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Kommentar Verteilungsstreit in der MedizinKörper sind keine Altautos

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Mit Wut im Bauch und moralischen Apellen kommt man nicht weiter. Es muss endlich mal ehrlich über die Gesundheitskosten gestritten werden. Längst schon wird heimlich rationiert.

W er erleben will, wie sich Gefühle in eine Gesellschaftsdebatte hineinfressen, der musste nur die Streitereien um den Deutschen Ärztetag verfolgen. Die Aggression, mit der Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe vorging, war ebenso beeindruckend wie die starken Worte der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, die Hoppe kurzerhand "Menschenverachtung" vorwarf.

taz

Barbara Dribbusch ist Sozialredakteurin der taz.

Doch mit Wut und Moral kommt man nicht weiter. Denn hier geht es nicht um das Abwracken von Altautos, sondern um die Verwundbarkeit der Körper. Und um die Verteilung und Begrenzung von medizinischer Versorgung. Darunter leiden durchaus auch die Ärzte. Denn das seit Anfang des Jahres geltende Honorarsystem kann dazu führen, dass manche niedergelassenen Mediziner einen Teil ihrer Leistungen für die Kassenpatienten nicht bezahlt bekommen. Das ist unfair.

Unschön aber ist es auch, diese Budgetierung nun auf die Patienten abwälzen zu wollen. Diese sollen nach einem Vorschlag des Ärztetages künftig für leichtere Erkrankungen selbst zahlen. So wird der Schwarze Peter nur hin und hergeschoben - doch längst rationieren viele Ärzte bereits heimlich, indem etwa Kassenpatienten länger auf Termine warten müssen.

Die entscheidende Grundfrage lautet: Soll das Risiko einer Erkrankung mehr auf die Betroffenen abgewälzt oder doch durch die Gemeinschaft aufgefangen werden? Darüber wird derzeit nicht wirklich offen geredet. Will man eine solidarische Lösung, dann muss sehr wohl über Beitragshöhen und höhere Bemessungsgrenzen auch für Besserverdienende gesprochen werden. Will man die Risiken individualisieren und Krankheit wieder zum Schicksal des Einzelnen machen, dann muss das auch klar gesagt werden. In einer alternden Gesellschaft wird die Versorgung des Körpers aufwendiger. So oder so.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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