Debatte Zentralasien: Verkeilt zwischen China und Russland

Allen voran Deutschland kam den Despoten in Zentralasien bislang entgegen. Doch jetzt brauchen sie auch die EU, um nicht zwischen Russland und China aufgerieben zu werden.

Zentralasien sitzt nach dem Kaukasuskrieg in der Falle. Im Norden und im Westen rückt ihm Russland zu Leibe, im Osten sitzt China, und im Süden brennt Afghanistan. Auch die Distanz zwischen Europa und den fünf zentralasiatischen Staaten hat zugenommen. Gleichzeitig benötigen die politischen Eliten Kasachstans, Kirgisiens, Tadschikistans, Turkmeniens und Usbekistans gerade jetzt die politische Rückendeckung der Europäischen Union, um die Perspektive der Eigenständigkeit gegenüber Russland und China nicht ganz zu verlieren.

Zentralasien ist heute mehr auf die EU angewiesen als je zuvor. Bislang lag es im Kalkül der EU, den Despoten in Zentralasien entgegenzukommen, um den Einfluss in der Region nicht ganz an China und Russland zu verlieren. Nun gilt es, umzudenken und die relative Abhängigkeit der Staaten zu nutzen, um ihnen Zugeständnisse in Sachen der Rechtsstaatlichkeit und Zusammenarbeit abzuringen. Europa muss endlich den europäischen Kriechgang vor den Despoten Zentralasiens beenden, den vor allem der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier virtuos beherrscht.

Der kaukasische Flaschenhals, der von Baku über Tiflis Zentralasien an Russland vorbei mit Europa verbindet, ist durch den Krieg blockiert. Die Blockade bedroht dabei weniger die bereits verlegten Pipelinestränge von Baku über Georgien ans Schwarze Meer und in die Türkei. Vielmehr wurde das Vorhaben, eine transkaspische Transportlinie daran anzuschließen, nun vorerst auf Eis gelegt. Die Pipeline hätte die Rohstoffe aus Zentralasien vom östlichen Ufer des Kaspischen Meers an Russland vorbei nach Europa geleitet und damit das russische Pipelinemonopol über Zentralasien zum Westen hin aufgebrochen. Allein das schiere Vorhandensein der transkaspischen Option war für Zentralasien der Hebel, um sich gegen Russland zu behaupten. Und nur unter dieser Voraussetzung ließ sich über bessere Gaspreise mit Gazprom verhandeln.

Diese Karte sticht nun nicht mehr, und im Norden der Seidenstraße wandelt sich Russland zum Hasardeur. Die Frage aus zentralasiatischer Sicht lautet daher: Als wie "nahes Ausland" sieht Russland die Staaten Zentralasiens an? Der Krieg in Georgien hat gezeigt, dass die Nato nicht und die EU schon gar nicht die Staaten östlich des Kaspischen Meers vor einer zu engen russischen Umarmung bewahren kann. Es ist unbestreitbar, dass der georgische Präsident mit kriminellem Leichtsinn das Kräftemessen mit Russland angezettelt und verloren hat. Aber das daraus resultierende russische Selbstbewusstsein bedroht alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion und vor allem die in Zentralasien.

Zusätzlich hat der Kreml letzte Woche ohne Not die sicherheitspolitischen Grundsätze der Schanghaikonferenz für Zusammenarbeit (SOZ) für die billige Posse der staatlichen Anerkennung zweier georgischen Provinzen vom Tisch gewischt. Vor allem China, die starke Macht im Osten Zentralasiens, wurde mit der russischen Anerkennung Abchasiens und Südossetiens desavouiert.

Anders als Europa aber verfügt China in Zentralasien über konkreten Einfluss. Denn das Reich der Mitte hat das russische Pipelinemonopol über die dortigen Bodenschätze bereits aufgebrochen. China könnte sich daher jetzt durchaus fragen, ob zu befürchten steht, dass Russland irgendwann mit Unterstützung durch die Uiguren diese Pipelinerouten nach Osten bedroht.

Den Staaten zwischen Kaspischem Meer und Tienschan-Gebirge selbst bleibt nichts anderes übrig, als sich mit China und Russland zu arrangieren. Das aber ist schon schwierig, wenn sich die beiden Großmächte in Frieden lassen; bekämpfen sie sich, ist diese Aufgabe kaum mehr zu meistern. Insofern benötigen die Staaten Zentralasiens die Europäische Union jetzt dringend als eine Art Rettungsleine in den Westen, um langfristig ihre Eigenständigkeit bewahren zu können.

Sie benötigen sie aber auch, weil im Süden Zentralasiens Afghanistan außer Kontrolle gerät. Wie korrupt und brutal die Machthaber in den Hauptstädten von Taschkent oder Aschgabat auch sein mögen, sie können es politisch nicht wollen, dass Afghanistan in Anarchie und Bürgerkrieg gerät. Aus diesem Grund haben sie im Gegensatz zu Russland ein eigenes Interesse am Fortbestand der Militärbasen der Natostaaten in Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan.

Auch aus deutscher Sicht gibt es natürlich ein Interesse, den Stützpunkt in der südusbekischen Stadt Termes zu behalten. Den Entzug des Isaf-Mandats in Masar-i-Scharif aber, der im Fall einer Räumung des Stützpunkts in Termes drohen würde, würde vor allem der usbekische Despot Islam Karimow an der Südgrenze des Landes sehr schnell und schmerzhaft zu spüren bekommen. Allzu frisch ist noch die Erinnerung, wie sich die Mudschaheddinarmee der Islamischen Bewegung Usbekistans unter der Patronage der Taliban in Kundus und Masar-i-Scharif eingerichtet hatte. Nicht die Russen, nicht die Chinesen haben die IMU und deren Basen an der Grenze zu Usbekistan zerstört, sondern Us-amerikanische Bomben.

In diesem Monat nun steht Zentralasien auf der Tagungsordnung der EU. Die Außenminister werden sich unter dem Vorsitz Frankreichs mit den Staaten Zentralasiens treffen. Und die EU wird auch über die gegenwärtigen Sanktionen gegen Usbekistan befinden. Die Strafmaßnahmen gegen das bevölkerungsreichste Land in Zentralasien verhängte Brüssel nach dem Massaker von Andischan im Oktober 2005, um die internationale Aufklärung der blutigen Niederschlagung des Volksaufstands zu erzwingen. Karimow in Usbekistan verweigert bisher eine solche Untersuchung und unterdrückt die eigene Zivilgesellschaft weiterhin unbarmherzig. Walter Steinmeier, getrieben vom Phantomschmerz der Ostpolitik, machte den brutalen Herrscher in Taschkent in der EU wieder hoffähig, ohne dafür eine Gegenleistung zu fordern.

Schrittweise wurden die in Brüssel beschlossenen Sanktionen aufgeweicht und dürften jetzt ganz fallen. Dabei geht die Drangsalierung der Bevölkerung in Usbekistan unvermindert weiter, ebenso wie Folterungen zum Alltag gehören. Dagegen verweisen die EU und vor allem die deutsche Außenpolitik auf usbekische Reformansätze wie die Abschaffung der Todesstrafe und den Beginn einer Strafrechtsreform. Eine seriöse Bestandsaufnahme aber zeigt, dass diese Änderungen bislang nur auf dem Papier existieren.

Europa macht sich unnötig schwach, wenn es gegenüber einem Despoten auf die Durchsetzung der Forderungen verzichtet. Die EU kann den Staaten Zentralasiens bei den Verhandlungen im September selbstbewusst die Hand reichen und ihnen aus der Zwickmühle heraushelfen, zwischen China oder Russland eingeklemmt zu sein. Sie muss dabei aber klarstellen, dass diese Hilfe nicht funktioniert, wenn die Despoten weiterhin die Zivilgesellschaft kujonieren.

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„Das liegt doch irgendwo in Russland“ oder „Samarkand?  Seidenstrasse?“ sind zwei häufige Antworten, wenn ich in Deutschland von meiner Arbeit in Zentralasien erzähle. Die Region zwischen dem Kaspischen Meer und chinesischer Grenze tut sich auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit schwer, einen Platz in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit zu erobern.Mich aber faszinieren Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan seit vielen Jahren, obwohl in den Redaktionen das ungeschriebene Gesetz gilt,dass Veröffentlichungschancen sinken, je mehr Stans in einem Satz vorkommen. Ich berichte aus dem Hinterland des Natokrieges in Afghanistan über Aufstände, Revolutionen,Wasserkriege und wie deutsche Politiker mit dem usbekischen DespotenIslam Karimow kungeln, um sich die Bundeswehrbasis in dessen düsteren Reich an der afghanischen Grenze zu sichern.Ich nehme die Ereignisse selbst in Augenschein und berichte in Zentralasien oft als einer der ersten, manchmal sogar als einziger, vom Ort des Geschehens. Sei es bei den zwei Machtumstürzen (2005 und 2010), und dem ethnischen Konflikt in Kirgistan (2010), dem Massaker in der usbekischen Provinzstadt Andischan (2005), den Ölarbeiterstreiks in der westkasachischen Steppenstadt Schanaozen und dessen blutigem Ende (2011), und den Gefechten in der tadschikischen Pamirprovinz Badachschan (2012). Ich, Jahrgang 1969, arbeite seit 1994 aus Zentralasien für Schweizer und deutsche Medien. Seit 2006 bin ich zudem dort als taz-Korrespondent tätig. Ich halte Vorträge zu Zentralasien und beteilige mich an Podiumsdiskussionen. Deutschland:+491795057442 Kirgistan:+996777565575

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