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Wahlverlierer SteinmeierDer SPD gehen die Wunder aus

Fast ein Drittel der Wähler wandten sich ab. Anders als 2005 fehlte den Sozialdemokraten ein Wunder – mangels Irakkrieg und neoliberaler Töne Merkels.

Das Land kann mehr: Steinmeier nicht. Bild: dpa

BERLIN taz | Krawatten sind fast das einzige Kleidungsstück, das einem Mann Variation und Ausdruck erlaubt. Frank-Walter Steinmeier hat es beim Fernsehduell mit Angela Merkel genutzt, er trug eine rote Krawatte, ein kämpferisches Symbol für sozialdemokratische Politik. An diesem Wahlabend im Willy-Brandt-Haus war seine Krawatte dunkel wie die Nacht, vielleicht sogar schwarz, und der Kandidat bescheinigte der SPD "einen bitteren Tag".

Das Wahlergebnis – 23,0 Prozent – ist mehr. Es ist ein Desaster für die Sozialdemokraten. Das Willy-Brandt-Haus ist an diesem Abend in eine Schockstarre gefallen, die es so noch nie gegeben hat. Das wird auch nicht durch den Jubel vertuscht, der Steinmeier in der Parteizentrale entgegenschlug.

Das Adjektiv historisch wird nach Wahlen meist ziemlich inflationär gebraucht – diesmal stimmt es. Die SPD hat eine historische Wahlniederlage erlitten. 23 Prozent – so wenig bekam sie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Das sind 6 Prozent weniger als 1953, als die SPD in dem beginnenden Wirtschaftswunder gegen den übermächtigen Konrad Adenauer mit 28,8 Prozent katastrophal verlor. Warum dieses Debakel?

Vorläufiges amtliches Endergebnis

Stimmen:

CDU/CSU 33,8% (-1,4)

SPD 23,0% (-11,2)

FDP 14,6% (+4,8)

Linke 11,9% (+3,2)

Grün 10,7% (+2,6)

Piraten 2,0% (-)

NPD 1,5% (-0,1)

Sitze (622):

Union 239, FDP 93 – zusammen 332

SPD 146, Linke 76, Grüne 68 – zusammen 290

Der wesentliche Grund: Der SPD ist es, anders als 2002 und 2005, nicht gelungen, in den letzten zehn Tagen vor der Wahl ihre Klientel zu mobilisieren. 2002 und 2005 gab es mit dem Nein zum Irakkrieg und der Warnung vor dem neoliberalen Durchregieren von Schwarz-Gelb identitätsstiftende Themen.

Die Wähler haben der SPD, die seit elf Jahren regiert, ihren halben Oppositionswahlkampf nicht geglaubt. Um gegen die präsidial wirkende Angela Merkel zu polarisieren, fehlte der SPD beides: ein zündendes Thema und der Kandidat, der diese scharfe Gegenüberstellung plausibel verkörpert. Viele Beobachter lobten Frank-Walter Steinmeier für seinen engagierten Wahlkampf - doch er blieb auch auf den Marktplätzen stets der trockene, sachliche Technokrat.

Als Schröder 2002 den Irakkrieg zum Wahlkampfthema machte, hagelte es vernichtende Kommentare in den meinungsbildenden Blättern, Grüne klagten, Schröder bereitete sich schon auf seine Rolle als Oppositionsführer vor. Meinungsforscher erklärten, mit einem außenpolitischen Thema und einem Anti-US-Kurs sei kein Blumentopf zu gewinnen. Schröder blieb unbeirrt. Und hatte recht.

Steinmeier hatte diesen Mut zum Risiko nicht. Sein Wahlkampf blieb stets ein "Ja, aber". Er machte bis zuletzt stets einen Doppelschritt: Lob der großen Koalition, Warnung vor Schwarz-Gelb. Das war zu wenig, um den politisch eher Desinteressierten mit SPD-Neigung zu überzeugen. "Es lag nicht am Wahlkampf. Es war mehr als ein Personalproblem", meinte gestern Abend der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Trotzdem, so Lauterbach weiter, "es war ein Donnerhall für einen Neuanfang".

Die SPD hat bis zuletzt nur in gedämpfter Lautstärke gegen Schwarz-Gelb agitiert. Noch einschneidender für das miserable Ergebnis ist, dass die SPD ins Stottern kam, wenn sie angeben sollte, warum man sie eigentlich wählen soll. Ihr fehlte schlicht jede eigene Machtperspektive. Die einzige Machtoption, die sie hatte, Merkels Juniorpartner zu bleiben, war so unattraktiv, dass die SPD darüber lieber schwieg.

Nach dem kategorischen Nein von Westerwelle zur Ampel hat am Ende nicht mal die SPD-Führung noch ernsthaft behauptet, dass Steinmeier Kanzler werden kann. Er war Vizekanzlerkandidat. Und noch schlimmer: Einerseits war die Steinmeier-SPD beleidigt, weil Westerwelle nicht mit ihr wollte, andererseits wurden gerade Steinmeiers Angriffe auf Westerwelle bis zuletzt am heftigsten beklatscht.

Es ist kein Wunder, dass die Wähler diese Art Dialektik – wir wollen mit denen regieren, die wir am meisten ablehnen – nicht überzeugt hat. Zudem spiegelt sich in dem ambivalenten Verhältnis zur FDP die innere Zerrissenheit der SPD, die weder als selbstbewusste, stolze Regierungspartei noch als soziale Protestpartei auftreten konnte, sondern nur irgendwo dazwischen. Dieses Irgendwo war für die Wähler zu diffus.

Außerdem hat die SPD es nach den Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen verpasst, die Chance beim Schopf zu packen und zu zeigen, dass sie gewinnen kann. Gäbe es den Ministerpräsidenten Heiko Maas in Saarbrücken und einen von der SPD abgesegneten in Erfurt, dann hätte dies den gravierenden Mangel an einer eigenen Machtperspektive im Bund überdeckt. Doch dazu fehlte es der SPD an Wille und Selbstbewusstsein. Die SPD hätte beweisen müssen, dass sie siegen will und kann, ohne Union und FDP. Auch deshalb hat sie verloren.

Jetzt wird sie in die Opposition gehen. Mit Frank-Walter Steinmeier. Schon am Wahlabend kündigte er an, "nicht aus der Verantwortung fliehen zu wollen". Trotz der Niederlage wird er offenbar Fraktionschef werden und den scheidenden Peter Struck ablösen. Die Chancen dafür stehen trotz der Niederlage nicht schlecht. Im Willy-Brandt-Haus schlug ihm bereits Jubel entgegen. Und dass die konsternierte SPD-Linke einen Putsch gegen Steinmeier wagt, ist unwahrscheinlich.

Steinmeier spielt offenbar auch mit dem Gedanken, Parteivorsitzender zu werden und Franz Müntefering abzulösen. Spätestens im November beim SPD-Parteitag. Die SPD, so die Überlegung, braucht einen starken Oppositionsführer.

Und das vielleicht ziemlich lange. Nach dem Desaster 1953 dauerte es 13 Jahre, ehe die SPD Teil der Bundesregierung wurde.

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