Bayerns grüner Spitzenkandidat stellt die Machtfrage: "Ich will nicht mehr warten"
Bayerns erfolgreichster Grüner Sepp Daxenberger über Politik als psychologische Kriegsführung gegen Krebs, die CSU als Erbsünde, Genmais und Kruzifixe in der Schule.
Herr Daxenberger, Sie sind Landwirt, Sie waren Bürgermeister, Sie sind Vater von drei Söhnen, Sie waren an Krebs erkrankt. Und jetzt machen Sie Wahlkampf wie ein Berserker. Warum tun Sie sich das an?
Sepp Daxenberger: Es hat natürlich Menschen gegeben, die haben gesagt: ,Jetzt bist du dem Tod von der Schaufel gesprungen, eigentlich solltest Du nur noch im Liegestuhl liegen.' Aber ich war mit meinem aktiven Leben davor zufrieden. Mir macht Politik Spaß. Für mich ist es einfach schön, unter Leute zu gehen und meine Überzeugungen zu präsentieren.
Sie hören wegen Ihrer Krankheit als Bürgermeister auf. Nun wollen Sie Fraktionschef im Landtag werden. Wie passt das zusammen?
Als die Krankheit kam, hab' ich gesagt: ,Ich muss was abgeben.' Nach zwölf Jahren als Bürgermeister war aber auch die richtige Zeit, mal wieder etwas Neues zu machen. Ich möchte weiter politisch mitmischen - gerade jetzt, da die CSU unter die 50 Prozent-Marke rutscht.
Kann man einem Grünen nachhaltige Politik abkaufen, wenn er als Mensch eine Art Raubbau an sich betreibt?
Für mich wäre es Raubbau, wenn ich daheim auf dem Sofa liegen müsste. Da würde ich wahnsinnig werden. Für mich war die Politik immer auch psychologische Kriegsführung gegen den Krebs. Nach dem Motto: ,Lieber Krebs, ich hab jetzt nicht ewig Zeit, mich mit Dir abzugeben. Ich hab' noch viele Ziele, ich hab' noch Aufgaben.' Das war auch ein Ansporn in den wirklich schwierigen Zeiten im Krankenhaus. Da gab es auch Tage, an denen es mir auch recht gewesen wäre, einfach einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen.
Seit Sie auf der Welt sind, seit 46 Jahren, hat die CSU die absolute Mehrheit. Warum tun sich die Bayern so schwer, sich von der CSU zu emanzipieren?
Ich hatte immer Angst, dass das irgend etwas mit meiner Geburt zu tun hat. Als wär's eine Erbsünde. Aber wenn man ehrlich ist, dann hat es die CSU geschafft, das Synonym ,Bayern ist gleich CSU' hinzukriegen. Kein Verein, kein Elternbeirat, keine Organisation, wo nicht CSUler drin sind.
Sie sagen über sich selber: "Ich bin für CSU-Wähler kompatibel."
Ich sage: Ich bin für Menschen kompatibel, die bisher aus Mangel an Alternativen CSU gewählt haben.
Ein ziemlich langer Satz...
...und ein wichtiger. Denn es geht nicht darum, überzeugte CSUler abzuwerben. Aber ich kenne viele Leute, die bisher mangels Alternative CSU gewählt haben. Wir Grüne sind auf dem Weg, diese Lücke zu besetzen.
Sie werben auf ihren Plakaten mit CSU-Motiven - Fotos von Maibäumen und Lederhosen.
Wir sind genauso Bayern wie die CSU. Wir haben genau dasselbe Recht, diese schöne Landschaft, diese Natur für uns zu beanspruchen. Die hat ja nicht die CSU gemacht.
Hört man sich an der grünen Basis um, dann ist dort die Meinung zur CSU: Mit denen nicht!
Das sage ich auch: Mit denen in Bayern nicht! Zumindest jetzt nicht.
In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie das Verbot von Kruzifixen in Schulen.
Da haben wir ein Problem. Denn das ist ein sehr emotionales Thema. Auf Veranstaltungen sind viele Menschen wegen des Kruzifix-Verbots empört. Sie erzählen, wie ihre Großeltern dagegen Widerstand geleistet haben, dass Hitler die Kreuze in den Klassenzimmern abschaffte.
Wie gehen Sie damit um?
Diese Emotionalität lässt sich gar nicht auf eine sachliche Ebene runterholen. Deswegen habe ich auch vom ersten Tag an gesagt: Ich kann diesen Beschluss nicht mittragen. Völliger Blödsinn, sich politisch so eine Flanke aufzumachen - nur fürs Rechthaben.
Das heißt: Die Grünen dürfen in Bayern nicht fordern, generell Kruzifixe abzuhängen?
Ich bin der Meinung, dass der Staat im religiösen Bereich weder etwas zu befehlen hat, noch etwas zu verbieten. Das sollen die Kinder zusammen mit dem Lehrer entscheiden.
Sie wollen Grundschüler die Frage des Laizismus diskutieren lassen?
Das sollen Schulleiter und Eltern miteinander abmachen. Das Grundgesetz sagt: Der Staat hat sich neutral zu verhalten, alle Religionen sind gleich zu behandeln. Aber Neutralität heißt ja nicht, dass wir Religiosität verbieten sollten.
Ein wackliger Gipfel auf den Sie da kraxeln. Sie sagen, der Staat muss sich raushalten. Dabei lässt er doch die Kreuze im Klassenzimmer aufhängen!
Aber deswegen muss man ja nicht ein Gesetz machen, das Kreuze verbietet. Jetzt muss ich irgend so einen Mist erklären, den ich nicht wollte. Ich würde das die Menschen vor Ort entscheiden lassen.
Sie sind ein regionaler Politiker. Sie sind aber auch stolz darauf, global zu denken. Ist die Gentechnik nicht eine faszinierende Technologie - etwa um den Welthunger zu besiegen?
Nein, die Gentechnik ist allenfalls eine faszinierende Technologie für Saatgutmultis - um den alleinigen Zugriff auf Nahrungsmittel zu bekommen. Den Hunger bekämpft man mit einer naturnahen und ökologischen Bewirtschaftung des Bodens.
Das sagt der bayerische Biobauer, der mit Öko-Deluxe-Kunden Geschäfte macht. Den Nahrungsbedarf in Afrika decken sie nicht mit Bio-Anbau.
Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft bekämpfen sie den Hunger der Welt nicht, sondern sie erzeugen ihn erst. Die Bauern der Entwicklungsländer bekommen von der Weltbank Kredite nur für Früchte, die sie auf dem Weltmarkt verkaufen können. Das schafft ungesunde Monokulturen und zerstört die Ernährungsgrundlage für die eigene Bevölkerung. Die gentechnisch veränderten Terminator-Saaten, die nur einmal verwendbar sind, beschleunigen diesen Teufelskreis noch. Nein, mit Gentechnik lösen wir keine Probleme. Niemand braucht sie und niemand will sie. Ich habe ganze Bierzelte hinter mir, wenn's gegen die Gentechnik geht.
Und trotzdem führen Sie die Leute damit auch hinters Licht.
Warum? Diese Wahl wird die letzte sein, um die Gentechnik auf Bayerns Feldern zu stoppen.
Wenn es zu einer schwarz-grünen Mehrheit im Landtag käme, würden Sie die denn auch nutzen, um die Gentechnik aufzuhalten?
Das wäre natürlich eine spannende Geschichte. Nur funktioniert sie nicht, weil die schwarz-grüne Mehrheit eben nur rechnerisch zustande kommt. Wir sind keine Filzverlängerer für eine Partei, die seit 46 Jahren regiert und alle Ministerien durchsetzt. Ich kann doch nicht wegen der Gentechnik sagen: ,Alle Unterschiede sind mir Wurst'. Wir werden der CSU mit den Menschen so einheizen, dass sie vor Schreck in Ohnmacht fällt.
Die Chance war noch nie so gut, mit einem grünen Umweltminister das Thema Gentechnik mit einem Wisch vom Tisch zu bekommen. Die CSU wankt.
Ja, aber warum sollte sich die CSU, wenn sie nicht allein regieren kann, ausgerechnet den bockbeinigsten Partner aussuchen?
Weil sie Ihnen vom Lebensgefühl und von der Verankerung in der bäuerlichen Bevölkerung am nähesten ist.
Nein, wenn die CSU keine Mehrheit hat, ist es meine Pflicht und Schuldigkeit zu schauen, wie man eine Mehrheit ohne sie zustande bekommt.
Na, dann viel Spaß beim Zusammenschmieden von Kleinstparteien.
Ich weiß, das ist nicht besonders erotisch. Es wird die SPD im Landtag sein, wir, die FDP und die Freien Wähler. Daraus kann man vielleicht eine bürgerliche Mehrheit gegen die CSU formen.
Gehen wir's doch mal zusammen durch. Die FDP will die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängern, die Freien Wähler wollen die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängern...
... nein, so geht das nicht, wir müssen mit dem Positiven anfangen. Mit der FDP kann man bei den Bürgerrechten viel gemeinsam anfangen. Mit den Freien Wählern kann man die Kommunen stärken. Bei der SPD wissen wir, woran wir sind. Und dann müssen wir schauen, was geht.
Sie wären die ganze Zeit mit dem Ausbessern ihres rot-gelb-orange-grünen Fleckerlteppichs beschäftigt. Dabei wollen Sie doch gestalten.
Ich gebe gern' zu, dass es interessanter ist, zu gestalten und Verantwortung zu haben als Opposition zu machen. In so einer Konstellation kann ich als Daxenberger durchaus eine Rolle spielen. Deswegen war es für mich so schwer den Job als Bürgermeister von Waging hinzuschmeißen.
Sie sind ein in der Wolle gefärbter Regierender, ein Möchtegernregierender?
Ja, ich möchte gerne regieren. Aber ich bin nicht das Synonym dafür, dass Schwarz-Grün vor der Tür steht. Ich bin seit 20 Jahren ein Gegner der CSU.
Wenn es nach dem 28. September wieder Opposition wird, Premium-Oppsition, wie Sie es nennen, sind Sie dann überhaupt dabei?
Wenn ich vom Wähler den Auftrag erhalte, bin ich natürlich dabei. Aber das Ziel jeder Opposition ist, dass sie bereit sein muss, irgendwann regieren zu wollen. Das stört mich ja so an der SPD, dass sie es sich - Franz Maget (SPD-Spitzenkandidat in Bayern, Anm. d. Red.) ausgenommen - auf den Oppositionsbänken richtig kuschelig eingerichtet hat.
Wie lange wollen Sie noch warten?
Ich will nicht mehr warten. Wir stellen die Machtfrage jetzt.
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER UND BERNHARD HÜBNER
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