KANN DAS BÖSE BESIEGT WERDEN? ZEITWEISE AUF JEDEN FALL – OB IM THEATER ODER BEI DEN PIRATEN: Umfeld gesäubert
JULIA SEELIGER
Ich glaube, dass sich die Welt noch einmal ändern wird und dann Gut über Böse siegt.“ So singen die Toten Hosen, und ich weiß nicht, ob sie das erst meinen oder zynisch. Wenn ich mir den Verlauf der Aufschrei-Debatte zu männlicher Dominanz und weiblicher Abwertung ansehe, bin ich zweifelnd, ob sich beim Geschlechterverhältnis die Welt noch einmal ändern wird.
Je länger das ging, desto mehr beleidigte Leberwürste meldeten sich zu Wort, die alle mal ihre Männlichkeit verteidigen.
Wenn Chefredakteure mittelgroßer Zeitungen anfangen, die Stern-Reporterin Laura Himmelreich, die den Aufschrei mit angestoßen hat, als Prostituierte zu bezeichnen, ist die Debatte endgültig über den Hai gesprungen. Ich nehme nicht an, dass dieser Chefredakteur der Meinung ist, dass Prostituierte weise Frauen sind, die sich mit den Körpern und den Seelen von Männern besonders gut auskennen, so wie es meine Einstellung ist.
So bin ich ganz froh, dass ich an meinem jetzigen Wohnort kein Internet habe und auch keinen Fernseher und mir das nun sichtbar gemachte Elend nicht weiter ansehen muss. Immerhin ist eine statistische Auswertung der Aufschrei-Tweets angegangen worden. Erste Erkenntnisse habe ich schon gesehen, letzte Woche, als ich im Berliner Hackerspace c-base ein Theaterstück ansah.
In der c-base gibt es nämlich nicht nur Klotüren, an denen sich Genderdebatten entzünden, sondern auch Menschen und eine Bühne. Und auf der haben Nerds and Friends das Stück „When Sysadmins Ruled the Earth“, basierend auf einer Geschichte von Nerd-Autor Cory Doctorow, aufgeführt. Nach terroristischen Angriffen sind die Nerds bei den Servern gefangen und müssen erst mal in den IRC-Kanal. Also in den Chat. Ich lachte! Alle anderen auch.
Es gibt also schöne Orte in meiner Welt. Diese Zeit, sie geht vorüber, sie fängt an und sie hört auf. Man muss nur „Früchte des Zorns“ hören und weiß, es ist richtig, sich schlecht zu fühlen, schuld sind Kapitalismus und Vorurteile.
Ein halbes Jahr nachdem bei mir alles ganz schlimm war, ist es nun also auch mal wieder schön. Mein Freiheitsgewinn ist bei 100 Prozent. Nachdem ich mich in den Vorjahren erfolgreich mit den Netzfeministinnen zerstritten hatte, habe ich mich nun mit allen Männern, die mich irgendwie mit ihrer Männlichkeit genervt haben, zerstritten, so dass mein Umfeld nun gesäubert ist.
Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe
Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei
Freitag Jürn Kruse Fernsehen
Montag Barbara Dribbusch Später
Dienstag Matthias Lohre Männer
Säuberung. Mein Kumpel Michael Seemann, mit dem ich wieder im Salon Schmück abhänge, so wie es sich für den Berliner Freiberufler gehört, erzählte mir, dass in der Piratenpartei mit dem Begriff der Säuberung operiert werde. Es gehe um die Nazis. Ich fragte nach beim Berliner Abgeordneten Oliver Höfinghoff und bekam die Auskunft: ja, man gehe nun nicht nur gegen die Nazis an, sondern auch gegen die Neoliberalen.
Vor fast zehn Jahren gab es mal den Slogan „Neoliberale raus aus den Grünen“. Das waren die Zeiten der Demos gegen Hartz IV. Ich wünsche den Piraten viel Erfolg bei ihrer Säuberung, glaube aber, dass man für einen Erfolg die Mitgliederzahl der Partei um etwa 29.000 dezimieren müsste.
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