Schanzenfest: Polizei soll fliegende Augen beim Schanzenfest zudrücken
Das links-alternative Fest im Hamburger Schanzenviertel wird Samstag fortgesetzt - die Polizei hatte es im Mai dieses Jahres vorzeitig aufgelöst. Im Vorfeld heizen brennende, von der Presse instrumentalisierte Autos und ein Marsch der NPD die Stimmung auf. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) bittet um Deeskalation.
Spannung in der Schanze: BewohnerInnen und 50 Gewerbetreibende sowie Stadtteilgruppen aus dem Hamburger Schanzenviertel haben angekündigt, dass sie am Samstag das Schanzenfest fortsetzen werden. Am 4. Juli hatte die Polizei das Fest gestürmt und vorzeitig beendet. Danach war es zu mehrstündigen Krawallen gekommen. Vor dem Hintergrund der Ereignisse des ersten Festes in diesem Jahr werde "das neuerliche Fest die politische Antwort auf die polizeiliche Eskalationsstrategie sein", heißt es aus Organisatoren-Kreisen. Unklar ist, wie die Polizei auf die Ordnungswidrigkeit reagiert - das Fest ist nicht angemeldet. 2.500 Polizisten aus mehren Bundesländern stehen bereit.
Schon seit Tagen läuft in den Medien eine Kampagne gegen das nichtkommerzielle, links-alternative Fest. Eine Serie von Brandanschlägen auf Autos im ganzen Stadtgebiet wird unter Berufung auf Staatsschutzkreise direkt der Autonomen-Szene zugeschrieben und mit dem Fest in Verbindung gebracht. In langen Berichten befassen sich seit dem Wochenende Springer-Presse und die Hamburger Morgenpost mit der Brandserie, bei der in drei Nächten offenkundig wahllos 14 Autos in Flammen aufgegangen sind. Es kommen selbst ernannte Experten zu Wort - und nur in einem Nebensatz wird Polizeisprecher Ralf Meyer damit zitiert, dass die Brandstifter laut Polizeierkenntnissen "keine politische Motivation" hätten, sondern die Zündeleien "schlichte Krawalltaten" seien. Inzwischen wird nach den Brandstiftern nachts mit dem Hubschraubern des Typs "Libelle" und Wärmebildkameras gefahndet.
"Selbst wenn ein Autonomer aus der Spur gerät, fackelt er keinen Kranken- und Behindertentransporter ab", sagt einer aus der Szene. Die Akteure seien bestenfalls irgendwelche "Sozialabenteurer". Und ein wenig trügen die Brandanschläge, die ohne zeitlichen und örtlichen Zusammenhang auf die ganze Stadt verteilt sind, auch die Handschrift des Verfassungsschutzes, meinen Autonome. Der habe ein Interesse daran, "die Stimmung gegen das Schanzenfest aufzuheizen und die verbale und polizeiliche Eskalationsstrategie" zu rechtfertigen. "Diese behördliche Spirale der Gewalt hat nun dazu geführt, dass sich die NPD an den Law-and-Order-Parolen und der Kampagne gegen das Schanzenfest beteiligt", so die Organisatoren. Die NPD wird am Vorabend für ein Verbot des Festes in Hamburg aufmarschieren.
30 Brandstiftungen auf Pkws hat es dieses Jahr bereits in Hamburg gegeben.
Eindeutig politisch motiviert war ein Brandanschlag auf fünf DHL-Transporter. In einem Bekennerbrief warfen die Zündler der Post-Tochter vor, sich als Logistikunternehmen bei der Bundeswehr und seit 2003 auch für die US-Armee im Irak zu engagieren.
Die Serie jüngster Anschläge ohne politischen Hintergrund begann am 4. September, als zwei Porsche, ein Kia und ein VW-Transporter abgefackelt wurden.
Weitere Brandstiftungen folgten am 6. und 8. September. Insgesamt sind bei der Serie 14 Fahrzeugen unterschiedlicher Fabrikate und Klassen ausgebrannt.
Ungeachtet dessen sind die Vorbereitungen in vollem Gange. In der Schanze soll tagsüber ein großes Kinderfest auf dem Spielplatz "Bauschu" gefeiert werden; Soundsysteme, Bühnen und ein nichtkommerzieller Flohmarkt werden aufgebaut, auf dem auch die Stadteilinitiativen über die Aufwertung der Schanze informieren.
Das zuständige Bezirksamt Hamburg-Altona, das sich noch im Juli mit einer "qualifizierten Duldung" vor die seit 21 Jahren nicht angemeldete Veranstaltung gestellt hatte - und damit gegen die Verbotsdrohungen von Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) -, ist auf Tauchstation gegangen. Da das "fröhliche selbst organisierte Schanzenfest sehr gut ohne Genehmigung ausgekommen ist", sagte damals der Chef der Altonaer Bezirksversammlung Andreas Grutzeck (CDU), "gibt es keinen Grund, etwas daran zu ändern". Jetzt aber sieht es der schwarz-grün regierte Bezirk anders: "Es gibt keinen Anmelder", sagt Sprecher Rainer Doleschall, "also für uns auch kein Fest." Dabei hatte der Bezirk Altona im Juli sehr gut ausgesehen: Über Vermittler wurde den ganzen Tag einvernehmlich ein reibungsloses Straßenfest mit 8.000 BesucherInnen ohne nennenswerte Zwischenfälle abgewickelt. Obwohl dieselben Vermittler auch diesmal zur Verfügung stehen, lehnt das Bezirksamt nunmehr jeglichen Kontakt ab.
Trotzdem ist es fraglich, ob die Polizei tatsächlich wieder eingreifen wird, wenn das Fest gefeiert wird, oder ob es wie seit dem Jahr 2004 ohne Anmeldung geduldet wird. Zum einen wäre ein Verbot ein Politikum: Die Polizei könnte sich dann optisch zum Handlanger der Neonaziszene und ihrer Verbotsforderung machen. Zum anderen bestätigten mehrere Informanten der taz, dass Innensenator Ahlhaus von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) "dringlichst gebeten" wurde, eine Deeskalationstaktik zu fahren. Krawalle wie im Mai dieses Jahres müsse Alhaus zwei Wochen vor der Bundestagswahl unter allen Umständen verhindern. Auch aus Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner.
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