piwik no script img

Das Blockbuster-Kino der PhilippinenKino für die Masa

Eine hybride Musterehe: Im frühen philippinischen Kino fusionierten Entertainment und Postkolonialismus. In den fünfziger Jahren war dort möglich, was Hollywood sich jetzt erst traut.

Auf den Philippinern hätte Clint Eastwood auch Doris Day als "Million Dollar Baby" besetzen können. Bild: ap

"Dreihundert Jahre Kloster und fünfzig Jahre Hollywood": So bringen Filipinos gern ihre Kolonialgeschichte auf den Punkt. Damit ist gemeint: Dreihundert Jahre spanische Kolonisation der Philippinen, bei der die katholische Kirche tatkräftig bei der Zurichtung und Zivilisierung der Eingeborenen mitwirkte. Und dann ab 1902 knapp ein halbes Jahrhundert einziges Mitglied im amerikanischen Commonwealth, bei dem die Amerikaner das Land nicht nur nach ihrem Bilde organisierten, sondern ihre kulturelle Überlegenheit auch durch den großzügigen Import von US-Filmen demonstrierten.

Das gefiel den meisten Filipinos besser als die Unterdrückung durch die Spanier. Und um es den Amerikanern gleichzutun, entstand in den Philippinen Studios, die im großen Stil eigene Filme drehten. Nach einer kurzen Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg blühte die Filmindustrie schnell wieder auf, und war in den 50er-Jahren die drittgrößte der Welt nach Hollywood und Bollywood. Die Studios produzierten Komödien, Melodramen, Musicals und Gruselfilme, die sich technisch zwar nicht mit den amerikanischen Vorbildern messen konnten, aber die Masa, die breite Masse, ansprachen.

Philippinische Intellektuelle von heute rümpfen gern die Nase über die Schwarzweiß-Schinken aus dieser Zeit. Sie bevorzugen die sozialrealistischen Filme aus den 70er-Jahren von Regisseuren wie Lino Brocka und Mike De Leon oder die digital gedrehten Independent-Filme von heute. Aber jedes Mal, wenn ich einen dieser alten Filme zu sehen bekomme, staune ich wieder darüber, wie die philippinischen Regisseure von einst amerikanische Genrevorbilder so modifizierten konnten, dass sie etwas ganz Eigenes wurden.

Nehmen wir etwa den Film "Gili Ko" von 1939, zu Deutsch "Meine Liebe". Auf den ersten Blick funktioniert hier alles nach den Regeln des US-Musicals. Der Sohn einer reichen Familie kommt aus der Hauptstadt Manila auf die heimische Zuckerrohrplantage auf Urlaub. Dort fällt ihm eine der Arbeiterinnen ob ihrer Sangeskünste auf. Er nimmt sie mit nach Manila, wo er ein Tanzorchester leitet. Die Dorfschöne ist schnell von den verwestlichten Stadtfräcken in der Hauptstadt angeödet. Bei einem Radioauftritt des Orchesters weigert sie sich, einen amerikanischen Jazzsong zu singen, und bringt statt dessen ein philippinisches Volkslied zum Vortrag. Zu Hause auf der Hazienda lauscht man mit Begeisterung am einzigen Radio der Farm.

Sie kehrt zurück in die Provinz, wo ihr heimlicher Verehrer inzwischen ein eigenes Orchester gegründet hat, bei dem alle Instrumente von der Trompete bis zur Flöte aus Bambus sind. Dafür wird er geheiratet, und alles endet mit Sang und Tanz. Wie da die Arbeiter bei der Zuckerrohrernte im Chor singen, das sieht schon sehr nach einem amerikanischen Musical aus, das in fernen, fremden Gefilden spielt - bloß mit dem kleinen, aber entscheidenden Unterschied, dass es die Einwohner des exotischen Landes selbst sind, die den Film gemacht haben.

Oder nehmen wir "Waray Waray", eine Komödie aus den 50er-Jahren, abermals über ein Mädchen aus der Provinz, das nach Manila kommt, diesmal um als Hausmädchen zu arbeiten. Leider verwickelt sich die temperamentvolle Maid immer wieder in Schlägereien, unter anderem mit ihrer Dienstherrin. Das Familiengericht entscheidet, wenn sie sich so gern schlage, solle sie es doch mal als Boxerin versuchen. Sie beginnt zu trainieren und gewinnt eine Meisterschaft im Frauenboxen.

"Waray Waray", das Titelstück des Films, wurde später von der amerikanischen Jazzsängerin Eartha Kitt weltweit popularisiert. Doch ansonsten ist "Waray Waray" ein Film, den zu dieser Zeit kein amerikanisches Studio angefasst hätte. Die Hauptdarstellerin Nida Blanca war eine hellhäutige "mestizia", die sonst als romantische Heldin reüssierte. Sie als Boxerin, das ist ungefähr so als würden Doris Day oder Romy Schneider eine Boxerin spielen. Im amerikanischen Kino musste man auf Hilary Swank in "Million Dollar Baby" von 2004 warten, bis eine solche Rolle akzeptabel wurde. In den Philippinen, die trotz allen Machismos im Grunde ein Matriarchat sind, war so ein Plot schon 1954 möglich. Diese Filme, die nur Entertainment bieten wollten, gehören zu den frühesten Beispielen eines postkolonialen Kinos, das Tradition und westlichen Einfluss so fusionierte, dass am Ende authentisch philippinische Filme entstanden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!