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Frau Schwab hat zugehörtNie wieder gesund werden mit Radio Multikulti

Kolumne

Der RBB hats gemacht. Bis zum Schluss wollte ich nicht glauben, dass der Sender seinen Vogelkäfig aus dem Fenster wirft.

Henryk M. Broder sei Dank für das Bild mit der Voliere. Der Süper-Narziss unter den Journalisten hat im Tagesspiegel - einem Blatt, das bisher nicht als Sprachrohr der Multikultis galt - gesagt, was Sache ist: dass man die Abschaltung von Radio Multikulti vergleichen muss mit der Strategie einer Familie, die merkt, dass die Nebenkosten im Haushalt immer höher werden. Um etwas dagegen zu unternehmen, beschließt sie, den Vogel abzuschaffen. So spart sie die Kosten fürs Futter. Die Nebenkosten des RBB sind, meint Broder, übrigens die Pensionszahlungen ans verdiente Medienvolk.

Jetzt ist der RBB also sein Vögelchen los. Ein buntes war es: ein papageiisches, kakaduisches, tukanisches. Ein pirolesques, blaumerliges, grünspechtiges. Auf jeden Fall eines, das das Lexikon der heimischen Vogelwelt um einige Farbnuancen erweiterte.

Und ich? Ich hatte Grippe. Schon vor Weihnachten fing das an. Da gab es Radio Multikulti noch. Meinen Lieblingssender, mein singendes Vögelchen. Ich hab ihm zugehört. Jeden Tag. Was macht man sonst, wenn man krank ist, der Kopf aber nicht mehr so wehtut?

Tagelang gab es nun gute Musik und traurige Worte. Denn die Multikulti-Macher und Macherinnen waren traurig. Sie leckten ihre Wunden. Sie kamen ins Studio und redeten nicht über die anderen und die Welt, sondern über sich. Das gab den Stimmen eine Geschichte.

Und immer war es die letzte Sendung. Die einen verabschiedeten sich trotzig. Die anderen verabschiedeten sich melancholisch. Wieder andere verabschiedeten sich theatralisch. Auf jeden Fall mit echtem Gefühl.

Aziza A., die jeden Samstag das Neueste aus der türkischen Popfabrik nach Berlin brachte, gab einen Abgang mit Tränen. Aber wer weint gern öffentlich? Da rettete sie sich, indem sie den Radio-Multikulti-Kaputtmachern Höllenqualen an den Hals wünschte. Sabah Habas Mustapha, der jeden Sonntag Raritäten rund um den Globus über den Äther schickte, befand, man solle nun ein Gedicht auf die Welle schreiben: Aber ohne Reim! Und Nouri Ben Redjeb, der samstags die Wunschmusiksendung moderierte und von dem ich glaube, dass er etwas zwischen Charmeur und Amor mit Pfeil ist, lädt ein paar ZuhörerInnen im Januar noch zum Couscous-Essen ein. Es ist sein privater Abschied. Ich mailte ihm, dass ich kommen wolle. Ohne Antwort bisher.

Einen echten Rausschmeißer gabs dann an Silvester. Der letzte Song wurde gesucht. Kurz vor 22 Uhr lief er. Weil meine Uhr vorging, hielt ich "Ya Rayah" von Rashid Tahar für das vorletzte Lied. Plötzlich ein holpriger Übergang und Funkhaus Europa sendete auf der Frequenz. Kein Wort des Abschieds, kein Willkommensgruß. - Aus. An. Mehr nicht.

Natürlich war das Internetradio, das einige der ehemaligen Multikultis samt Freunden ab 22 Uhr als Ersatz machen wollen, überlastet. Man muss den Leuten eine Chance geben. Neugeborene sehen in der Regel eben erbärmlich aus. Und die hier, die wollen nun mit Herzblut und wenig Geld eine Alternative liefern zum Mainstreamfunk. Die wird auch dringend gebraucht. Denn auf der Frequenz, die ich zufällig kurz vor 24 Uhr einstellte, wegen der genauen Uhrzeit, lief genau um Mitternacht der Werbespot eines Elektromarkts. "Ich bin doch nicht blöd", schrie eine Stimme im Äther pünktlich zum neuen Jahr. Waltraud Schwab

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7 Kommentare

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  • RB
    Roberto Barnini El Delicio

    Frau Frost scheint keine Ahnung zu haben, wie eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt aufgebaut ist. Zu vergleichen ist das mit dem deutschen Staat (Bundeskanzler, Bundespräsident, Bundestag, Minister,...).

     

    Neben dem Rundfunkrat, dem Hörfunkdirektor, den Wellenleitern (=Chefredakteure), den Geschäftsführern und den Programmdirektoren für jedes Radioprogramm gibt es noch die Intendantin, die über alle Köpfe hinweg entscheiden kann.

     

    Im Falle des RBB ist das Frau Dagmar Reim, die seit dem Zusammenschluss von ORB und SFB vor fünf Jahren schon mehrfach durch einige merkwürdige Aussagen und zweifelhafte Entscheidungen "geglänzt" hat und damit wiederholt öffentlich in die Kritik geraten ist.

     

    Ich erinnere mich da an die Vorwürfe in Richtung einiger Berliner Politiker in Zusammenhang mit den Solidaritätsbekundungen dieser für Radio Multikulti (Zitat: "Heuchelei"), den Streit um die Bezahlung der freien Mitarbeiter oder auch die Einstellung des Magazins Polylux.

     

    Und hat sie nicht in einem Branchenfernsehen-Interview mal gesagt, sie hasse "bürokratistische Vorschriften und lange Sitzungen"? Ja, seht ruhig im Duden nach - ein solches Wort gibt es in der Tat nicht. Doch das kann Frau Reim als Person des öffentlichen Lebens natürlich unmöglich wissen, dass es "bürokratisch" heißt. Und anstatt den RBB in seinen undurchsichtigen Strukturen etwas zu "entschlacken", wird also einfach ein ganzer Sender dichtgemacht.

     

    Sie repräsentiert die Anstalt, und allein ihr ist es zu verdanken, dass Radio Multikulti geschlossen wurde. Frau Marenbach als "Cheffin" bei Radio Multikulti waren also die Hände gebunden. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie sich bestimmt nicht den Boden unter den eigenen Füßen weggezogen.

     

    Ich kann mich noch entsinnen, dass Frau Reim vor einigen Jahren (es war der letzte Tag des SFB) im Programm von Radio Multikulti groß verkündete, an dem einzigartigen Sender Radio Multikulti werde sie festhalten, denn sie "halte es dringend für notwendig".

  • CZ
    christine zelezny

    Sehr geehrte Frau Schwab,

    als Stammhörer von radiomultikulti habe ich natürlich ihren Artikel sehr genossen. Selbstverständlich gab es unzählige Sendungen, die uns als -letzte- angekündigt wurden; ich habe diese Abschiede nicht immer als "trotzig" empfunden. Für mich (die ich erst seit etwa 5 Jahren regelmäßig diesen Sender gehört habe) waren die Anekdoten aus der Anfangszeit und die Geschichten der verschiedensten Mitarbeiter dieses Senders eine Hilfe für meine ganz persönliche "Trauerarbeit".Nicht ganz unerwähnt möchte ich trotzdem die vielen Moderatoren lassen, die erst am Ende ihrer Sendung diesen "Abschied" bekanntgegeben haben und die "Frechheit" besaßen, dies in ihrem gewohnt unbeschwertem Tonfall zu tun. Ich habe wirklich die komplette letzte Sendung von radiomultikulti und die ersten Stunden von www.multicult.eu gehört.

    Der "Rausschmeißer" war meines Hörens YA RAHAH von RACHID TAHA(+KHALED&FAUDEL-vom Album 1,2,3 Soleils, live Paris 1998). Sorry, bin durch eine jahrelange RadioMultikultischule gegangen- D A N K E!

    Außerdem begreife ich Ilona Marenbachs vorletzte Worte "macht mir mein Schwanenkostüm fertig" als optimistisch, hoffungsvoll und in jeder Hinsicht positiv!

    VIVA MULTIKULTI_VIVA MULTICULT 2.0 und unerhört viel RESPEKT auch vor diesem neuen Projekt,

    Christine Zelezny

  • LF
    lisa frost

    liebe frau marenbach

    das ist ja wunderbar - respektvolle worte...damit können die ehemals freien mitarbeiter sich jetzt trösten und ihre familien ernähren...

     

    statt hochtrabenden worten hätten wir lieber taten gesehen frau marenbach.

     

    mit respektvollen jedoch winterlich-kühlen grüßen

    immer die ihre

    lisa frost

  • RB
    Roberto Barnini El Delicio

    Nun liegt er also auf meiner Festplatte, der Sendeschluss von Radio Multikulti. Nicht ganz 500 MB groß ist die Datei, und passt damit auf eine handelsübliche Audio-CD. Zum Schwelgen in Erinnerungen, zum Gedenken an schönere Zeiten und zum Immer-Wieder-Anhören.

     

    Das letzte Lied war denkbar unpassend gewählt. Irgendein kaum bekannter Titel von Rashid Taha (ohne R, bitte!). Leider nicht (wie ich gehofft hatte) Nosliw mit seinem Protestsong zur Erhaltung des Senders.

     

    Die Verabschiedung zuvor - dramatisch und emotional, dennoch gefasst und optimistisch. Die letzten Sätze kamen von Musikchef und Jingle-Sprecher Tobias Maier, bevor er das Wort an Frau Marenbach höchstpersönlich übergab.

     

    Von den "Kollegen und Freunden aus Köln" war da in der Abmoderation die Rede, vor einigen Tagen hieß es bereits, man würde den "Staffelstab" an Funkhaus Europa "übergeben".

     

    Davon war nichts zu hören. Der gerade aufgeschaltete WDR-Mensch hielt eine vierminütige Ansprache, redete viel und sagte trotzdem nichts. Zumindest nichts, was auch nur irgendjemand in Cottbus, Berlin oder Potsdam interessiert hätte.

     

    Kein Dankeschön an die Mitarbeiter von Multikulti, die 14 Jahre lang unter teilweise schweren Bedingungen das Vorreiter-Programm für die Kölner Version produzirt haben, kein Gruß nach Berlin, kein Ausblick für den Hörer.

     

    Stattdessen selbstbeweihräuchernde Worte, Eigenwerbung für die von Funkhaus Europa veranstaltete Silvesterparty in Köln. Wen in Ostdeutschland interessiert das?

    Man hatte den Eindruck, Berlin und Brandenburg gehörten schon seit Jahren zum WDR-Sendegebiet und hätten längst zahlreiche Funkhaus-Europa-Feiern abgehalten, derart beiläufig fiel der Name der Bundeshauptstadt.

     

    Noch in der selben Nacht wurde es für die digitalen Hörer auf Satellit und Livestream still. In einigen Tagen übernimmt MDR KLASSIK die freiwerdende Astra-Frequenz.

    Damit schließt die ARD ein Kapitel Hörfunkgeschichte, mit dessen Popularität sie scheinbar nie so recht umgehen konnte.

  • SV
    Susanne Voellmann

    frau schwab hat sich sogar dolle verhört. das letzte wort "respekt" war deutlich zu vernehmen. auch ich hatte grippe, und ich habe bis zur letzten minute zugehört, auch einige tränen geweint.

    euren abschied habt ihr gut hingekriegt, liebe multikultis, wie auch die letzten 14 jahre. respekt! besonders an tobias, den ich sehr bewundert habe für seine haltung. ich wünsche euch allen im sinne des einen der letzten moderatorenwünsche: "move on up". anyway.

    susanne voellmann

  • HM
    Heidrun Mann-Vargas

    Tieftraurig bin ich, wie auch Frau Schwab und viele andere Menschen.Habe bis zur letzten Sekunde meinen Überlebens-und Erlebnissender RADIO MULTIKULTI gehört!!! Dann,um 22h00 kam die Übernahme von Funkhaus Europa! Nichts, aber auch gar nichts wurde dazu gesagt, dass die Hörer/innen aus Berlin jetzt dazu gehören!?Kein herzlich Willkommen oder dergleichen! Dies erhöhte meine Traurigkeit noch mehr.

    Aber ich muss noch sagen, Radio Multikulti hat sich verabschiedet: Frau Marenbach sprach vor dem letzten Musiktitel.

    Suchte danach gleich im Internet das Neue Radio www.Multicult20.de!Wenn ich jetzt am Computer sitze, kann ich ihn hören und mit ihm bekannte Stimmen, der Moderatoren/innen.

    Ich hoffe doch, Multicult20 erhält bald eine Sendefrequenz, damit ich ihn in der ganzen Wohnung, und nicht nur am Schreibtisch hören kann!!!!!!!!

    Heidrun Mann-Vargas, Berlin

  • IM
    ilona marenbach

    Frau Schwab hat doch nicht so genau zugehört, denn es gab sie, die Verabschiedung, die letzten Worte VOR dem letzten Titel. Und das allerletzte Wort war: RESPEKT!

    Ilona Marenbach

    (ex-)Chefredakteurin

    radiomultikulti