Strafrechtler über Skandalfirmen: "Es geht auch ohne Bestechung"
Bei Skandalfirmen wie Siemens und Telekom hat die interne Aufsicht versagt. Der Strafrechtler Wessing erklärt, wie Unternehmen dafür sorgen können, dass die Regeln eingehalten werden.
taz: Herr Wessing, bei den Skandalen von VW, Lidl, Siemens oder Telekom ist immer öfter das Wort "Compliance" zu hören. Worum geht es dabei?
Jürgen Wessing ist Universitätsdozent in Düsseldorf und als Anwalt Spezialist für Wirtschaftsdelikte.
Der Siemens-Schmiergeldprozess nähert sich mit der Vernehmung des ehemaligen Vorstands der Kommunikationssparte, Lothar Pauly, seinem Ende. Das Landgericht München hat Pauly für den 14. Juli als Zeugen geladen. Am 17. Juli soll dann noch der frühere oberste Korruptionsbekämpfer des Konzerns, Albrecht Schäfer, vernommen werden.
Danach könnte man "möglicherweise zum Ende kommen", sagte der Vorsitzende Richter Peter Noll am Wochenende vor einer dreiwöchigen Verhandlungspause. Sowohl Pauly als auch Schäfer waren von früheren Mitarbeitern beschuldigt worden, sie hätten die schwarzen Kassen gekannt.
Pauly hatte bis September 2005 die Siemens-Telekommunikationssparte geleitet, wo Ermittler den größten Teil der dubiosen Zahlungen fanden. Der Gesamtschaden durch die schwarzen Kassen wird auf 1,3 Milliarden Euro beziffert. AP
Jürgen Wessing: Compliance in Unternehmen heißt Zwang zur Gesetzesbefolgung - und ist nichts anderes als ein neues Etikett auf einer alten Flasche. Das ist etwa im Ordnungswidrigkeitengesetz schon lange festgeschrieben. Neu ist allerdings, dass das Missverhalten von Unternehmen stärker ins Visier der Staatsanwaltschaften rückt. Heute wird gefragt: Wie hätten wir es verhindern können?
Und die Unternehmen müssen immer mehr vorsorgen?
Ja, das Strafrecht wird immer mehr privatisiert. Deswegen braucht es in Unternehmen statt nachgelagerten Revisionsabteilungen zunehmend sogenannte Compliance Officers, die dem Chef im Zweifel vorher sagen: Das geht nicht.
Die Telekom hat schon seit 2003 solche Compliance Officers. Trotzdem hat sie Journalisten überwachen lassen.
Es funktioniert dann hervorragend, wenn beide, Aufpasser und Unternehmensführung, die gleichen Ideen haben. Bei einer Unternehmenskultur, die hart am Rande des Strafrechts agiert, ist Compliance maximal ein Feigenblatt. Ein Beispiel, wie es funktionieren sollte: Ein Unternehmen schickt einen neuen Niederlassungsleiter nach Ägypten. Der Vorstandsvorsitzende gibt ihm einen Brief mit, in dem um Einhaltung der Gesetze gebeten wird. Und schreibt noch einen Satz dazu: Wenn Sie Fragen dazu haben, hier ist meine persönliche Durchwahl. Damit war klar: Das ist keine Pro-forma-Aufforderung. Der Chef steht dahinter.
Aber gibt es nicht viele Staaten, in denen ohne Bakschisch kein Auftrag zu gewinnen ist? Bis Ende der 90er-Jahre war Bestechung im Ausland deshalb sogar steuerlich absetzbar.
Unser Gesetz sagt jetzt, dass es anders funktionieren muss. Man hat erkannt, dass Korruption kaputt macht, was unsere Gesellschaft ausmacht: den funktionierenden Markt. Und dieser gesetzliche Anspruch wird mehr und mehr umgesetzt von Staatsanwälten, die gleichzeitig wissen, dass die Unternehmen in einer absoluten Zwickmühle sind.
Ist in der Diskussion um Compliance auch das letzte Glied der Kette im Blick, die korrupten Staaten, deren Regierungen durch Schmiergelder gepäppelt werden?
Das sind Dinge für Organisationen wie Transparency International, weniger für das Strafrecht. Dabei ist es so, dass Außenstehende bereits bestehende korrupte Strukturen nicht wesentlich beeinflussen. Andererseits ist erstaunlich, wie leicht es auch ohne Bestechung geht. Bei meinem ersten großen Fall, in dem es um Herzklappen ging, habe ich den Vertrieblern der betroffenen Firma die Rechtslage erklärt. Ich wurde angeschaut wie jemand, der sie gerade prügelt. Aber ich habe gesagt: Keiner eurer Kunden, kein Arzt wird abspringen, weil er Weihnachten nicht mehr sein Kistchen Wein bekommt. Und es war auch so. Der Umsatz ist im übernächsten Jahr wieder gestiegen.
Aber Sie gestehen zu, dass es Regionen gibt, in denen ein Unternehmen schwer an Aufträge kommt, wenn es sauber agiert?
Da muss man darüber nachdenken, ob man nicht eigenständige, nationale Partner vor Ort hat, die die Geschäfte machen. Da ahnt das deutsche Unternehmen vielleicht, dass diese nationalen Partner mit bestimmten Praktiken arbeiten müssen, um die Waren und Dienstleistungen in ihrem Land weiter zu verkaufen. Aber strafrechtlich ist das nicht mehr hierzulande an ihnen festzumachen.
Ist es ethisch richtig, das Problem derart auszulagern?
Letztlich ist ein Unternehmen ein Wirtschaftsunternehmen und für sich selbst verantwortlich. Vielleicht wäre es ethisch zu sagen, ich mache mit Ländern wie Nigeria keine Geschäfte - aber ob das dann den Menschen dort nutzt, das wage ich zu bezweifeln. Das sind Fragen für die Philosophie.
INTERVIEW: MAX HÄGLER
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