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"Empire" als TheaterstückDer Verführer der Jugend

Bekanntlich hat es das "Kapital" von Marx nie auf die Leinwand geschafft. Dafür gibt es jetzt "Empire" von Hardt/Negri in einer Bühnenversion: die Multitude als Jugendtheaterstück.

So ist sie, die Multitude: immer bereit, alten Autoritäten den Zopf abzureißen. Bild: theater bielefeld

Nehmen wir mal an, ein Mensch wird sich der Ungerechtigkeit und des Elends der Welt gewahr. Was kann er tun? Die Empörung dagegen setzen, resignieren? Worauf sich beziehen - nach dem Ende der Utopien und dem letztlichen Scheitern der Kämpfe?

Antonio Negri, Philosoph und Exmilitanter der italienischen Autonomia-Bewegung der 70er-Jahre ist vor neun Jahren mit seinem Theoriebestseller "Empire", den er gemeinsam mit Michael Hardt verfasst hat, angetreten, den Faden für eine große Erzählung zur möglichen Veränderung von Gesellschaft wieder aufzunehmen. Negri und Hardt loteten hier neue Möglichkeiten des Widerstands aus, dessen Impulse aus dem veränderten globalen Kapitalismus selbst kommen sollten. Nicht bloß Verkaufsstrategen sahen in "Empire" ein neues kommunistisches Manifest, es begleitete einen nicht unerheblichen Teil der globalisierungskritischen Bewegung.

In der Tradition der Lehrstücke wie Bert Brechts "Die Maßnahme" und Heiner Müllers "Mauser" hat Negri im Jahr 2005 aus "Empire" eine Theaterversion erstellt, die nun im Theater Bielefeld in deutscher Erstaufführung gezeigt wird. Sie führt vor, wie der Mensch der Gegenwart aus der Empörung zur Revolte schreitet, und hat, wie üblich bei Negri, eine gehörige Portion Vitalismus. "Meine Hoffnung ist die erste Schlacht … Ich bin der sein wird" zitiert er Heiner Müller, der den glücklosen Benjaminschen Engel 1979 in einer lyrischen Bearbeitung in Aufbruch versetzte.

Walter Benjamins Engel der Geschichte schaut voller Entsetzen auf die Trümmer der Menschheitsgeschichte. Er hält inne und wird sich des Umstands bewusst, dass der Mensch mit der Moderne in eine Geschichte der Krisen geworfen ist. Doch bedeutet die Hoffnung auf Fortschritt zwangsläufig den Umschlag in die Katastrophe, und ist das ein Zusammenhang ohne Entrinnen?

Negris Mensch gewordener Engel streift die Fortschrittsversprechen der Vergangenheit ab, zerstört die Klassiker und sieht in ihnen nur noch Lumpen des Verrats. Durch die Leidenschaft für ein gemeinsames Handeln ohne Anführer, ohne Partei, ohne ferne Heilsversprechen und mit Bezug auf nichts als die Nacktheit des bloßen Lebens eignet er sich fortan Geschichte an, zerstört "die zu Kalk gewordene Erinnerung an die Tradition".

Die Pariser Regisseurin Barbara Nicolier hatte Negri zu einer Bühnenfassung des neomarxistischen Theoriewälzers motiviert. Regisseur Christian Schlüter und Dramaturg Bernhard Krebs vom Theater Bielefeld haben wie bereits die Pariser den sperrigen Stoff in ein Jugendstück umgesetzt, was zunächst überrascht. Sie bringen "Schwarm", so der Titel des Stücks, in einer Direktheit auf die Bühne, die ihm der Autor gegeben hat, und zeigen politisches Theater ohne postmoderne Ironie.

Angelehnt an die antike griechische Tragödie hat Negri die älteste und zugleich einfachste Form der Vermittlung gewählt: Ein Mensch, besetzt mit Silvia Weiskopf, die in dieser Spielzeit vom Schauspiel Leipzig nach Bielefeld wechselte, steht einem Chor, gespielt von neun Bielefelder Jugendlichen, gegenüber.

Zunächst entwickelt sich alles im Disput, im karg angelegten Bühnenraum der kleinen Studiobühne, treffen Chor und Mensch wie in einem Workshop-Setting aufeinander. Der Chor urteilt, klärt auf, agitiert die Zuschauer, verlacht den Menschen, zeigt ihm die Ausweglosigkeit der reinen Empörung und des bloßen Hasses, der Verzweiflung. Silvia Weiskopf gibt alles, schreit, scheint innerlich zu zerreißen, bringt gar das Selbstmordattentat als radikalste Widerstandsform ins Spiel. Unter ihren Qualen löst sich das klare Bühnenbild in ein Schlachtfeld der Leidenschaften auf. Der Chor konfrontiert sie mit der eigenen Fehlleitung.

In zwölf Stationen, die programmatische Titel wie "Hass", "Ideologie" oder "Exodus" tragen, vollzieht sich in der Anklage der herrschenden Verhältnisse eine Entwicklung, in der die Rollenaufteilung zunehmend in der gemeinsamen Beschwörung einer kommenden Auflösungsbewegung verschwindet, getragen von Pathos und Leidenschaft.

Dem Disput folgt schließlich die Einsprachigkeit der Multitude, dieses kreativen Netzwerkes, des Schwarms, der ohne Führung sich formiert, immer wieder neu zusammensetzt, die Macht des globalen Kapitalismus kreativ unterläuft, den Exodus aus der Unterdrückung findet.

An der Grenze zum Kitsch bewegt sich die Anrufung des Gemeinsamen der Multitude, bei Negri eine natürliche wie auch künstliche Kategorie, das ihm hier lediglich noch Immanenz des Fleisches bedeutet: "Das Fleisch ist das Gemeinsame der Vielfalt." Und die Liebe - es wäre eine Überlegung wert, ob sie in der politischen Theorie vernachlässigt ist, verbannt in den Bereich der Affekte. In der Aufführung von "Schwarm" jedoch, wenn der Widerstand immer wieder als ein Kind der Liebe beschworen wird, entsteht der Eindruck, die Multitude sei eine Versammlung von linkskatholischen Predigern.

Die Bielefelder haben gut daran getan, "Schwarm" ins Jugendtheater zu verlegen. Es sei als Stück für Jugendliche ab 14 Jahren gedacht, sagt Dramaturg Bernhard Krebs, für Leute also, denen beispielsweise Genua im Jahre 2001 als traumatisches Datum der globalisierungskritischen Bewegung, nichts mehr sage. Hier kann die mitreißende Inszenierung vielleicht am zukünftigen kreativen Potenzial der Multitude arbeiten und der "cattivo maestro", der Verführer der Jugend, als der Negri in den 70ern vom italienischen Staat angeklagt worden ist, noch einmal seinem Ruf gerecht werden.

Theater Bielefeld, weitere Aufführungen am 15., 18. und 29. 1.

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