Neues Museum öffnet die Türen: Schlange stehen und überwältigt werden
Tausende warten stundenlang im Regen, um am ersten Tag der offenen Tür das rekonstruierte Neue Museum zu besuchen. Wer drin ist, hat Platz und Zeit, das Werk von Architekt Chipperfield auf sich wirken zu lassen. Wer rauskommt, ist begeistert.
Der hagere Mann mit der Baseballkappe regt sich auf. "Seit eineinhalb Stunden stehe ich an", schreit er die Handvoll Eltern mit Kleinkindern und Senioren an, die an ihm vorbei zum Eingang des Neuen Museums durchgelassen werden. "Und Sie ziehen hier einfach durch!" Schwerbehinderte sowie Mütter und Väter mit Säuglingen müssen sich nicht in die Schlange einreihen, die sich seit dem Morgen vor dem Neuen Museum gebildet hat. Sie dürfen direkt zum Haupteingang durchgehen. Dass die Bevorzugten einen Schwerbehindertenausweis haben, ist dem echauffierten Mann indes egal. "Haufenweise gehen die hier durch", schimpft er unverdrossen weiter.
Es ist kurz nach zehn Uhr. Vor wenigen Minuten sind die Tore des Neuen Museums zum ersten von drei "Tagen der offenen Tür" aufgeschlossen worden. Zweieinhalbtausend Menschen wollen hinein. Die Schlange zieht sich um den Lustgarten bis hinüber zum Dom und weiter, mehrere hundert Meter lang. Bis zum Abend wurden 10.000 Besucher erwartet.
Gerda Rychlik ist der Zornesausbruch des wartenden Mannes egal. "Ich bin sehr gespannt", sagt die feingliedrige ältere Berlinerin, die zusammen mit ihrem Mann direkt zum Eingang gehen darf. "Ich hätte ja nie erwartet, dass wir das noch erleben dürfen." Rychlik hat das Gebäude vor wenigen Jahren besichtigt, bevor die Renovierung begann. Damals habe sie nicht für möglich gehalten, dass aus der Ruine so schnell wieder ein vollständiges Haus wird, sagt sie.
Maximal 1.200 Besucher dürfen in das leere Museum. Die Wächter am Eingang lassen die Menschen schubweise ein, in ständigem Kontakt mit den Kollegen am Ausgang. Innen ist es angenehm luftig, es bleibt ausreichend Raum und Muße, um sich die wiederhergerichteten und mit neuen Elementen ergänzten Hallen anzuschauen.
"Ich bin überwältigt, was der Architekt aus dem alten Material gemacht hat", sagt Rosemarie Petri. "Es ist so liebevoll, man kann die Streicheleinheiten für das Gemäuer spüren." Die ältere Frau zeigt sichtlich beeindruckt auf eine Wand im Ethnografischen Saal, auf der ein Teil der ursprünglichen Bemalung erkennbar ist. Nicht erhaltene Flächen sind weiß ergänzt. "In der DDR hätte man das anders gemacht, da hätte man sich nicht diese Mühe aufgebürdet, sondern einfach drübergemalt", sagt Petri, die aus Ostberlin kommt. Sie habe darunter gelitten, dass jahrzehntelang gar nichts an dem Gebäude gemacht wurde.
Ähnlich wie Petri äußern sich die meisten. Kritik kommt allenfalls verhalten - Katharina Kardorf aus Potsdam etwa hätte sich etwas mehr Rekonstruktion und weniger Ergänzung gewünscht. "Ich hätte nicht gedacht, dass es noch so fragmentarisch ist."
In der Treppenhalle stehen die Menschen lange, schauen, fotografieren. Gelungen, heißt es unisono, überzeugender als auf vorab gesehenen Bildern. "Hier ist der Chipperfield-Gedanke schon extrem", sagt Karsten Ritter aus Bremen. "Die Idee aber finde ich gut." Die Treppe ist der wohl umstrittenste Teil der Arbeit von Architekt David Chipperfield - auch wenn sie nun steht, geht die Diskussion weiter: An der Ecke zum Lustgarten hat die Gesellschaft Historisches Berlin einen Stand aufgebaut. Sie wirbt bei den Wartenden unverdrossen für die Wiederherstellung der Originalfassaden und der Treppe. Eine Diskussion kommt zum Leidwesen der drei Vereinsmitglieder nicht zustande. Die Wartenden wollen rein - und die, die rauskommen, sind einfach nur begeistert.
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