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Konservativer EU-KommissionspräsidentWiederwahl Barrosos auf der Kippe

Im neu gewählten Europaparlament wird es aufgrund der Vielfalt der neuen Fraktionen schwieriger, Politik zu machen. Das könnte Kommissionspräsident Barroso schaden.

Bis zum Herbst vollends demontiert? EU-Kommissionspräsident Barroso. Bild: dpa

BRÜSSEL taz | Sechs Wochen nach der Europawahl haben sich die Fraktionen für die neue europäische Legislaturperiode weitgehend sortiert und ihre Vorsitzenden gewählt. Schon jetzt lässt sich sagen: Im Europäischen Parlament wird es schwerer werden, Mehrheiten für ein politisches Ziel zu organisieren. Konservative und Liberale bringen keine Stimmenmehrheit zusammen, auch ein links-grünes Bündnis wäre zu schwach. Der Anteil von Abgeordneten, die offen fremdenfeindlich sind oder die EU strikt ablehnen, ist von 12,2 Prozent auf ein Fünftel gestiegen.

Am rechten Rand sind zwei Gruppen entstanden: Die ECR (Europäische Konservative und Reformisten), in denen sich die britischen Tories mit anderen Euroskeptikern zusammengeschlossen haben. Die Tories gehörten bislang wie CDU und CSU zur Europäischen Volkspartei. In der EFD (Europa der Freiheit und Demokratie) bilden ebenfalls die Briten die stärkste Gruppe, mit den Abgeordneten der UKIP (United Kingdom Independence Party). Sie hält das Europaparlament für eine überflüssige Erfindung und fiel deshalb in der vergangenen Legislatur hauptsächlich durch Störmanöver auf. Jetzt hat sie sich mit Mitgliedern der ausländerfeindlichen italienischen Lega Nord und weiteren Splittergruppen zusammengetan. Die britischen Nazis und die französische Front National haben sich bislang keiner Fraktion angeschlossen.

Bevor das parlamentarische Geschäft neu geordnet und die Ausschussvorsitzenden bestimmt sind, hat das Hohe Haus schon seinen ersten Konflikt. Der Europäische Rat hatte am 19. Juni einstimmig beschlossen, Manuel Barroso informell für eine zweite Amtszeit zu küren. Auf seiner ersten Plenarsitzung am 14. Juli sollte das neue EP ihn wählen. Doch Sozialisten, Liberale und Grüne wollten sich nicht drängen lassen. Deshalb kündigte Ratspräsident Fredrik Reinfeldt an, die Wahl zu vertagen. Während die konservative Fraktion den Portugiesen vorbehaltlos unterstützt, sind die Sozialisten in einem Dilemma. Der alte und neue Fraktionschef Martin Schulz macht aus seiner Abneigung gegen den als neoliberal geltenden Kommissionspräsidenten kein Geheimnis.

Die sozialistische Fraktion im Europaparlament muss nun entweder den Regierungen ihrer Parteifreunde in den Rücken fallen oder jeden Anspruch auf eine eigenständige politische Linie aufgeben. Schulz kritisierte einerseits, der Portugiese habe in den vergangenen fünf Jahren gezeigt, dass er keine arbeitnehmerfreundliche Politik mache. Seine Vorschläge zur Finanzregulierung seien ebenfalls zu schwach. Andererseits deutete er an, seine Fraktion könne doch zustimmen, wenn Barroso bei den Arbeitnehmerrechten für bessere Standards kämpfe und den Gesetzentwürfen eine soziale Folgenabschätzung beifüge. Außerdem sollen sozialdemokratische Kommissare wichtige Ressorts erhalten wie die Entwicklungspolitik, den Binnenmarkt, den internationalen Handel und die Sozialgesetzgebung.

Die Grünen verlangen, dass die Wahl der gesamten Kommission frühestens im Herbst stattfindet, wenn nach einem irischen Referendum Klarheit besteht, ob der Lissabon-Vertrag in Kraft treten kann. Die neue Kofraktionsvorsitzende Rebecca Harms glaubt, dass bis dahin ein besserer Kandidat zu finden ist. Der neue liberale Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt hingegen schließt eine Bestätigung Barrosos nicht völlig aus. Der noch amtierende Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (EVP) will die ganze Prozedur am liebsten im September über die Bühne bringen. Bis zum Herbst, so seine Befürchtung, könnte der Portugiese vollends demontiert ein.

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