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Kolumne GerüchteDie Angst vorm Fett- und Faltenmonster

Gute Nachricht für Frauen um 50: Man findet sich endlich ab mit seinem Aussehen.

taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Ich habe ihm ja immer einigen Platz eingeräumt. Um sich auszutoben und mich voll zu quatschen. Doch die Zeiten ändern sich. Bei der Vernissage von Claudia wurde mir das so richtig klar.

Um mal statistisch anzufangen: Fast 13 Millionen Frauen gibt es zwischen 40 und 60. Sie schauen morgens in den Spiegel, manche stellen sich sogar auf die Waage. Dort, in der Nähe von Spiegeln und Waagen, hält sich das Fett- und Faltenmonster, kurz FF genannt, besonders gerne auf. Dort blüht das FF auf wie Schimmel in der Biotonne. Die Morgensonne, die schräg ins Bad einfällt, liefert das richtige Licht für den Auftritt des Monsters.

Frauen, die nicht genügend Abwehrkräfte dagegen haben, hören dann schon am Morgen das Flüstern: „O Gott! Jetzt siehst du aus wie deine Großmutter! Es ist das Alter, ganz klar. Diese Mund-Nasen-Falte ist eindeutig tiefer geworden. Wenn du den Unterkiefer mal nicht nach oben reckst, hast du ein Doppelkinn wie Joschka Fischer. Unter den Augen, das sind keine Schlaffalten, die in ein, zwei Stunden wieder verschwunden sind. Das sind Altersrunzeln. Es geht abwärts.“

Schaut die Frau an sich herunter, geht das Geraune von FF weiter: „Diese Fettrolle um Bauch und Hüften geht nie mehr weg. Da hilft auch das Baucheinziehen nicht mehr. Wenn du Diät machst, nimmst du sowieso erst mal nur im Gesicht ab. Hässlich. Vielleicht solltest du dir Fett absaugen lassen? Aber das könnte Dellen geben. Find dich damit ab, die schönsten Zeiten sind nun mal vorbei.“

Nun könnten Frauen dem FF natürlich einen Schlag auf den Kopf geben. Dann könnten sie es in den Keller schleifen und in Beton einmauern. Sodass niemand das Monster mehr fände. Dann könnte frau sich dumm stellen, falls die Agentin für schlechte Stimmung an die Tür klopft und besorgt nachfragt, wie es dem Monster so geht. „FF? Schon lange nicht mehr gesehen! Fragen Sie doch mal bei der Nachbarin, vielleicht weiß die was.“ So könnte frau reden.

Tut sie aber nicht. Stattdessen tragen viele Frauen über 40 das FF sorgfältig mit sich herum. Sie nehmen es in Kaufhäuser mit, wo es in den Umkleidekabinen große, hell erleuchtete Spiegel gibt, sodass das Fett- und Faltenmonster auflebt. Sie nehmen es mit in Restaurants, wo es einen Ehrenplatz bekommt. Egal, wie saftig die Pizza mit Mozarella, wie lecker das Tiramisu schmeckt, das FF hat jetzt eine prima Gelegenheit, sein Wissen über Kalorien anzubringen.

Die Frauen schleppen dass FF sogar auf Partys mit, wo es dann seine messerscharfen Kommentare über die weiblichen Gäste von sich gibt. Nicht etwa: „Toll, dass die ihre Doktorarbeit doch noch geschafft hat“, sondern: „Ist ja auch ganz schön alt geworden, die Gute.“

Claudia sieht heute Abend fantastisch aus, so viel steht schon mal fest. Nicht, weil ich grundsätzlich finde, dass Falten ein Gesicht erst so richtig interessant machen. Sondern einfach, weil Claudia so strahlt. Diese blauen Augen waren mir früher gar nicht so aufgefallen.

Claudia hatte mehr Glück als K. K. - erst im Rückblick denke ich manchmal, ob das schon ein Vorzeichen gewesen war, als K. mir damals den Roman „Chéri“ von Colette empfohlen hatte, mit dieser „tollen Stelle“. Da, wo die schöne ältere Geliebte mit den langen roten Haaren ihr Haar abschneidet und grau lässt und so einfach heraustritt aus ihrer alten Rolle wie aus einem Zimmer, dessen Einrichtung einem nicht mehr gefällt. K. hatte dann auch streichholzkurzes Haar. Zum Schluss. Die Zeit reichte nicht mehr, das Haar wieder wachsen zu lassen. Auch T. hatte kein Glück. Schließlich hörte ich auch von H. Kaum älter als ich. So ab 50 gehört man zur Risikogruppe.

Claudia aber lebt. Sie hat schwarzweiße Fotoporträts gemacht von Menschen an ihren Lieblingsorten, deswegen die Vernissage. Das Bild mit ihrer Freundin im Winter auf dem Eis gefällt mir am besten. Dass Claudia so fröhlich ist, liegt wohl nicht nur an ihrer neuen Lebensgefährtin und weil heute Abend alle applaudieren. Vor zwei Jahren, da hatte sie keine Beziehung. Nur Krebs.

Mein Fett- und Faltenmonster hat sich verkrümelt in die hinterste Ecke. Es schämt sich ein bisschen, sich oft so wichtig gemacht zu haben. „Okay, FF“, flüstere ich, „du musst nicht völlig verschwinden. Sei froh, dass du noch am Leben bist. Und halt die Klappe!“ Mein FF hat mir dankbar zugenickt.

Fragen zum Aussehen? kolumne@taz.de Morgen: Peter Unfried und seine CHARTS

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1 Kommentar

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  • H
    hto

    Also Fazit: Der Blick in den Spiegel macht das Leben erst so richtig schizophren / rundet es ab!?