Ökonom über EU-Wirtschaft: "In Krisen ist Sarkozy gut"
Die Regierungschefs der EU treffen sich in Brüssel, um den Weltfinanzgipfel vorzubereiten. Dabei geht es auch darum, was die EU tut, wenn ein Mitgliedstaat bankrottgeht.
taz: Herr Brady, hat die EU in der Finanzkrise ihre Handlungsfähigkeit bewiesen?
Hugo Brady: Die EU hat ihre Sache gut gemacht. Da sie keine Wirtschafts- oder Finanzregierung hat, war ihr Handlungsspielraum natürlich begrenzt. Die Länder, die unter dem Dach der Einheitswährung sind, waren besser geschützt als die anderen. Es gab keine festgelegten Strukturen, keinen vorgeschriebenen Plan, auf den man hätte zurückgreifen können. Doch die Führungsqualitäten von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Kombination mit den britischen Ideen für ein Rettungspaket haben zu einem guten Ergebnis geführt.
Die Krise war ja in ihrer Dimension nicht vorhersehbar. Auf der nationalen Ebene, wo feste Strukturen vorhanden sind, wurde auch herumexperimentiert und Maßnahmen wurden getestet. Vielleicht ist in einer solchen Situation das lockere europäische Gefüge sogar im Vorteil?
Es war "Learning by doing", das stimmt. Und die Verantwortlichen haben schnell gelernt. Für so eine Situation ist ein Politiker wie Sarkozy nicht schlecht geeignet. Er hat keine Vision, kein Ziel, aber er ertastet sich seinen Weg von einem Tag auf den anderen. Obwohl es in den USA alle Strukturen gibt - einen Wirtschaftsminister, ein einheitliches Steuersystem, eine Zentralregierung -, wurde dort die Krise nicht besser gemeistert als auf EU-Ebene, eher schlechter. Wenn man den Nationalstaat und die lockere Förderation vergleicht, schneidet der lockere Staatenverbund in dieser Lage besser ab.
Wir brauchen also gar keinen neuen EU-Vertrag? Wie die Verfassungsgegner ja sagen, funktioniert alles ganz wunderbar mit dem Vertrag von Nizza?
Der neue Lissabon-Vertrag hätte uns in der Finanzkrise keinen Schritt weitergebracht. Bei der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik beinhaltet er ja keine weitergehende Integration. Die Finanzkrise führt zu drei Fragen: Brauchen wir eine engere Koordination der Euroländer? Sollten die Staaten ohne Einheitswährung jetzt schnell den Euro bekommen? Und müsste nicht rasch eine europäische Finanzaufsicht geschaffen werden, die das Bankensystem, Kreditwesen usw. kontrolliert? Doch auch hier führt der Blick über den Atlantik zu der Erkenntnis, dass dort die Finanzaufsicht ja auch nichts genützt hat.
Das Krisenmanagement hat unter französischer Ratspräsidentschaft funktioniert. Die Krise hätte leicht ein paar Monate später auftreten können, unter tschechischer Ratspräsidentschaft. Dann wäre die Reaktion nicht so tatkräftig gewesen.
Sarkozy hätte auch unter tschechischer Präsidentschaft die Initiative ergriffen. Er hat ja auch zunächst die vier europäischen G-8-Länder zusammengerufen. In solchen Zeiten übernehmen die größten Volkswirtschaften die De-facto-Führung der EU, ob sie gerade dran sind oder nicht.
Brauchen wir, wie Sarkozy fordert, eine Wirtschaftsregierung?
Wenn man eine Wirtschaftsregierung schafft, schafft man einen Staat. Das heißt aber auch, dass man Steuern erheben muss. Doch schon bei den alten Griechen galt: Wer Steuern zahlt, muss mitreden dürfen. Doch wollen die Leute wirklich einen europäischen Staat? In der Geschichte der EU sind es immer Krisen gewesen, die Europa haben enger zusammenwachsen lassen. Diese Krise ist aber nicht groß genug. Sie hat in Großbritannien nicht einmal eine Debatte darüber angeregt, ob das Land der Eurozone beitreten sollte. Lieber nehmen die Leute hin, dass improvisiert wird, dass Ad-hoc-Gipfel einberufen werden, als dass neue Strukturen entstehen, die ihnen unheimlich sind.
Der Euro hat ja in der Krise hohe Attraktivität gewonnen. Sogar die Dänen denken darüber nach, der Eurozone beizutreten.
Die Tragik des Euro besteht darin, dass er im Augenblick seines größten Erfolgs massiv unter Druck gerät. Euroanleihen in Italien und Deutschland zum Beispiel sind extrem unterschiedlich bewertet. Es gibt Analysten, die ein Auseinanderbrechen der Eurozone voraussagen, weil sich die Volkswirtschaften so unterschiedlich entwickeln. Länder wie Italien haben das Problem, dass sie ihr Defizit und ihr fehlendes Wachstum nicht mehr durch eine Abwertung der Lira ausgleichen können. Deshalb nimmt in Italien die illegale Einwanderung zu, billige Arbeit soll die Defizite kompensieren. Das funktioniert nicht ewig.
Sarkozy hat einen EU-Fonds gefordert, der Industrien stützen soll, die durch die Krise in Existenznot geraten.
Darüber wird es eine große Debatte geben. Wenn eine Volkswirtschaft wie Bulgarien pleitegeht und massive Strukturhilfen von der EU benötigt, darf das Land dann seine Wirtschaftspolitik noch selbst bestimmen? Muss es nicht bereit sein, sein Sozialsystem, seine Steuerpolitik, seine Subventionen und staatlichen Investitionen unter die Lupe nehmen zu lassen? Im Augenblick kann jeder Staat selbst entscheiden, ob er das liberale Marktmodell oder eine soziale Marktwirtschaft bevorzugt. Zwischen den EU-Staaten gibt es nur eine denkbar lockere freiwillige Koordinierung.
Wird ein Nettozahler wie Deutschland bereit sein, den bulgarischen Haushalt zu subventionieren?
Die Finanzverhandlungen der EU über die Periode 2013 bis 2020 werden schwieriger sein als die gesamte Verfassungsdebatte. In Island können wir derzeit sehen, was passieren kann: Eingefrorene Konten, stockende Lohnauszahlungen, einige Luxusgüter können nicht mehr importiert werden. Wenn so etwas einem EU-Mitglied passiert, müssen die anderen ja irgendwie reagieren. Wir werden über eine Art Strukturfonds für sozial Schwache, für Opfer der Finanzkrise nachdenken müssen. Auch das Ergebnis der nächsten Europawahl wird eine Rolle spielen. Wenn massiv Jobs verloren gehen, werden die Wähler sich linken Parteien zuwenden, und das verändert die europäische Politik.
Wie sieht es denn auf internationaler Ebene aus? Was wird beim Weltwirtschaftsgipfel nächste Woche in Washington herauskommen?
Es reden ja immer alle von "Bretton Woods II". In Bretton Woods wurden feste Wechselkurse vereinbart, das will im Augenblick niemand. Ich denke, man wird versuchen, ein internationales Finanzkontrollgremium zu etablieren und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu stärken. Der IWF hatte ja zuletzt im Vergleich zu den 80er-Jahren fast keine Aufgaben mehr. Die Amerikaner haben bereits signalisiert, dass der Weltbankpräsident in Zukunft nicht immer ein Amerikaner sein muss. Die internationalen Finanzinstitutionen müssen der veränderten Lage angepasst werden und neue Aufgaben bekommen. Die Europäer müssen bei den Verhandlungen mit einer Stimme sprechen, dann haben sie gerade jetzt, nach der Wahl eines linksliberalen US-Präsidenten, eine große Chance sich durchzusetzen. Aber dazu müssten sie zunächst eine einheitliche Position formulieren. Und das ist Sarkozys Problem: Er ist zu sprunghaft, er hat kein Konzept. Er ist der Albtraum jedes Beamten, der daraus hinterher Vorlagen basteln muss. Der britische Premier Gordon Brown ist das glatte Gegenteil. In der aktuellen Lage sind die beiden kein schlechtes Gespann.
Heute findet in Brüssel ein weiterer EU-Gipfel zur Finanzkrise statt. Was wird dabei herauskommen?
Ich habe keine Ahnung, welchem Zweck dieses Treffen dienen soll. Niemand scheint das zu wissen. Aber wenn von dem französischen Krisengipfelmarathon ein starkes, eindeutiges Signal der Einheit ausgeht, ist das gut, um die Märkte zu beruhigen. Besser als die schwerfälligen Routinegipfel mit 15-seitigen Schlusserklärungen, die keiner liest.
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