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Grippeviren von der Schweine-FarmTödliche Evolution

Virologen vermuten, dass die neuen Grippeviren im Schwein entstanden sind. Auf fast allen Schweine-Farmen in Nordamerika sind H1N1-Viren zu finden.

Medizinische Versorgung im mexikanischen La Gloria. Bild: ap

Die Einschätzungen über die Gefährlichkeit der Schweinegrippe gehen bei den Experten weit auseinander. Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die höchste Warnstufe vor einer weltweiten Epidemie ausgerufen hat, stufen andere Experten den Erreger der „Mexikanischen Grippe“ als „nicht gefährlicher als ein normaler Grippevirus“ ein. Sie verweisen vor allem darauf, dass außerhalb von Mexiko noch keine um sich greifenden Mensch-zu-Mensch-Infektionen mit dem Influenzavirus „A/H1N1 California“ nachweisbar sind. Dies wird als ein Indiz dafür gewertet, dass die Infektiosität nicht so hoch sein kann, wie bespielsweise bei einem „normalen Grippevirus“. Gerätselt wird jedoch immer noch darüber, wo die Mexikanische Grippe eigentlich ihren Ursprung hat.

Die genetische Analyse des Virusgenoms ergab, dass der Virustyp California zuvor noch niemals aufgetaucht war. Grippeviren aus der H1N1-Gruppe sind zwar schon seit 1918 bekannt. Der Verursacher der Spanischen Grippe, die Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit bis zu 55 Millionen Todesopfer gefordert haben soll, war ein H1N1-Virus. Er ist damals auch das erste Mal in Schweinen nachgewiesen worden. Auch der für die diesjährige Grippewelle bei uns verantwortliche Virus gehört zu der H1N1-Gruppe. Doch genetisch und immunologisch sind die Unterschiede so groß, dass zum Beispiel die vorhandenen Impfstoffe bei dem Erreger der Mexikanischen Grippe nicht wirken.

Der Virustyp California ist so neu, dass er selbst bei Schweinen noch niemals isoliert worden ist. Die Bezeichnung Schweinegrippe ist daher für die aktuellen Infektionen nicht gerechtfertigt. Stattdessen wird vorgeschlagen, die Krankheit als „Mexikanische“ oder „Nordamerikanische“ Grippe zu bezeichnen.

Obwohl der Nachweis noch fehlt, wird vermutet, dass der „Virus seinen Ursprung im Schwein“ habe, sagt Professor Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts. Wann er das Schwein verlassen habe, sei nicht bekannt.

Zusammengesetzt ist der Verursacher der Mexikanischen Grippe aus genetischen Segmenten, die ursprünglich von verschiedenen Viren abstammen, die in Schweinen, Vögeln oder Menschen zu finden sind. Wo und wann der California-Virus sich aus den verschiedenen „Bausteinen“ zusammengesetzt hat, ist unklar.

In dem britischen Wissenschaftsmagazin New Scientist berichten Virologen, es war vorhersehbar, dass die H1N1-Viren der Schweine auch für Menschen gefährlich werden können. Seit über zehn Jahren sind H1N1-Viren auf fast allen Schweine-Farmen in Nordamerika zu finden. Sie sind inzwischen endemisch geworden. Die „Schweine-Produzenten“ haben sich darauf eingestellt. Die Tiere werden regelmäßig geimpft. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die H1N1-Viren sich schon seit der großen Grippe-Pandemie 1918 in den Schweinepopulationen weltweit ausbreiten. Seit dem verändern sie sich kontinuierlich. Entweder über Mutationen oder indem sie Gene oder ganze Gengruppen von anderen Grippeviren aufnehmen. Und manchmal entwickeln sich dann Viren, die Menschen infizieren oder sogar tödliche Krankheiten auslösen können.

So sind zum Beispiel 1998 in Minnesota, Iowa und Texas hybridisierte Viren entdeckt worden, die sich seitdem in ganz Nordamerika ausbreiteten. Untersuchungen ergaben, dass ein Fünftel aller Arbeiter auf Schweine-Farmen Antikörper gegen den Schweinegrippe-Virus haben. Sie müssen sich irgendwann einmal damit infiziert haben.

Diese Viren, die auch weiterhin ständigen Veränderungen unterlagen, könnten die Ursache für den aktuellen Grippeausbruch sein. Die ersten Grippeopfer in Mexiko gab es in dem Ort La Gloria, östlich von Mexiko City. Drei Kinder starben dort. In der Nähe befindet sich eine Schweine-Farm. Sie gehört einem Tochterunternehmen des US-Konzerns Smithfield Foods. Das Unternehmen produziert auf seinen Farmen jährlich eine Million Schweine. Der US-Konzern jedoch wiegelt ab: Es gebe keinerlei Hiweise dafür, dass die Grippeviren von der Schweine-Farm kämen, sagt der Lebensmittelkonzern.

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1 Kommentar

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  • BW
    be. wa.

    " ... produziert auf seinen Farmen jährlich eine Million Schweine. ..." Das verb "produzieren" sollte zu denken geben, zumal es tatsächlich (leider) passend ist.

     

    Wo solche hoch bewusstseinsbegabten Wesen nicht mehr als individuelle Subjekte, sondern nur noch als Objekte der Manipulation, z. B. zwecks Vermarktung, gesehen werden, herrscht ein tiefgreifender ethischer Kompetenzmagel. Steinzeitliche Jagdkulturen hatten offenbar die von ihnen erlegten Tiere noch mehr als individuelle Subjekte betrachtet. Auch dieses mentale "Virus" der Nicht-Achtung springt seit Jahrtausenden auf die Mensch-zu-Mensch-Beziehungen über. Es gibt eine Verwandtschaft zwischen Schlachthöfen einerseits und sog. "Massenmord" an Menschen andererseits, sei es durch Bomben oder Maschinengewehre, Amokläufe oder Blausäuregas (vgl. die NS-Gaskammern) oder wie auch immer. Verwandtschaft ist nicht Gleichheit, sollte aber zu denken geben.

     

    Hinzu kommt: Da die Menschheit aufgrund ihrer Populationsgröße sich nicht mehr nachhaltig von Wildtieren ernähren kann, aber auch nicht vegan lebt, sind Grippeviren, die in den Hudnerten von Millionen gefagnene Tieren heranbilden, immer nur eine Frage der Zeit, bis sie dann zu hoch-gefährlichen Erregern werden.

     

    Leider wäre freilich auch eine Population von nur 10 Mio Menschen, die ihre tierischen Nahrungsanteile nur von Wildtieren aus den Wald bezieht, nicht vor gefärhlichen Viren sicher - wie das evtl. bei Affen entstandene HIV zeigt. Aber das Risiko wäre viel geringer. Zudem ist die oben genannte ethische Dimension nicht zu vergessen.