Neuseeland vor Machtwechsel: Die "Rote Helen" in Bedrängnis
Laut Umfragen verliert Labour-Premierministerin Helen Clark bei den Wahlen am Samstag ihre Regierungsmehrheit. Größter Konkurrent ist der Konservative John Key.
ROTORUA taz "Arroganz", sagt Jake Chadwick, "ganz einfach Arroganz." Mit rotem Kopf bringt er im 39 Grad heißen Wasser der Thermalquellen der neuseeländischen Stadt Rotorua nach Luft schnappend auf den Punkt, weshalb er am 8. November erstmals nicht die Labourpartei wählen will. Die seit 1999 amtierende Labour-Premierministerin Helen Clark sei arrogant geworden. "Der Neue" dagegen trage zwar "Nadelstreifen, aber er ist eigentlich ganz locker".
Der "Neue" ist John Key, der 47-jährige Chef der konservativen Nationalpartei, und wird laut Umfragen am 8. November zu Neuseelands neuem Premier gewählt. Die 58-jährige Clark hat bereits drei Wahlen gewonnen. Die letzte 2005 allerdings nur knapp: Labour kam damals auf 50 Sitze, die Nationalpartei 48.
Seit Neuseeland 1996 das personalisierte Verhältniswahlrecht einführte, konnte keine Partei mehr ohne Unterstützung anderer regieren. Clark steht einer Minderheitskoalition mit der Progressiven Partei vor, die von der New Zealand First Party und von United Future NZ unterstützt wird. Die Grünen garantieren Unterstützung in Vertrauensfragen.
Diese fragile Allianz führte dazu, dass der oft fremdenfeindlich tönende Chef der rechtskonservativen New Zealand First, Winston Peters, Außenminister wurde. Der Posten für ihn war eine Art "Waffenstillstand" zwischen Clark und Peters, der sich bis dahin auch mit Attacken gegen Labour profiliert hatte. Peters trat im August nach Korruptionsvorwürfen zurück.
Trotz der Herausforderung, aus den acht Parteien im Parlament eine verlässliche Koalition zu finden, führte Clark eine relativ stabile Regierung. Sie wachte über eine Phase konstanten Wirtschaftswachstums. Die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig. Bevor das Land vor einigen Monaten in eine Rezession rutschte, meldeten seine Bewohner eine international überdurchschnittlich hohe Rate der Zufriedenheit.
Ein großes Problem jedoch sind die vergleichsweise niedrigen Durchschnittsgehälter und die schwache Kaufkraft. Tausende von "Kiwis", wie sich die Neuseeländer nennen, wandern jedes Jahr nach Australien aus. Unter Clark wurde Neuseeland eines der progressivsten Länder der Welt: Der Anteil der Frauen in Politik und Wirtschaft ist hoch.
Die frühere Politologiedozentin widersetzte sich Neuseelands Teilnahme am Irakkrieg trotz der historischen Verbindungen zu den USA. Der Kampf gegen den Klimawandel steht zuoberst auf ihrer Prioritätenliste, und ihr Sozialprogramm richtet sich nach dem fortschrittlichen, skandinavischen Modell.
Doch genau hier sehen Key und seine Partei eine Angriffsfläche. Die stark auf staatliche Unterstützung und Regulierung ausgerichtete Sozialpolitik der "Roten Helen" laufe "direkt gegen unsere Kernideologie", so der Exinvestmentbanker. "Wir glauben an weniger Staat, an mehr freie Wahl für den Einzelnen, und an Belohnung für persönlichen Einsatz."
Kritiker sehen dahinter ein böses Omen für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik unter der Nationalpartei. Key soll als hoch bezahlter Chef des globalen Devisenhandelsgeschäfts einer großen Bank hunderte Angestellte entlassen haben - "mit einem Lächeln im Gesicht", so seine Mitarbeiter.
Neunzig Prozent aller Firmenchefs sehen in ihm aber den besseren Premier. "Die Bemutterung durch den Sozialstaat hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen", klagt der einflussreiche Immobilienbaron John Sax, der eine Organisation zur Integration von Randständigen aufgebaut hat.
Benachteiligt sind weiterhin die Maoris. Dabei profitierten die Ureinwohner unter Clark von einer auf Versöhnung zielenden Politik. So gab Wellington im Juni einem Kollektiv von Ureinwohnern Waldgebiete im Wert von fast 270 Millionen Euro zurück, die sie in der britischen Kolonialzeit verloren hatten.
Laut Umfragen könnte die 2004 gegründete Maori-Partei Königsmacherin werden. Die Partei mit den meisten Stimmen wird wohl mit der Maori-Partei Koalitionsgespräche führen müssen.
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