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BildungDer lautstarke Vater

Der Landeselternausschuss kämpft für bessere Bildung. Private und politische Interessen vermischen sich. Der Vorsitzende André Schindler engagiert sich sehr für Gymnasien. Zu sehr, sagen Kritiker

Bessere Bildung für ihre Kinder - das wollen Eltern, die sich engagieren Bild: AP

"Ich weiß manchmal nicht, warum ich mir das antue", sagt André Schindler. Die wie eintätowierten Schatten unter den Augen bestätigen es. Sein Lächeln sagt das Gegenteil. Er sehe seine Aufgabe darin, nachzufragen. "Denn wenn die Opposition nichts taugt, dann taugt die Regierung auch nichts."

Der letzte Satz passt nicht, schon gar nicht hierher. Das klingt nach Parteisprech, nach politischer Auseinandersetzung. Doch der Mann ist Wirtschafts- und Bauingenieur - und ehrenamtlich Berlins oberster Elternvertreter. Er sitzt in einem kleinen Büro, am Ende eines langen Flures im Hause der Bildungsverwaltung. Eltern-, Schüler-, und Lehrervertreter dürfen ihn nutzen. Die Dame im Vorzimmer, die für alle Telefonate annimmt und Mails rausschickt, hat an diesem Vormittag frei.

Was also ist politisch an einem beratenden Gremium, mit einem Jahresetat von 400 Euro, das den Senat auf Elterninteressen hinweisen soll? Das sich über Unterrichtsausfall beschwert und die Erhaltung der musikbetonten Förderschulen fordert?

André Schindler will nicht einmal verraten, zu welcher Partei er sich hingezogen fühlt. Er kleidet sich gern schwarz und pflegt eine freundliche Distanziertheit. Seine Größe hilft ihm dabei; wenn er steht, kann er auf seine Gegenüber herabschauen.

Fragen, die ihm zu persönlich sind, blockt er ab: "Das spielt keine Rolle", antwortet er dann. Oder: "Das weiß ich nicht." Etwa wenn man wissen will, auf welche Schularten die Eltern im Landeselternausschuss (LEA) ihre Kinder schicken. Keine Ahnung, so etwas werde nicht abgefragt. "Der Landeselternausschuss ist überparteilich", betont er. Das stimmt. Und doch macht die Elternvertretung mit ihrem Vorsitzenden André Schindler seit Jahren Politik - Elternpolitik. Die einigen gefällt und anderen nicht.

Der LEA vertrete zu offensichtlich die Interessen der gymnasialen Elternschaft, lautet ein Vorwurf. Der Landeselternausschuss ist deshalb zerrissener denn je. Und gleichzeitig präsent wie nie zuvor. Beides hat er André Schindler zu verdanken. Seit sechs Jahren ist er Vorsitzender des Landeselternausschusses - so lange wie keiner seiner Vorgänger.

Elternvertreter sind in Berlin gesetzlich legitimiert. Im Paragrafen 114 des Schulgesetzes steht: "Auf der Ebene der für das Schulwesen zuständigen Senatsverwaltung werden ein Landeslehrerausschuss, ein Landesschülerausschuss und ein Landeselternausschuss gebildet." Diese Reihenfolge entspricht jedoch keineswegs der Präsenz der Gremien. Vom Landeslehrerausschuss und von Landesschülerausschuss hört und liest man so gut wie gar nichts. Der Landeselternausschuss hingegen ist jede Woche in den Medien: =b Unterrichtsausfall, Schulschließungen oder Matheprüfungen - der LEA kommentiert und bringt sich ins Gespräch.

Rasch reagierte der Elternvertretung auf die Wiederholung der Matheprüfung für den mittleren Schulabschluss. Als bekannt wurde, dass die Rechenaufgaben vorab kursierten, fordert der LEA umgehend personelle Konsequenzen. Er richtete auf seiner Homepage eine Anleitung zum gerichtsfesten Widerspruch ein, samt Adresse des zuständigen Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD). Manchmal braucht es auch keinen Anlass, um Zöllners Kopf zu fordern. Im Mai gab der Landeselternausschuss eine vierseitige Presseerklärung heraus: "Braucht Berlin einen Bildungssenator?" Die Antwort: nicht diesen. Die Medien griffen die Kritik an Zöllner auf und berichteten.

Der LEA zieht jedoch nicht allein gegen den Bildungssenator zu Felde, sondern gegen die gesamte rot-rote Berliner Bildungspolitik, gegen die Gemeinschaftsschule und die sechsjährige Grundschule. Vor drei Monaten machte der Wissenschaftler Rainer Lehmann die Einzelheiten der Schulvergleichsstudie "Element" öffentlich. Die sechsjährige Grundschule, eine Berliner Besonderheit, fördere leistungsstarke Kinder schlechter als grundständige Gymnasien, behauptete Lehmann. Wissenschaftskollegen distanzierten sich von diesem Fazit.

Nicht so der Landeselternausschuss. Er forderte mehr grundständige Gymnasien ab Klasse vier für die Kinder. 24 Mitglieder sitzen im Landeselternausschuss, zwei aus jedem Berliner Bezirk. Sie stimmen über den Inhalt der Pressemitteilungen ab, die von den vier Vorstandsmitgliedern verfasst werden. Verantwortlich für direkte Medienkontakte ist der Vorstandsvorsitzende: André Schindler.

"Der Landeselternrat ist eine Ersatzpartei für ihn." Das ist mehr als ein Seitenhieb auf Schindlers politische Ambitionen. Der wollte nämlich 2006 mit einer Elternpartei ins Abgeordnetenhaus einziehen. Die Kritik stammt von Remzi Uyguners. Es ist seine private Überzeugung bis heute. Uyguner, kurzem graue Haare und weißes Hemd, sitzt dabei sehr entspannt zurückgelehnt in einem Café in Schöneberg. Das Café ist ein Sozialprojekt, hier werden arbeitslose Jugendliche zu Kellnern und Köchen ausgebildet. Uyguner arbeitet nebenan im Stadtteilzentrum und wohnt in Kreuzberg, wo seine drei Töchter zur Schule gehen. Seit zwei Jahren ist er Vertreter des Bezirkes im Landeselternausschuss. "Weil ich soziale Belange stärker berücksichtigt sehen will."

Unter Schindlers Führung kümmere sich der Landeselternausschuss einseitig um die Interessen der Gymnasialeltern, meint Uyguner. Solche Sätze sagt er gern auch öffentlich. Nachdem der LEA seine Meinung zur Schulstudie "Element" über die Presseverteiler geschickt hatte, setzten sich die Elternvertreter aus Friedrichshain-Kreuzberg zusammen und formulierten unter Uyguners Federführung eine Antwort: "Ist der Vorsitzende des Landeselternausschusses überfordert?", fragten sie. Der LEA lege den Schwerpunkt einseitig auf die Förderung von ohnehin leistungsstarken Kindern und teile nur deren Sorgen. Das spiegle nicht den Konsens im Landeselternausschuss wider. Es war das erste Mal, dass Aussagen des Landeselternausschusses umgehend dementiert wurden - von den eigenen Mitgliedern.

In der nächsten Sitzung gab es deshalb eine Aussprache. "Vertritt der Landeselternausschuss nur die Interessen der Gymnasialfreunde?", lautet Punkt 3 der Tagesordnung. Die Mehrheit der Anwesenden war der Meinung, dass das Unsinn sei. Uyguner wurde gemahnt, seine Kritik intern zu äußern und nicht öffentlich zu machen.

Zu gymnasialzentriert? "Den Vorwurf muss ich mir nicht gefallen lassen", sagt André Schindler und wischt die Anwürfe mit den Händen beiseite. Auch dass er sich nicht um soziale Probleme kümmere, sei "abartig." Seine Tochter gehe schließlich im Wedding zur Schule.

Dort besucht sie eine Hochbegabtenklasse. Und seine zweite Tochter lernt an einem staatliches Ganztagsgymnasium. Aber das hat tatsächlich nichts zu sagen. Die meisten Mitglieder des Landeselternausschusses schicken ihre Kinder irgendwann auf Gymnasien. Eltern von Hauptschülern sind schwer für die Arbeit im LEA zu gewinnen.

Es sind Schindlers öffentliche Auftritte, die nahelegen, dass die Vorwürfe doch nicht ganz so abartig ist. Auf dem Vertretertag des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung war André Schindler Gastredner. "Die Botschaft war schon sehr klar: Gemeinsames Lernen ist des Teufels", berichtet eine Zuhörerin.

Im Juni diskutierte Schindler mit der Grünen Bundestagsfraktionsvorsitzenden Christa Saager, einem Vertreter des Senats und einer Gymnasiallehrerin über Schulmodelle der Zukunft. "Die Eltern sehen die Gemeinschaftsschule skeptisch", erklärte Schindler stellvertretend für die Berliner Eltern. Das ist zumindest durch Umfragen nicht gedeckt: Laut einer Studie der Senatsverwaltung lehnt nur eine Minderheit die Gemeinschaftsschule dezidiert ab.

Der LEA-Vorsitzende lässt öfter durchblicken, dass er dazugehört. Er gibt jenen Mittelschichtseltern eine Stimme, die befürchten, dass ihre begabten Kinder im Verbund mit leistungsschwächeren nicht genügend gefördert werden könnten. Er hat daher eine eigene AG Schulstruktur im LEA ins Leben gerufen: "Der Abbau sozialer Disparitäten darf nicht zu Lasten leistungsstärkerer Schülern gehen", heißt es unter anderem in der Begründung.

Ja, natürlich gebe es soziale Benachteiligung, meint Schindler ungeduldig. "Aber auch Hochbegabte werden benachteiligt." Das weiß er als Vater und als Mitglied der Schulinspektion. Deren Teams aus Lehrern, Eltern, Vertretern der Wirtschaft und der behördlichen Schulaufsicht ziehen durch Schulen und benoten deren Qualität. Er konfrontiere Lehrer gern mit der Frage, wo denn ihre hochbegabten Schüler seien, erzählt Schindler. "Und da weichen die Lehrer immer aus, Hochbegabte haben wir nicht." Dabei seien 2 Prozent der Kinder hochbegabt. "Ja bei den Lernbehinderten, da sind die Schulen immer sehr schnell", seufzt er.

Corinna Thiedes Tochter macht gerade ihren Abschluss an einer Förderschule. Thiede, eine rothaarige, resolute Frau, vertritt die AG Sonderschulen im Landeselternausschuss und den renitenten Bezirkselternausschuss Friedrichshain-Kreuzberg. "Ja natürlich sind wir gymnasialzentriert", sagt sie ohne Umschweife. "Es ist doch klar, dass die Eltern, die sich engagieren, vor allem bessere Bildung für ihre Kinder wollen."

Thiede sagt Sachen gern geradeheraus. Dafür werde ihr im LEA regelmäßig das Rederecht entzogen, berichtet sie eher stolz als frustriert. Mit André Schindler legt sie sich am liebsten an: "Er missbraucht den LEA für seine politischen Ziele."

Viele Eltern würden das Gremium nicht mehr ernst nehmen. Zum Beweis hat Thiede eine E-Mail mitgebracht, ein Kommentar auf einen taz-Artikel. "Dachs" schreibt: "Ich habe mir dieses Spiel zwei Jahre angeschaut und dann für mich entschieden, dass ich in meinem Bezirk viel mehr erreichen kann. Für mich und viele andere Elternvertreter waren diese Freitagabende im LEA nur Selbstdarstellungveranstaltungen des Vorsitzenden und anderer Herren."

Der Landeselternausschuss tagt einmal im Monat in den Abendstunden. Die Türen des Versammlungsraumes im Roten Rathaus sind dann verschlossen. Das steht so im Schulgesetz. Davon weichen die Mitglieder trotz Anfrage nicht ab. Die Behauptungen sind also nicht nachprüfbar.

Seinen Gegnern zum Trotz wurde André Schindler in diesem Jahr zum dritten Mal wiedergewählt. Mit von 11 von 20 Stimmen. Einen Gegenkandidaten gab es nicht.

Wie lange er noch Vorsitzender bleiben will? "Ich habe dem Gremium neulich damit gedroht, dass ich noch zwanzig Jahre bleibe", sagt Schindler. Er lächelt ironisch, doch es hört sich so an, als ob er es ernst meint.

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