Bedenkzeit für Schwangere: Mehr Beratung bei Spätabtreibung
Ärzte sollen Mütter, die spät abtreiben, besser beraten - fordern Politiker von Union und SPD. Das ist umstritten.
BERLIN taz Wenn die Ärztin bei der Schwangerschaftsuntersuchung ein besorgtes Gesicht macht, rutscht den Eltern schnell das Herz in die Hose. Wenn dann wirklich etwas nicht zu stimmen scheint, herrscht oft Panik. Wie schlimm ist die Schädigung? Kann und soll das Kind leben? Oder ist eine Spätabtreibung zu erwägen? Um diese Panik geht es in dem Gruppenantrag zur verstärkten Beratungspflicht bei Spätabtreibungen, den Unionsabgeordnete am Mittwoch in den Bundestag einbringen wollen. Er ist seit Monaten Anlass für einen Koalitionskonflikt.
Am Montag stellten die UnionsfamilienpolitikerInnen Ilse Falk und Johannes Singhammer ihren Antrag vor - zusammen mit Exfamilienministerin Renate Schmidt (SPD), die ihn, im Gegensatz zur Mehrheit ihrer Fraktion, mitträgt. Der Unionsantrag sieht vor, Ärzte für den Fall, dass eine Abtreibung nach der 12. Woche in Erwägung gezogen wird, gesetzlich zur Beratung der Schwangeren zu verpflichten. Sie müssen den medizinischen Sachverhalt erklären, Informationsmaterial aushändigen und auf psychosoziale Beratungsstellen verweisen. Sie sollen die Beratung dokumentieren, und die Mutter bestätigt diese durch eine Unterschrift. Dazu soll die Schwangere eine dreitägige Bedenkfrist erhalten, bevor ein möglicher Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird. Die Mutter wird jedoch nicht verpflichtet, weitere Beratungsstellen aufzusuchen, wie es beim Abbruch in den ersten drei Monaten der Fall ist.
Grund für den Antrag ist die Befürchtung der Union, dass viele der rund 200 Schwangeren, die jährlich einem Abbruch nach der 22. Woche zustimmen, zu wenig Bedenkzeit und keine gute Beratung finden - und deshalb aus einem Schockzustand heraus abtreiben. Genaue Daten werden nicht erhoben. Nach Schätzungen aber befürworten zum Beispiel 90 Prozent der Eltern einen Abbruch, wenn dem Kind die Diagnose Down-Syndrom gestellt wird. Dazu kommt, dass die beratenden Ärzte in einer fatalen Situation stecken. Der Bundesgerichtshof hat Ärzte zu Schadenersatz verurteilt, wenn sie Müttern zum Austragen eines behinderten Kindes geraten hatten. Seitdem raten Ärzte, wenn sie auf der sicheren Seite sein wollen, eher zur Abtreibung. Deshalb sind auch die Bundesärztekammer und die Gynäkologenvereinigung DGGG für eine genauere Regelung.
PolitikerInnen von SPD und Grünen dagegen befürchten eine erneute "Zwangsberatung" für Frauen, die ohnehin schon in einer Ausnahmesituation sind. Die SPD-Familienpolitikerin Christel Humme möchte zwar, dass Frauen besser beraten werden, will aber das Schwangerenkonfliktgesetz nicht extra ändern. Vielmehr sei ja im Gendiagnostikgesetz schon eine umfangreiche Beratung geplant. Und für die Ultraschalluntersuchungen, die darin nicht erfasst sind, reiche es aus, den Müttern ihr Recht auf Beratung in den Mutterpass zu schreiben. Humme wird gemeinsam mit anderen SPD-Abgeordneten einen entsprechenden eigenen Antrag einbringen.
Renate Schmidt dagegen sieht weiteren Handlungsbedarf: Die Mehrzahl der Frauen, die eine Spätabtreibung hinter sich hatten, hätten sich laut einer Umfrage "in keiner Weise gut beraten gefühlt", erklärte sie gestern. Sie stimme dem Unionsantrag zu, weil er im Gegensatz zum Paragrafen 218 zwar den Ärzten, aber nicht den Frauen zusätzliche Pflichten auferlege. "Der Schwangeren wird in keiner Weise Leichtfertigkeit unterstellt", interpretiert sie.
Dies sieht die SPD-Chefin des Familienausschusses, Kerstin Griese, allerdings anders. Im Gegensatz zu Fraktionsvize Humme sympathisiert sie zwar mit dem Beratungsrecht und der Bedenkzeit des Unionsantrags. Doch lehnt sie die Dokumentationspflicht ab, weil damit "häufig Rückschlüsse auf den Einzelfall möglich wären". "Darin offenbart sich Misstrauen gegenüber den Frauen und der implizite Vorwurf, sie handelten leichtfertig", kritisiert Griese. Offen ist, ob auch sie noch einen eigenen Antrag formulieren wird.
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