichts", wie ein Redakteur (123) der Parteizeitung UZ - für deren "Überlebenskampf" dann Geld gesammelt wurde - geradezu euphorisch anmerkte. Dabei wurden in der "Ostzone" doch noch nicht einmal Autobahnen gebaut, sondern auf denen vom "Addi" gefahren, bis der Beton zerbröselte. Möchte man so lernresistent alt werden? Nein! Bei allem Verständnis für die real existierenden Ängste vor dem Verlust von (politischer) Heimat: Davon hätte man sich längst emanzipieren müssen; jetzt stirbt man als Trottel - aber im Genossenkreis.

Und der gute alte Degenhardt? Hat sich wieder eingekriegt; noch vor der Wende. Am Abend nach dieser Visite in der offenen Psychiatrie (DKP) lege ich die CD ein. Viel Beziehungszeug ist darauf; Rheinromantik sogar. Doch dann rührt mich ein Lied fast zu Tränen. Es erzählt von der "einfachen Genossin" Natascha Speckenbach aus dem Glühlampenwerk Halle II, die Brustkrebs hat und der die Ärzte nur noch "anderthalb Jahr" geben. Dennoch organisiert sie Deutschkurse "und auch noch sonst allerlei für die Kolleginnen von hier und von da und Türkei". Und Degenhardt singt ein Loblied auf "Pastor Klaus", der einen angebrannten Ökoterroristen in seinem Pastorhaus versteckt und pflegt. Es geht um Courage in diesem Lied; die Droge für ein Altern in Würde. Und dazu eine sparsame Gitarrenbegleitung, die an den frühen Jacques Brel erinnert und unter die Haut geht. Heute zieht er mit seinem Sohn durch die Konzertsäle. Und er hat seinen Spaß dabei. Hoffentlich ist das jetzt keine Altersmilde bei mir. Oder bin ich gar ein "sentimentaler Hund" - ein früher Degenhardt - geworden?

Raus: Nix.

Rein: Jacques Brel (der wunderbare Sampler von Zweitausendeins). Prokop, die Gotenkriege (für ein vages Buchprojekt). Kunstdruck Paul Klee (zwei Dromedare und ein Esel).

Fragen zur Altersmilde? kolumne@taz.de Nächste Kolumne: wegen der EM am 12. 6.

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1 Kommentar

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  • VS
    Volker S.-G. (Köln)

    Tolle journalistische Leistung... Herr Klingelschmitt war entweder bekifft oder besoffen, oder sein Therapeut hat ihn den Stuss aufs Papier kritzeln lassen.