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Portrait Martin WoelfferDer geduldete Theaterdirektor

Martin Woelffer ist Chef der Bühnen "Komödie" und "Theater am Kurfürstendamm". Deren Mietvertrag ist abgelaufen, es droht der Abriss, jederzeit kann Schluss sein. Woelffer tut trotzdem alles, dass weiter Theater gespielt wird. Warum? Ein Besuch.

Woelffers Traum: Die Boulevardtheater am Kudamm bleiben erhelten : dpa

Der Theaterdirektor hatte sie alle: Katja Riemann, Katharina Thalbach und Susanne Lothar. Auch Otto Sander, Ingolf Lück und Ulrich Wildgruber. Ihre VorgängerInnen sind Legion, die Großen des populären deutschen Theaters. Hunderte, tausende waren es, die seit den 20er-Jahren in der "Komödie" und dem "Theater am Kurfürstendamm" gastierten. Für das Boulevardtheater, manchmal auch ne richtige Schmiere, war sich kaum jemand zu schade. Im Gegenteil.

Martin Woelffer, der 45 Jahre alte Theaterdirektor, hat sie alle nach wie vor. Aber er hat keine Theater mehr. De jure jedenfalls. Er und seine beiden Bühnen befinden sich in einem Zustand, den in Berlin etwa Asylbewerber ertragen müssen. "Wir spielen in der Komödie und im Theater am Kurfürstendamm weiter unser Programm. Alle wollen das: ich, das Personal und die Schauspieler sowieso. Aber wir haben keinen Mietvertrag mehr. Wir sind quasi nur geduldet." Woelffer hebt dabei die Hände und lässt sie beim Wort "Duldung" wieder sacken: "Würde morgen der Besitzer einfach die Tür abschließen, hätten wir nichts in der Hand. Es wäre das Aus."

Irgendwie hat sich Woelffer äußerlich diesem Duldungszustand angepasst. Einen echten Boulevard-Theaterdirektor stellt man sich anders vor. Mehr Zigeunerbaron-mäßig oder als Impresario. Woelffer kommt in Jeans, etwas ausgebeultem Seemannspullover und strubbeligem Haarschopf zur Verabredung. Er ist verspätet und gleich wieder auf dem Sprung, von der Intendanz hinunter ins Büro: "Martin, schau dir mal die Fotos an, geht das?". Es geht. Durch die Kudamm-Karree-Passage kurvt Woelffer wie durch sein Wohnzimmer. Treppe runter, vorbei an den Porträts von Inge Meysel, der Mira, Claus Biederstädt und vielen anderen, den Gang raus, Abkürzung quer über den Hinterhof, ein kurzer Stopp bei den Tischlern in der Bühnenwerkstatt und Schauspielern, die im Bistro Rippchen mit Kartoffelbrei und Kraut essen. "Willst du nicht auch nen Teller?" Woelffer reicht die Szenenfotos rum. "Komme ich als Ausschnitt nicht besser?", fragt Markus Majowski, ein Schauspieler. Es wird gequatscht und Quatsch mit Woelffer gemacht.

Echter Familienbetrieb

"Wir sind seit drei Generationen ein Familienbetrieb, ein privater Theaterbetrieb mit rund 80 Mitarbeitern und ebenso vielen Schauspielern pro Spielzeit. Da hat man für alle Mitarbeiter nicht nur die Verantwortung, sondern muss diese auch zeigen. Was meinen Sie, was ich in unserer bedrohten Situation alles erklären musste. Immerhin: Keiner hat gekündigt." Vielleicht, weil Woelffer so ein netter Kerl ist und er tief in Schwierigkeiten steckt.

Wenn der Direktor das Bedrohungsszenario für die beiden Theater wie einen Bühnenmonolog rezitiert, fällt über sein jungenhaftes Gesicht ein melancholischer Schatten. Der Blick geht sekundenlang ins Leere, Woelffer dreht an seinem Ring. Dann rappelt er sich auf, lächelt sanft, weil er sich ertappt fühlt - und holt wieder tief Luft. Es folgt eine lange Liste aus Kündigungen, Räumungsfristen, Hoffnungen und "politischen Enttäuschungen", wie er sagt, denn die Hauptschuld an seinem Theaterdesaster gibt Woelffer dem Senat. Der habe Mist gebaut. Doch dazu später.

Die Geschichte über die beiden gefährdeten Boulevardbühnen am Kurfürstendamm mit ihren insgesamt 1.200 Plätzen kennt in Berlin mittlerweile fast jeder. Seit 2003 wechselt das Kudamm Karree, in dem die beiden Bühnen nebst Hochhaus und öder Einkaufspassage beheimatet sind, regelmäßig seine Eigentümer. Die drohen mit Kündigungen und Abrissen.

Derzeit besitzt der irische Projektentwickler Ballymore das Kudamm-Karree. Dessen Priorität: Die beiden traditionsreichen Bühnen aus der Ära Max Reinhardts sollen samt Karree abgerissen werden. Immerhin wollen sie einen Theatersaal in dem geplanten Neubau "als Ersatz" rekonstruieren, samt Stuck, rotem Samt, Gold- und Jugendstildekor.

Es würde ein Fake. Ob das so kommen wird, ob überhaupt Ballymore baut, weiß angesichts der Finanzkrise derzeit niemand. Verträge jedenfalls fehlen. "Es gibt Verabredungen", so der Theaterdirektor. Man spielt mit besagter "Duldung".

Hört man Woelffer zu bei der Geschichte, weiß man nicht recht, ob er sich über diese Option freut. In der Szene, bei Otfried Laur vom Berliner Theaterclub oder der grünen Kulturpolitikerin Alice Ströver jedenfalls geht die Gleichung "eins statt zwei" nicht auf. Auch Woelffer ist sich unsicher: "Ich liebe diese beiden Theater, sie sind einzigartig in Berlin. Und es ist keine Frage, dass ich will, dass sie erhalten bleiben." Dann sagt weiter: "Ich bin froh, dass uns mit Ballymore zum ersten Mal ein Investor als Partner ernst nimmt. Ein Theater ist besser als gar keins." Ja, was nun? "Wissen Sie, ich lebe derzeit mit diesem Spagat. Es ist ein Dilemma, aber ich halte das aus."

Woelffer ist der Hin-und-her-Direktor. Er ist kein Alphatier wie Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles; er ist auch nicht der Patron eines Familienunternehmens, wie sein Vater Jürgen es war - und noch immer abgibt. Er ist eher eine Mischung aus Chef und guter Bühnengeist, Schlingensief und ernsthafter Boulevardmacher, ein Kommunikator, aber nicht großmäulig, freundlich, auf keinen Fall ein harter Hund, eher nachgiebig.

Und er hat ein Konzept: die "Verjüngung des Boulevards", die etwa bei Katharina Thalbachs Inszenierung von Shakespeares "Wie es euch gefällt" zum Tragen kommt. Es ist eine Großproduktion und durchaus erfolgreich. Woelffer will Klassiker wie Molière, Shakespeare oder Fallada und junge Autoren, anspruchsvolle populäre und intelligente Stücke mit guter Besetzung auf die Bühne bringen, "Theater für ein neues Publikum" machen. Boulevard, "das sind doch die Themen von der Straße, aus dem Volk - nicht Klimbim. Ist eine gute Komödie nicht gutes Theater?", fragt er rhetorisch. Die Bühnen haben 240.000 Besucher pro Jahr, Qualität steigend, Zuschauerzahlen fallend. Woelffer will Letzteres ändern, sich im Berliner Theaterbetrieb positionieren. Er muss es, sonst geht er unter, denn seine Privattheater kriegen keinen öffentlichen Cent.

Sorgen um die Zukunft

Seit 45 Jahren schnuppert Martin Woelffer Theaterluft. Und wie so oft in Theaterfamilien "sollte es natürlich bei mir in die andere Richtung gehen, nicht ans Theater". Woelffer studierte dann doch Germanistik, jobbte am Theater, weil es Geld gab und der Alte es so wollte. "Dann bin ich abgehauen, weg, eineinhalb Jahre nach Madrid." Er brauchte diese Distanz, sagt er, um wieder Nähe zum Theaterleben und zu seiner -familie zu bekommen. 1990 stieg er als Regisseur ein. Mit den Bühnen ist er seither verheiratet, mit der Schauspielerin Angela Schmid-Burgk ebenfalls.

Im Restaurant neben der Komödie wartet Schauspieler Klaus Chatten auf Woelffer. Sie kennen sich seit Langem, Chatten geht mit Molières "Menschenfeind", nach einer Woelffer-Regie in der Komödie 2006, jetzt auf Tournee. Eigentlich war verabredet, über das Stück zu sprechen. Jetzt reden sie über die aktuellen Sorgen und wie man das durchhält. Chatten sagt, er habe manchmal geglaubt, dass Woelffer "es hinschmeißt, wenn es nicht bald eine Lösung gibt". Und er bewundere ihn dafür, dass er "so weiterkämpft". Er, Chatten, habe vor so was einen Horror. "Martin, suchst du nach Ausweichquartieren, hilft dir dabei jemand?", fragt er.

Es ist wie beim Stichwort auf der Bühne. Klar, der Senat habe seine Hilfe angeboten, es stünden ja Häuser - wie die "Tribüne" - leer, antwortet Woelffer. "Aber den Glauben an die Politik habe ich bei dem Procedere verloren." Was folgt, ist die Schmach, die die Theater erfahren haben. Als das Kudamm-Karree 2003 an den ersten Käufer, die DB Real Estate, ging, hatte die grüne Kulturexpertin Alice Ströver herausgefunden, dass das Land Berlin zuvor die kulturelle "Zweckbindung des Gebäudes" für 4 Millionen Euro verkauft hatte. Man gab die Bühnen damit "zum Abschuss" frei. Diesen Vorgang habe Wowereit gekannt, aber damals den Theaterpächtern nicht transparent gemacht. Der Regierende hätte nach Ansicht Strövers die Theater unter Denkmalschutz stellen und damit retten können. Dies habe er "in verantwortungsloser Weise versäumt", sagt Ströver noch heute.

Woelffer mit seinen Theatern - und den Kulturstandort City-West - habe diese Nachricht damals "wie ein Schlag" getroffen, sagt er. Die Politik habe ihn beschädigt. Von ihr fordert er, dass diese - mit oder ohne Ballymore - "sich um ein tragfähiges, zukunftweisendes Konzept" bemüht. Wenigstens bemüht.

Wowereit macht nichts derzeit. Stattdessen trommelt derzeit der Theaterclub mit gelben Protestplakaten in der ganzen Stadt für den Erhalt der Bühnen. Woelffer freut das natürlich. "Ohne die Öffentlichkeit wären wir längst platt", sagt er.

Der Verein Rettet die Kudamm-Bühnen ruft für den 30. März zu einer Kundgebung für den Erhalt der beiden Theater auf. Ab 16 Uhr soll davor gegen den Abriss des Gebäudekomplexes demonstriert werden

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