Französisches Einwandererkino: Verausgabung in Echtzeit
Der Bauchnabel kreist, auf das Couscous muss man noch warten: "Couscous mit Fisch" von Abdellatif Kechiche zeigt Frankreichs Einwandererkino mit neuem Selbstverständnis.
Warum nicht einmal mit der Tür ins Haus fallen? Warum nicht mit einem Ausruf beginnen: "Couscous mit Fisch" ist ein wunderbarer Film! Weil es ihm gelingt, uns mit Diskussionen über die Vor- und Nachteile von Babywindeln und Pinkelpötten in den Bann zu schlagen. Weil er in aller Ausführlichkeit die rührenden Versuche eines Franzosen zeigt, das Wort "Liebe" auf Arabisch auszusprechen. Weil er sich mit dem Zuschauer an den Stammtisch älterer Männer aus dem Maghreb setzt, die in einer südfranzösischen Hafenstadt über ihr Schicksal und den schlechten Fischfang sinnieren. Und weil er die Suche nach einem verschwundenen Couscous-Topf zum nervenaufreibenden Krimi um alles oder nichts macht.
Man könnte noch viele solcher Beispiele bringen, denn der französische Regisseur Abdellatif Kechiche ist ein Meister der Inszenierung des Alltags. Es ist ein Alltag, der in etwas anderes, Großes übergeht. Man kann es einfach Kino nennen. Nicht immer muss das Kino bigger than life sein. Manchmal ist das Leben auf der Leinwand bigger than the movies. Was das heißt, führt Kechiche in seinem neuen Film vor.
Im Mittelpunkt von "Couscous mit Fisch" steht Slimane, ein sechzigjähriger Franko-Tunesier, der gerade seinen Job in einer Werft in Sète verloren hat. Sein stolzes, zerfurchtes Gesicht ist müde, es trägt die Spuren eines arbeitsreichen Lebens. Und Slimane will weiter arbeiten. Er möchte seiner Exfrau und seiner Lebensgefährtin mehr geben als die Meerbarben, die er von den Fischern geschenkt bekommt. Er will eine Zukunft. Und er will sich einen Traum erfüllen. Ein Couscous-Restaurant auf einem ausgedienten Frachter am Quai von Sète soll das Einkommen und den Zusammenhalt seiner Patchwork-Familie sichern.
Abdellatif Kechiche folgt Slimanes Schicksal, doch statt einer Chronologie der Ereignisse nachzugehen, nimmt er die Perspektive seiner Figuren ein, die ja auch nicht wissen, was der nächste Tag ihnen bringen mag. So passt sich der Film der Struktur eines Alltags an, der durch permanentes Dahingewurschtel bestimmt wird.
Letztlich besteht "Couscous mit Fisch" aus einer losen Folge von Szenen, die sich nicht unbedingt aufeinander beziehen. Warum auch immer alles ausdrücklich erzählen? Nur zu Beginn sieht man Slimane und seine Exfrau einmal zusammen im Bild. Er schweigt, sie keift, weil er schon wieder nicht die Alimente zahlen kann. Einige Einstellungen später sieht man ihn einsam in dem kargen Hotelzimmerchen sitzen, das er seit der Trennung gemeinsam mit einem Kanarienvogel bewohnt. Vor ihm steht ein Topf mit bestem Couscous, zubereitet von seiner Ehemaligen und gebracht von den gemeinsamen Söhnen. Man weiß nicht, wie lange die beiden schon getrennt sind. Man weiß auch nicht, was das Paar auseinandergebracht hat. Aber der Teller mit der mitgebrachten Speise verrät eine Verbundenheit.
Nur einmal mutet Kechiche seinem unermüdlichen Helden die Konfrontation mit Behörden und Banken zu. In langen Szenen, die gerade durch ihre Dauer die Herablassung hinter den unverbindlich freundlichen Verwaltergesichtern zum Vorschein bringen. Dass man den genauen Ausgang der Verhandlungen dann doch nicht erfährt, verstärkt das Gefühl der Ungewissheit, die Slimane plagt.
Die Kunst der Auslassung, kombiniert mit Szenen, die alles in Echtzeit erzählen - das sind die Stilmittel, mit denen Abdellatif Kechiche die Gegenwart seiner Figuren permanent neu konstituiert. Etwa bei einem der großartigsten Familienessen, die je im Kino zu sehen waren. Gleich mehrere Kameras positioniert Kechiche rund um die Tafel. Auch das Katzentischchen für die Kleinen wird mit einer Kamera bedacht. Man fragt sich, wer genau wohl die Väter und Mütter der Kinder sind, die über das Mahl der Großmutter herfallen. Stolz thront sie am Tischende und drückt ihre Zuneigung für die versammelten Familienmitglieder mit der gerechten Verteilung des Essens aus.
Immer wieder entdecken die Kameras neue Gesichter: Ist der schüchtern dreinblickende Junge etwa der Bruder der vorlauten jungen Frau, deren laute Stimme sich gegen das Stimmengewirr aus Arabisch, Französisch und Russisch durchsetzt? Wer ist die ständig über ihre neue Diät redende Schwarzhaarige, deren Gesicht durch einen Montagesprung plötzlich in den Vordergrund rückt? Und was eigentlich verbindet all diese Menschen, außer dass sie einer weit verzweigten Familie angehören? Ohne dass sie vorgestellt oder psychologisch eingeführt werden, kommt man vielen überraschend nahe.
Seit über zwanzig Jahren gibt es in Frankreich ein Einwanderer-Kino, das seine Geschichten vor der eigenen Haustür findet und sie in Augenhöhe mit ihren Protagonisten erzählt. Der in Tunesien geborene Regisseur Abdellatif Kechiche, der als Fünfjähriger mit seiner Familie nach Nizza emigrierte, steht in der Tradition dieses sogenannten cinéma beur. Mit "Voltaire hat Schuld" (2000), "LEsquive" (2003) und jetzt "Couscous mit Fisch", drei in Frankreich sehr erfolgreichen Filmen, verhalf er dem Migrantenkino zu einer neuen Erzählhaltung und einem neuen Selbstverständnis.
In den Anfängen des cinéma beur übernahm die graue und kalte Architektur der Pariser Vorstädte eine der Hauptrollen, als Sinnbild für soziale Leere, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Gewalt. In Filmen wie Mehdi Charefs "Tee im Harem des Archimedes" oder Rahab Ameur Zaimeche "Wesh,Wesh, quest-ce que se passe" lungerten beschäftigungslose Jugendlichen in den Hauseingängen, auf den Dächern und in den Kellern der Banlieue-Betonklötze herum, während ihre resignierten Eltern in übervölkerten Zweizimmerwohnungen versuchten, die Familie zusammenzuhalten. Die Leistung von Regisseuren wie Charef oder Zaimeches bestand darin, der Angst der Franzosen vor ihrer selbst geschaffenen Peripherie ein Gesicht zu geben und die Stigmatisierung und Marginalisierung ganzer Gesellschaftsschichten durch die Darstellung ihres Lebensalltags zu hinterfragen.
"Wir sind auch da" - das könnte als Motto über den frühen Filmen des cinéma beur stehen. Bei Kechiche hingegen müsste es heißen: "Wir sind einfach da." Es ist ein auf den ersten Blick kleiner, aber doch wesentlicher Unterschied in der Selbstdarstellung.
Auch Kechiche ging in die tristen Trabantenstädte und arbeitete wie seine Kollegen mit Laiendarstellern und Improvisationen. Doch beim ihm geraten die Codes, Jargons und Stereotype einer perspektivlosen Jugend in Bewegung. In "LEsquive" schaut er dabei zu, wie eine Gruppe Jugendlicher für das nächste Schulfest ein Stück von Marivaux probt. Die sogenannte Hochkultur trifft auf die Kunstsprache der Banlieue, die Liebeswirren der Jugendlichen spiegeln sich in den Liebeshändeln des 18. Jahrhunderts. Bei Kechiche erschaffen, erschreien und erlieben sich Krimo und Lydia, Frida und Nanou ihren eigenen Platz jenseits des Blickes, mit dem man sie gemeinhin wahrnimmt.
In "Couscous mit Fisch" ist der Blick von außen ganz verschwunden. Hier präsentiert sich eine Patchworkfamilie in einer Patchworkkultur. Hier wird nicht mehr in der soziokulturellen Peripherie gelebt, sondern in einem Zentrum, das sich immer dort befindet, wo man isst, lebt, arbeitet oder seine Arbeit verliert. In diesem Zentrum trägt Slimanes Stieftochter Jeans mit bauchfreiem Shirt, schlüpft zur Kreditverhandlung in ein Businesskostüm und betet wenig später mit der Stammtischrunde in der Kneipe. Am Ende wird sie einen Bauchtanz vorführen. Sie lenkt die Gäste, all die Kreditgeber, Hafenbeamten und städtischen Honoratioren ab, die bei der Einladung auf seinem Boot allzu lange auf den Couscous warten müssen. Sie tanzt und schwitzt, lässt Nabel und Hüfte kreisen. Sie verausgabt sich in Echtzeit. Sie ist einfach da.
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