Aneinander vorbeireden in"Redbelt": Die Mametisierung der Welt
David Mamet ist der Großmeister der Missverständnisse. Im neuen Film "Redbelt" wird kunstvoll aneinander vorbeigeredet und Jiu-Jitsu als Erlösung praktiziert.
Mike Terry (Chiwetel Ejiofor) ist ein aufrechter, aber verschuldeter Mann, Betreiber eines Jiu-Jitsu-Studios, dessen Einnahmen zum Überleben nicht reichen. Eine Verkettung von Umständen, die nur unglücklich zu nennen ist, führt ihn ins Showbusiness und von dort in eine verzweifelte Lage. Alles beginnt mit einer Frau, die ganz aufgelöst in seinem Studio auftaucht. Und damit, dass diese Frau im Studio nach einer wie zufällig herumliegenden Waffe greift. Ein Schuss löst sich, eine Scheibe geht zu Bruch. Kein Mensch kommt zu Schaden, es sieht aus, als sei alles noch einmal gut gegangen. Dieser Schein trügt. Die vermeintlich harmlose Ausgangssituation wird durch infame Wendungen ins Tragische hinein rearrangiert.
Man sollte dazu nicht mehr sagen als: "Redbelt" ist die Geschichte eines Mannes, der seine Unschuld verliert. Und weil er sich wehrt, weil er den Verlust nicht ohne Weiteres hinnehmen will (und kann, da er ist, wer er ist), ist es auch eine Geschichte, die danach fragt, wie man eine einmal verlorene Unschuld wiedergewinnt. Oder, da die Unschuld im strengen Sinn nicht wiederzugewinnen ist, ob und wie man eine Schuld, die man auf sich genommen hat, wieder tilgen kann.
"Redbelt" verhandelt diese Fragen nicht philosophisch, sondern im Genre des Kampfsportfilms. Also metaphorisch. Bei ihm tritt der unschuldige Sport - Jiu-Jitsu - gegen den verkommenen an - nämlich die brutal regelbefreite Kampfsportversion Mixed Martial Arts. Regisseur und Drehbuchautor David Mamet erweist sich erneut als brillanter Aneigner von Stoffen, die zu einem so intellektuellen Autor auf den ersten Blick gar nicht passen. Zuletzt waren unter anderem der Gerichtsfilm ("The Winslow Boy"), die Film-im-Film-Komödie ("State and Main"), der Action-Film ("Spartan") und die Kriegsfilmfernsehserie ("The Unit") dran. Diese Mametisierung, die all diesen Genres widerfuhr, ist eine Unterwerfung, und zwar durch die Sprache im Dialog. Die mametisierende Rede ist das Trademark des Autors, der als Dramatiker hoch berühmt ist. Dabei handelt es sich um Dialoge, die nicht auf den Punkt kommen; die den Punkt und damit das gegenseitige Verstehen kunstvoll verfehlen. Mamet-Dialoge sind stockend, sie sind ein Aneinandervorbeisprechen, ein Unaufgelöstlassen, ein einziges Missverstehen, ohne dass die Sprechenden, das ist vielleicht das Schlimmste, je zu sagen wüssten, was ihnen da widerfährt. Mamet-Dialoge sind Instant-Tragödien, in denen sich, was durch gelingende Kommunikation rasch aus der Welt zu räumen wäre, zum Desaster aufschaukelt durch stockende Rede, durch ein Setzen des Worts aufs ganz falsche Gleis. Nach ungezählten Theaterstücken, Drehbüchern und Filmen balanciert der Mamet-Dialog freilich längst am Rand der unfreiwilligen Selbstparodie.
Die mametisierte Welt ist, etwas neutraler formuliert, eine Welt im Zustand bewusster Künstlichkeit - und damit stets schon im Stand verlorener Unschuld. Eben darum kommt es in ihr nicht auf Wahrscheinlichkeit oder realistische Figurenpsychologie an. Mamet liebt es, seine Figuren am Strick aufzuhängen, den er ihnen in der Sprache, die er ihnen gibt, dreht. Auch sind die Karten, die er ihnen als in den unerwarteten Twist verliebter Drehbuchautor zuspielt, immer gezinkt. Als Mamet-Figur hast du von Anfang an keine Chance. Schon darum ist die Verhandlung der Fragen von Schuld oder Unschuld in der Mamet-Welt eine komplizierte Sache.
Mike Terry, der Held von "Redbelt", zappelt wie je eine Mamet-Figur am Strick, den die Sprache dreht. Erlösung gewährt die Kampfsportmetapher. In Terrys Losung, die lautet, dass der wahre Kämpfer sich aus jeder noch so verzweifelten Lage befreien kann. Dass es für jede Kraft eine Gegenkraft gibt. Es ist das ein Glaube - auch und gerade ein Glaube an die Unschuld des ehrlichen Kampfes -, den Mamet in seinem Film Berge versetzen lässt. Man könnte auch sagen: Mamet zinkt in diesem Film die Karten so, dass am Ende gegen alle Wahrscheinlichkeit der Glaube an die Unschuld triumphiert. Bei Lichte besehen ist das natürlich ein Trick und ein Selbstwiderspruch. Im Dunkel des Kinos betrachtet aber ist es ein einziges großes, hoch raffiniertes Vergnügen.
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