piwik no script img

Spielend lernenAcht unterschätzte Buchstaben

Beim Scrabbeln werden unterschiedliche Fähigkeiten aktiviert, wie die Teilnehmer der Berliner Scrabbinale zeigten. Schüler finden das nur mäßig cool.

Ein tolles pädagogisch-wertvolles Spiel - auf das die Jugendlichen nur leider keine Lust haben... Bild: dpa

Man lernt nie aus, schon gar nicht in Sachen Wortschatz. "GRILLIG" zu sein hat zum Beispiel nichts mit Bratwürsten zu tun. Das hübsche Adjektiv soll an das Versprechen Mephistos erinnern, Goethes Faust "die Grillen", also die Launen, auszutreiben. Wenn jemand grillig ist, dann ist er schlichtweg verdammt missgelaunt. Und wenn jemand ein so unübliches Wort zumindest im passiven Wortschatz weiß, dann hat er gute Chancen, bei der Scrabbinale ein paar Punkte abzustauben.

Das Scrabble-Turnier fand am vergangenen Wochenende erstmalig in Berlin statt. Der Spieler, in dessen 200-seitiger, handgemachter und kleingedruckter "Turnierwörterliste" sich jenes Wort fand, erreichte immerhin den 14. Platz, bei 54 ehrgeizigen und scrabbleerfahrenen TeilnehmerInnen (denn auch beim Scrabbeln geht es um Übung) ein respektables Ergebnis.

Scrabble in Deutschland wird seit fast einem Jahrzehnt außer auf Millionen familiären Wohnzimmertischchen auch generalstabsmäßig betrieben: 1998 entwickelte der leidenschaftliche Rätselautor Sebastian Herzog für die Wochenzeitung Zeit ein Rätsel, das auf das Buchstabenspiel aufbaute, zwei Jahre später gerieten die Steinchen mit dem "Zeit-Scrabble-Sommer" ins Rollen. Das Zeit-Scrabble-Turnier folgte, 2005 gründete Herzog den Scrabble Deutschland e. V., und 2009 richteten drei Mitglieder aus Berlin das erste Mal einen eigenen Wettkampf in der Hauptstadt aus: "Die Kapazität beim Zeit-Scrabble-Turnier ist nicht groß genug, um alle Interessierten aufzunehmen", erklärt eine der AusrichterInnen, Claudia Aumüller, inoffizielle Deutsche Meisterin 2002 und im wahren Leben Kneipier. Außerdem bräuchte man mehr Turniere, um eine Statistik führen zu können. Und so gibt es neben Wochenendkämpfen in Düsseldorf, Hamburg, Hachenburg und Syke bei Bremen jetzt eben auch noch die Berliner Meisterschaft.

Aber es geht den deutschen ScrabblerInnen um mehr als um das Glück im Spiel und herausragendes Sprachgeschick: "Primäres Ziel" sei, so heißt es in der Satzung des Scrabble-Vereins, "die Heranführung der Jugend, um ihr auf spielerischem Wege den Zugang zur Vielseitigkeit der deutschen Sprache zu erleichtern". Beim Wettkampf in Berlin blieb die Jugend allerdings noch etwas auf Distanz, stattdessen saßen sich größtenteils gut gelaunte Bestager und Menschen um die 40 an kleinen Tischen im Konferenzraums eines Hotels in Mitte gegenüber und schoben Buchstaben hin und her. Das nützt bei den nächsten Tests zur Pisa-Studie erst mal wenig.

"Wir haben darum in den vorangegangenen Jahren Schüler-Scrabble-Wettkämpfe ausgerichtet", erzählt Herzog, der bei der Scrabbinale als Schiedsrichter fungiert. Allerdings fand der letzte 2007 statt, denn Sponsor und Spielehersteller Mattel hatte umstrukturiert und einen Teil der Unterstützung gestrichen. "Wir hoffen, in diesem Jahr wieder einen ausrichten zu können", sagt Herzog. Auch die Kultusministerien der Länder, die angeschrieben und um Hilfe gebeten wurden, haben es bislang bei Vernetzungsangeboten belassen.

Dabei kann man sich kaum eine passendere Methode zur Wortschatzerweiterung, zum Rechtschreib- und Grammatiktraining und Üben der Grundrechenarten - durch das Zusammenzählen der Buchstabenpunkte - vorstellen. "Man müsste das Scrabbeln in der Schule unbedingt fordern", findet auch Aumüller. "Ich würde sofort in eine Schule gehen und eine Scrabble-AG leiten."

Beim Scrabbeln lassen sich viele Aspekte des "Neuen Lernens" spielend umsetzen: das individuelle, nicht gleichgeschaltete Lernen auf persönlich unterschiedlichen Niveaus, dazu die Vernetzung verschiedener Denkfähigkeiten, das Erinnern durch Visualisieren, und das Ganze auch noch mit Appell an den Wettkampfgeist, der bei fast allen Kindern auf die eine oder andere Weise ausgeprägt ist. Scrabble ist also extrem unterrichtstauglich. Und ist dabei, verglichen mit neuen Rechner oder bahnbrechenden Schulreformen, auch noch spottbillig. Vielleicht muss man für die computerspielgewöhnten Kids nur noch etwas am Brettspiel-Coolnessfaktor arbeiten.

Obwohl der Durchmarsch, den Finalist Heinz Jürgen Michel bei der 1. Scrabbinale am Wochenende hinlegte, ganz schön cool war: Seine Gegenspielerin Maria Feige, der Champ von 2007, hatte es von Anfang an schwer. Sechs der sieben Steinchen, die sie zog, waren Vokale, der siebte ein Blankostein. Dazu knallte ihr Michel noch zwei Scrabbles, also das komplette Auslegen aller sieben Steinchen, vor den Latz. Dabei hätte er statt dem lyrischen Seefahrerwort "WOGENDES" ja auch das bekümmerte "SORGENDE" an das gleiche freie D legen können, wisperte es zweifelnd im Zuschauerraum. Hätte es da nicht 80 statt beeindruckender 61 Punkte geben können? Die Zuschauer, auf speziellen Scrabble-Blöcken platziert, konnten das Spiel per Viedeobeamer mitverfolgen.

Das ursprüngliche Scrabble-Spiel hieß übrigens "Lexico" und wurde gar nicht auf einem eigens angefertigten Spielbrett, sondern frei auf dem Tisch gespielt. Der Erfinder, ein amerikanischer Architekt namens Alfred Mosher Butt, versuchte es 1931 erfolglos patentieren zu lassen. Auch nach seiner 1938 zu "Criss-Crosswords" entwickelten Spielbrett-Variante pfiff kein Schwein, und so verkaufte Butt die Spielidee gegen Provision an den Anwalt James Brunot. Der änderte den Namen zu "Scrabble" und ist mitverantwortlich dafür ist, dass bis heute über 100 Millionen Spiele verkauft wurden. Das Wort "SCRABBLE" akzeptierte sogar die gestrenge Dudenredaktion, die die Scrabble-Turniere in Deutschlands ebenfalls sponsort.

Im Berliner Showdown gewann Michel am Ende jedenfalls haushoch, und die Zuschauer durften ihrem Wortschatz einige neue Vokabeln hinzufügen: im Scrabble-Duden enthaltene Stilblüten wie "CUTT" (zulässige Form von Cutten, also Filmszenen schneiden) oder "IXE" (erste Person Singular von Ausixen) sowie eben GRILLIG.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!