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Repression in ÖsterreichTierschützer unter Terrorverdacht

In Österreich sitzen zehn Tierschützer in Haft. Der Staatsanwalt ermittelt gegen sie als Mitglieder einer Terrorvereinigung. Ein konkreter Tatverdacht fehlt.

10 österreichische Tierschützer wollten Hühner aus ihrer Käfighaltung rausholen. Jetzt sitzen sie selber hinter Gittern. Bild: dpa

Handys, Gummihandschuhe und Einwegspritzen: Das sind die gefährlichen Gegenstände, mit denen die Staatsanwaltschaft in Österreich die Verlängerung der Untersuchungshaft gegen eine Gruppe von Tierrechtsaktivisten rechtfertigt. Vergangene Woche wurde die Haft von zehn Verdächtigen verlängert.

Am 21. Mai waren Agenten der Sonderkommission "Pelztier" frühmorgens in 23 Haushalte in Wien, Niederösterreich und der Steiermark gewaltsam eingedrungen. Die schlaftrunkenen Bewohner wurden in einer Art und Weise festgenommen, als wären sie Verschwörer, die einen Nuklearschlag planten. Gegen sie wird nach dem Strafrechtsparagrafen 278a ermittelt, der zur Verfolgung terroristischer Vereinigungen geschaffen wurde.

Terroristische Vereinigung ist laut Gesetz eine Organisation von mindestens zehn Personen, die auf das Begehen strafbarer Taten gerichtet ist. Die neun Männer und eine Frau, auf die dieser Paragraf jetzt angewandt wird, gehören allerdings verschiedenen, teils rivalisierenden Organisationen an. Gegen keinen liegt ein konkreter Tatverdacht vor, seit die Staatsanwaltschaft Ende Juni einräumte, dass sich die Verdachtsmomente in den beiden zentralen Punkten nicht erhärtet hätten: Brandstiftung in einer Jagdhütte und ein Buttersäureattentat auf eine Textilfiliale in Graz. Übrig bleiben Vorwürfe wie Aufhängen eines Anti-Pelz-Plakats auf der Westautobahn und zweimaliges "Verteilen von Papierschnipseln in Geschäftsräumen pelzführender Geschäfte". Ein mageres Ergebnis, gingen den Festnahmen doch eine zweijährige Observierung samt massivem Lauschangriff, Abhören von Telefonen, Bespitzelung und der Einsatz von V-Männern voraus.

Die geringe Auskunftsfreudigkeit der Behörden steht in schroffem Gegensatz zur Brutalität des Vorgehens. "Am Mittwoch in der Früh schlugen schwarz maskierte Männer meine Wohnungstür ein, einer hielt mir im Bett die Pistole an den Kopf und zwang mich, nackt aufzustehen", schrieb Martin Balluch, der Vorsitzende des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) aus der Haft. Der VGT ist eine international vernetzte Lobbyorganisation, die aktionistisch gegen Tierversuche, Pelzindustrie und Massentierhaltung auftritt. In Österreich hat er erreicht, dass die großen Textilketten keine Pelzmäntel mehr führen. Auch für ein Verbot von Legebatterien setzt er sich ein.

Balluchs Computer und alle möglichen Gegenstände und Unterlagen wurden beschlagnahmt. Der Nichtraucher Balluch wurde mit starken Rauchern zusammengesperrt und auch sonst systematisch schikaniert. Mit einem Hungerstreik protestierte er gegen die Behandlung und seine Festnahme.

In anderen Fällen werden Verdächtige nach Wegfall der zentralen Anklagepunkte sofort auf freien Fuß gesetzt. Nicht so im Fall der Tierschützer. 278a ist ein Gummiparagraf, der, so der grüne Abgeordnete Peter Pilz, genauso gut auf Greenpeace oder andere Umwelt- oder Menschenrechtsorganisation angewandt werden könnte. Er verfolgt die "wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen".

Pilz hat die allem Anschein nach illegalen Überwachungsmaßnahmen und die Widersprüche in der Argumentation der Staatsanwaltschaft dokumentiert und veröffentlicht. Weder der Ende Juni abgelöste Innenminister Günther Platter noch seine Nachfolgerin Maria Fekter, beide ÖVP, haben sich zu dem Fall äußern wollen. Beim VGT mutmaßt man, dass die Aktion von der Textilkette Kleiderbauer "bestellt" wurde. Den Eigentümern wird ein enges Verhältnis zu Platter nachgesagt.

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4 Kommentare

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  • MS
    Markus Schaak

    Und das Schlimmste am Ende ist: Es wird sich keiner schämen für diese Aktion. Wer die Regierung in Österreich wiederwählt wählt Willkür mitten in Europa. Das hätte ich so nicht erwartet.

     

    Markus Schaak

  • RR
    Renate Rychlik

    Wo immer ein Tier in den Dienst des Menschen gezwungen wird, gehen die Leiden, die es erduldet, uns alle an.“ (A.Schweitzer)

     

    Diese schwere Aufgabe haben die derzeit inhaftierten Tierschützer übernommen, um die zahlreichen Verstöße gegen das geltende Tierschutzgesetz aufzudecken. Soviel Einblick hinter die Mauern der Tiernutzungsindustrie ist den politisch Verantwortlichen nicht recht, und

    so werden die mutigen Tierschützer kriminalisiert und weggesperrt, während die Tierquäler aus Profitgier weiterhin schwere Leiden verursachen dürfen.

    Die Tendenz, unbequeme Wahrheiten zu unterdrücken, indem man Menschen, die auf Missstände im Land aufmerksam machen, wie Verbrecher behandelt, ist Besorgnis erregend, und man kann nur hoffen, dass die Medien diese Ungerechtigkeiten nicht verschweigen, damit der Bürger erfährt, auf welcher Seite sich die Staatsanwaltschaft befindet.

  • MK
    Michael Koren

    Wieviel kostet denn diese kleine Privatarmee? Kann man die auch mieten?

  • TH
    Tobias Hagenbäumer

    Jeder sollte spätestens nach diesem stattlichen Versuch der Kriminalisierung und der repressiven Einschüchterung begriffen haben, dass es sich bei der Tierrechtesbewegung um eine Befreiungsbewegung handelt, gegen die vom Staat und den Verbrechern der Tierindustrie mit aller Härte vorgegangen wird, um die Erfolge zum Schutz von gesellschaftlich und kulturell benachteiligten Individuen, die mit Profiteinbußen der Machthaber einhergehen, zu verhindern.

    Jeder freiheitsstrebende Mensch sollte sich zu den Gefangenen und ihren Zielen solidarisch zeigen und anfangen, sein eigenes Handeln zu überdenken. Denn Tiere gebrauchen den Schutz und das Recht auf Unversehrtheit, das allen Individuen innewohnt.