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Architekt Hübner über bessere Bildungsorte"Schulen sind in Wahrheit Kasernen"

Wer Schule zu Kraftorten machen will, der soll Konjunkturmilliarden nicht verkleckern, findet Architekt Peter Hübner: Das Klassenzimmer von gestern darf nicht Maßstab für das Lernen von morgen sein!

"Ich sehe nicht, wo in den Einheitsschulbauten der Augensinn der Kinder angesprochen wäre." Bild: ap
Interview von Christian Füller

taz: Herr Hübner, jahrelang haben die Schulen vor sich hingeschimmelt. Jetzt kommt die große Bundeskohle aus dem Konjunkturprogramm. Freuen Sie sich darüber?

Peter Hübner: Ja und nein. Gut, dass die Schulleiter jetzt die Klos wieder festschrauben lassen können, die Wände neu malern und die Türen erneuern. Die Maler und Schreiner werden ad hoc damit beauftragt. Das Geld kann sofort abfließen, prima. Allerdings macht das Schulen noch lange nicht zu Leuchttürmen.

Wo liegt das Problem?

Es ist die Gießkanne. Wir haben 40.000 Schulen in Deutschland. Wenn jede gleich viel bekommen soll, dann verkleckern die knapp neun Milliarden ganz schnell. An die Banken gehen hunderte von Milliarden Euro - aber in die Schulen investieren wir nur einen Bruchteil davon. Obwohl die Schulen, genau besehen, unsere Banken der Zukunft sind. Denn dort wird unser großer Schatz gehütet, die Talente, die Kreativen, die Manager von morgen.

Wie viel Geld bräuchte man, um die Lehranstalten zu Orten des Lernens zu verwandeln?

Ich schätze, wir müssten die Investitionen um den Faktor 10 erhöhen. Erst dann könnten wir zukunftsweisende Gebäude umgestalten und bauen, in denen unsere Kinder neu und besser lernen könnten. Wir haben ein miserables öffentliches Bildungswesen. Das können wir an den schlechten Pisaergebnissen genauso sehen wie an den hässlichen und kalten Schulhäusern. Wenn wir jetzt nicht das Geld und die Ideen aufbringen, dann betonieren wir ein altes pädagogisches Konzept auf Jahre hinaus fest. Ich glaube nicht, dass wir uns das leisten können.

Was stört sie an Schulen: dass sie verwahrlost sind - oder dass sie falsch gebaut sind?

Mich irritiert stets, dass sie in Wahrheit gar keine Schulen sind. Wir sehen keine Orte für das Leben und das Lernen, sondern Kasernen. An langen Fluren steht ein Raum neben dem anderen stramm. Alle Klassenzimmer haben dieselbe Form. Die Kinder werden hineingepfercht, alle nach vorne zur Tafel ausgerichtet. Der Lehrer schreibt an, die Kinder schreiben ab. Das ist eine industrielle Anordnung, der die Massenabfüllung als Idee zugrunde liegt.

Übertreiben sie nicht?

Hand, Herz und Kopf müssen gleichzeitig entwickelt werden. Ich sehe nicht, wo in den Einheitsschulbauten der Augensinn der Kinder angesprochen wäre. Damit geht eine Verarmung der Sinne einher. Wir leisten der Erzeugung von "Gefühlskrüppeln" Vorschub. Die Kinder werden in den standardisierten Klassenzimmern zu Mitläufern dressiert, sagt Wolfgang Harder, der ehemalige Rektor der Odenwaldschule. Denn das hat nichts mit dem zu tun, was wir im 21. Jahrhundert brauchen: Das Potenzial jedes Einzelnen zu erkennen und zur Geltung zu bringen. Die Freiheit zu haben, je nach Thema und Aufgabe Teams von Schülern bilden zu können. Zu experimentieren, zu forschen, zu denken. Auf dem Münsteraner Konvent werden wir mit dem Archiv der Zukunft darüber nachdenken, wie man Architektur und neues Lernen zusammenbringt.

Haben Sie selbst denn im Klassenzimmer nichts gelernt?

Habe ich, aber das Gestern kann doch kein Maßstab für das Lernen von morgen sein! Ich sehe meine beiden Enkel, die zwei und vier Jahre alt sind. Und ich frage mich, was uns dazu bringt, die Neugier und das Interesse dieser kleinen Forscher abzuwürgen, indem man sie mit Gleichaltrigen in ein Zimmer sperrt. Für viele verschiedene Lernformen brauche ich verschiedene Räume, eine differenzierte Lernlandschaft: große und kleine Klassenräume, Aulen, Lernnischen, Labore und Werkstätten. Niemand von uns kommt, wenn man ihm eine komplexe Aufgabe im Beruf stellt, auf die Idee, sich in ein Klassenzimmer zu begeben, um dort nachzudenken. Niemand. Aber unseren Kindern muten wir das zu. Manchmal frage ich mich, in welchem Entwickungsstadium sich eine Gesellschaft befindet, die ihre wissbegierigsten Köpfe in Schulbänke setzt und einnordet. Die ersten beginnen schon, sich dagegen zu wehren.

Was meinen Sie damit?

Unsere öffentlichen Schulen sind in einem so erbärmlichen Zustand, dass die Leute in die Privatschulen fliehen. Nicht nur in Berlin übergibt jeder, der 2,50 Euro übrig hat, seine Kinder den Privaten. Das darf der Staat nicht zulassen. Wir müssen richtig viel Geld in die Hand nehmen und in jeder Stadt eine Zukunftsschule bauen. Frau Merkel und Frau Schavan sollten sich das vornehmen. Ich verstehe auch nicht, warum die Lehrer das mitmachen. Schule sind ihre Orte, an denen sie die meiste Zeit verbringen. Die müssen sich doch wohlfühlen. Wir bauen gerade in Moers eine Schule, da wird es einen Chill-out-Raum für die Lehrer geben. Ein Ort, an dem sie sich auch mal einen Moment hinlegen können. Alles von Schülern geplant.

Sie bauen und planen ihre Schulen mit den Schülern. Hand aufs Herz: Können 9-Jährige eine Schule planen?

Können sie. Wir machen es nie anders. Gerade haben wir in Berlin den Um- und Anbau einer evangelischen Schule geplant. Es ist der Entwurf einer wunderschönen Aula entstanden, die zwei Plattenbauten verbinden wird. Die Kinder sind es, die uns die Ideen geben. Wir sind allenfalls die Berater und diejenigen, die etwas umsetzen. Das Spannende dabei ist, dass die Identifikation mit den dabei entstehenden Orten weit über die tatsächlichen Teilnehmer hinausreicht.

Das verstehe ich nicht.

Wir haben vor 25 Jahren mit Kindern ein Jugendhaus gebaut. Und noch heute sagen 10-Jährige dort: Das ist unser Haus - obwohl sie damals selbstverständlich nicht dabei waren.

Wie kommt das?

Wir haben lange gebraucht, um herauszufinden, worin dieses Besondere besteht. Wir nehmen an, dass es sich auf natürliche Weise entwickelt, wenn man die Kinder selbst planen lässt, wenn man ihre Wünsche ernst nimmt. Das ist nicht nur mühsam und zeitraubend, sondern ein fruchtbarer Prozess. Er hinterlässt tiefe Spuren bei den Kindern. Es entsteht das Gefühl einer selbst bestimmten, maßgeschneiderten Entwurfslösung. Loris Malaguzzi, der Vordenker der Reggio-Pädagogik, sagt, dass der erste Lehrer die Kinder, der zweite die Lehrer selbst und der dritte der Raum ist. Wir finden, dass die viel gescholtenen Kinder von Natur aus nicht das Problem sind. Sie werden als Entdecker und Erfinder geboren - und sie wissen offenbar am allerbesten, wie man die Räume von Schulen zu Orten macht, die etwas mit ihnen zu tun haben und von denen Kraft ausgeht.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf: Wer jetzt große Projekte macht, der gibt das Geld an die gutbürgerlichen und gut organisierten Schichten, die ohnehin immer einen Plan in der Schublade haben.

Da ist was dran. Es wäre aber auch falsch zu sagen, wir bauen jetzt nur noch Hauptschulen um. Wir erleben gerade so ein Projekt. Eine Schule, die eigentlich ein zusammengewürfelter Rest ist. Wir merken, dass diese angeblichen Rabauken wahnsinnig engagiert sind und sehr stolz auf das, was sie da erschaffen. Es geht also auch woanders. Nur finde ich es falsch, auf den anderen Schulen herumzuhacken. Jedes nicht gebaute schöne Schulhaus ist ein Verlust.

Gibt es so etwas wie kleine Tricks, mit denen man einen verhunzten Schulbau wenigstens übergangsweise leb- und lernbar machen kann?

Ja, das versuchen wir gerade mit der evangelischen Schule in Mitte. Es entsteht ein neues Forum, wie es zum Konzept der Schule gehört. Gleichzeitig wollen wir die bauliche Substanz der beiden Plattengebäude umgestalten. An den Kopfenden soll es Klassenräume geben, in der Mitte wäre es denkbar, größere Areale für das klassen- und jahrgangsübergreifende Lernen entstehen zu lassen. Wenn alle Beteiligten sich zusammenraufen, können wir aus der Platte dort eine schöne Schule machen. Wenn man die Fassade noch renoviert, wird das wunderbar. Dann machen sie aus einer Schule, in der die Gewerbeaufsicht heute keinen Betrieb zulassen würde und die derzeit wegen ihrer famosen Heiztechnik den Bezirk Mitte warm hält, eine ökologische und pädagogische Musterschule.

Was kostet das?

Ich habe es ja gesagt, mich frustriert die Gießkanne. Geben Sie mir 3 Millionen Euro, und ich baue ihnen das so um, dass die Leute von überall herkommen.

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6 Kommentare

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  • W
    wanja

    So weit wir in einer Gesellschaft leben, die den

    Konkurrenz k a m p f preist, und fordert, dass Kinder möglichst gut auf diesen vorbereitet werden, ist Schule als Kaserne doch gar nicht unpassend. Darüber hinaus steht ja vielleicht in einigen Jahrzehnten der nächste Krieg wegen wirtschaftlicher Ressourcenkämpfe an (wie immer gemixt mit Nationalismus oder Rassismus), nur diesmal nicht Deutschland Frankreich um Kohle- und Eisenerzgebiete, sondern Europa gegen China oder so ähnlich. Auch darauf bereiten Kasernen unsere Kids doch (ver)blendend vor, oder? [vorsicht, ein bisschen ironisch].

  • MR
    Matthias Rohs

    Ohne Frage ein in allen Punkten zu unterstützender Ansatz der in dieser Form auch auf viele Hochschulen und wahrscheinlich auch Einrichtungen der Dualen Berufsausbildung zu übertragen ist. Die Ansätze zu einer lernförderlichen Gestaltung von Bildungseinrichtungen sind dabei nicht nur ein deutsches "Problem". Auch die American Architectural Foundation engagiert sich in gleicher Richtung.

    Dies ist richtig und wichtig, aber sicherlich eine eher ein mittel- bis langfristig wirkende Massnahme. Im ersten Schritt müsste es doch darum gehen aus den vergilbten Klassenzimmern mit abgerissenen Vorhängen und den Toiletten ohne Handtücher und Seife (!) Räume zu machen, in denen man sich wohlfühlt. Nicht selten sind es ja die Eltern, die in Kooperation mit den KlassenlehrerInnen Hand anlegen. Solche Initiativen finanziell zu unterstützen wäre doch schon mal ein Anfang, der sicherlich viele motivieren würde. Denn der Frust ist nicht nur bei den Eltern.

  • A
    ARE

    Genialer Ansatz!!!!

  • AC
    Anna Coels

    Ich finde es wunderbar, was Herr Hübner schreibt. Und verstehe nicht, warum es so ewig dauert, bis sich in Deutschland etwas entsprechend entwickelt.

     

    Ich denke auch, dass kleine Menschenkinder so wunderbar lernfreudig geboren werden und es klar ist, dass sie eine vielfältige, lebendige, anregende, die Neugier erhaltende Umgebung brauchen, um zu gedeihen und diese Lernfreudigkeit lebendig zu halten.

     

    Eine Grundschullehrerin in Frankfurt erzählte mir, dass sie noch nicht einmal die Bilder der Kinder ihrer Klasse im Flur aufhängen darf. Es sei feuerpolizeilich verboten.

     

    Es gibt unendlich viel zu tun und ich HOFFE, es gibt mehr Erwachsene wie Herrn Hübner, die Kinder mögen und respektieren, selbst neugierig und lernfreudig sind, damit sich etwas zum Guten verändert.

  • P
    peter

    Ein Artikel, der mir aus der Seele spricht!!!

    Nach der Renovierung war unsere Schule hässlicher als vorher, zwar war sie nie schön, aber man hätte es besser machen können. Hinzu kamen planerische Fehler, die einem 10-jährigem Schüler nie passiert wären.(Wasser fließt nunmal nicht bergauf, also muss der Regenwasserablauf auf dem Dach an der niedrigsten Stelle sein, aber erzähl das mal dem Architekten). Wieso gibt es keine überregionalen Architekturwettbewerbe für Schulen?

    Für andere repräsentative Gebäude ist mehr Geld da, wieso kann man die 100 Mrd. für die Banken nicht komplett in die Bildung investieren? Dann hätten wir vorgesorgt. Peter Hübner hat es erkannt, in anderen Ländern wurde dies in den 70ern umgesetzt.

  • LP
    Lduwig Paul Häußner

    Welche Wunder, wenn wann die Schulen als die Lernfabriken der längst vergangenen Industriegesellschaft auffasst.

     

    Tätsächlich herrscht in Militäranstalten, Vollzugsanstalten und Erziehungsanstalten ein besonderes Gewaltverhältnis.

     

    Deshalb gilt weiterhin Humbodlts Ausspruch:

     

    "Öffentliche Erziehung scheint mir daher

     

    ganz außerhalb der Schranken zu liegen,

     

    in welchen der Staat seine Wirksamkeit halten muss."

     

     

    Hätten wir frei-öffentliche Schulen in Selbstverwaltung würden auch die Chancen für kindergerechte Schulbauten steigen.

     

    Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe