: Frust und Verbrechen
Nach Bambule-Einsatz im November 2002: In zweiter Instanz verurteilt das Landgericht zwei Prügelpolizisten wegen Verfolgung Unschuldiger zu Bewährungsstrafen
Ein Jahr Haft auf Bewährung für den Polizisten Gunnar O., zehn Monate für seinen Kollegen Jörg B.: Damit bestätigte das Landgericht Hamburg gestern im Kern das Urteil, das im August vergangenen Jahres das Amtsgericht über die beiden Beamten vom berüchtigten Einsatzzug-Mitte wegen „gefährlicher Körperverletzung im Amt“ und „Verfolgung Unschuldiger“ gesprochen hatte. Einzig beim Strafmaß zeigte das Gericht sich nun, nach 13 Verhandlungstagen, etwas milder. Trotzdem ist für O. (34) der Rauswurf aus dem Polizeidienst sicher, der 29-Jährige B. kann noch auf die Gnade seines Dienstherrn hoffen.
Für Richter Frank Wißmann bestand gestern kein Zweifel daran, dass die beiden Polizisten im Rahmen eines nächtlichen Bambule-Einsatzes am 19. November 2002 der Grafikerin Katja K. parallel „einen heftigen Schlag“ mit dem Schlagstock versetzt haben. „Es war eine Mischung aus Belastung durch monatelange Bambule-Aktionen und dem Stress an diesem Tage nach 14 Stunden Einsatz“, sagte Wißmann. „Sie sind in einem Augenblicksversagen einfach ausgerastet,“ fügt er hinzu, „weil sie geärgert hat, dass die Frau langsamer ging als die Polizei erlaubt – zumindest wenn sie die Straße räumt.“ Auch wenn der Schlagstockgebrauch grundsätzlich angeordnet worden sei, so der Richter, „heißt das nicht, dass er überall zulässig ist“.
Obwohl die Schläge bei K. keine gravierenden Verletzungen zur Folge gehabt hätten, sei die zierliche Frau weinend zusammengebrochen. „Solche Schläge“, konstatierte Richter Wißmann, „das weiß das Gericht aus lang zurückliegender eigener Erfahrung, sind sehr schmerzhaft.“
Doch erst nach dem eigentlichen Vorfall beginnt für das Gericht die Tragik der Ereignisse. Es komme häufig vor, „dass nicht die Anlass-Tat schwerwiegend ist, sondern die Reaktion darauf“: Da es Zeugen des Vorfalls gab, erstattete Bambule-Anwalt Manfred Getzmann noch vor Ort beim Zugführer Anzeige gegen die beiden Beamten. Der veranlasste offenbar, dass diese noch in der selben Nacht Gegenanzeigen fertigten, sich allerdings nicht abstimmten. B. wollte plötzlich von Katja K. mit dem Wort „Arschloch“ beleidigt und bespuckt worden sein, O. gab an, sich durch einen Flaschenwurf bedroht gefühlt zu haben. Obwohl beide nebeneinander gestanden hatten, hatten sie vom jeweils anderen Vorfall aber nichts bemerkt.
„Die Flasche hat es nie gegeben“, war sich daher das Gericht sicher, darüber seien sich alle Zeugen einig. Selbst wenn die Polizisten die Anzeigen nicht erstattet hätten, um K. „etwas anzuhängen“, sondern vielmehr, „um die eigene Haut zu retten“, sei der Tatbestand der falschen Anschuldigung durch Beamte – juristisch gesehen die Verfolgung Unschuldiger – keine einfache Straftat, sondern ein Verbrechen. Kai von Appen
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