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Parteienrechtler über SH-Wahl"Den Wählerwillen verfälscht"

Die Fraktionen im Kieler Landtag können gegen das Wahlgesetz klagen, um eine schwarz-gelbe Mehrheit zu verhindern, sagt der Parteirechtler Martin Morlok.

Verfassungswidriges Bündnis? Wolfgang Kubicki (FDP/l.) und Peter-Harry Carstensen (CDU). Bild: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Morlok, in Schleswig-Holstein haben am Donnerstag CDU und FDP mit Koalitionsverhandlungen begonnen. Sollten die Parteien nicht abwarten, bis die Sitzverteilung im Landtag geklärt ist?

Martin Morlok: CDU und FDP sollten sich jedenfalls nicht zu früh freuen. Ihre vermeintliche Mehrheit im Landtag beruht auf einer verfassungswidrigen Bestimmung im Landeswahlgesetz.

Worin besteht der Verfassungsverstoß?

CDU und FDP haben nur deshalb eine Mehrheit im Landtag, weil die CDU elf Überhangmandate erhalten hat und diese laut Wahlgesetz nur begrenzt ausgeglichen werden. Das schleswig-holsteinische Wahlgesetz macht aus einer Minderheit der Stimmen eine Mehrheit an Sitzen. Das ist problematisch, weil es den Wählerwillen verfälscht. Unter dem Strich benötigte die CDU pro Sitz nur 14.811 Wähler, die Linke dagegen 19.047 Stimmen.

Im Bundestag werden Überhangmandate auch nicht ausgeglichen, warum soll in Schleswig-Holstein ein immerhin teilweiser Ausgleich verfassungswidrig sein?

Über Überhangmandate im Bundestag kann man streiten, aber in Schleswig-Holstein ist die Lage völlig klar. In der Landesverfassung heißt es zum Wahlrecht: "Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss." Damit ist eindeutig ein vollständiger Ausgleich gemeint und kein teilweiser Ausgleich, denn das Wahlergebnis soll eben nicht durch Überhangmandate verzerrt werden.

Martin Morlok, 60

Der Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und -soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist einer der renommiertesten Experten für Parteirecht in Deutschland.

Die umstrittene Regelung im Wahlgesetz wurde damit begründet, dass der Landtag sonst zu groß wird und seine Funktionsfähigkeit verliert…

Das ist doch lächerlich. Hier geht es darum, ob der Landtag nun 95 oder 101 Sitze hat, das macht aber wirklich keinen Unterschied. Der Bundestag hat schließlich mindestens 598 Sitze und gilt auch als arbeitsfähig.

Und nun?

Am 16. Oktober stimmt der Landeswahlausschuss über die endgültige Sitzverteilung ab. Der Ausschuss könnte das Wahlgesetz verfassungskonform auslegen und einen vollen Ausgleich der Überhangmandate vorsehen. Transparenter wäre es allerdings, wenn das Landesverfassungsgericht die Klausel im Wahlgesetz, die den Ausgleich begrenzt, für verfassungswidrig erklärt.

Wie schnell kann das Verfassungsgericht entscheiden?

Es gibt einen langsamen und einen schnellen Weg. Der langsame Weg ist die Wahlprüfung. Hier muss zuerst eine Prüfung durch die Landeswahlleiterin und den Landtag abgewartet werden, bevor das Verfassungsgericht angerufen werden kann. Dann würden die Verfassungsrichter irgendwann mitten in der Wahlperiode die falsche Mehrheit im Landtag feststellen, das macht wenig Sinn. Es ist deshalb daran zu denken, sofort eine abstrakte Normenkontrolle gegen die verfassungswidrige Klausel im Wahlgesetz einzureichen.

Würde das Verfassungsgericht die Klausel nur für die Zukunft für verfassungswidrig erklären oder auch für die Vergangenheit?

Beides ist möglich. Aber je schneller geklagt wird, desto höher ist die Chance, dass schon die Sitzverteilung für die aktuelle Landtagswahl richtig durchgeführt wird.

Wer kann klagen?

Eine Normenkontrolle muss von mindestens zwei Fraktionen gemeinsam unterstützt werden. Die Linke hat erst nach Zusammentreten des neuen Landtags eine Fraktion.

Wer gegen ein Wahlergebnis klagt, gilt als schlechter Verlierer…

Das darf kein Argument sein, um eine verfassungswidrige Sitzverteilung im Landtag zu akzeptieren. Wer dem Wählerwillen zum Durchbruch verhilft, ist kein schlechter Verlierer.

Genügt es nicht, das Wahlrecht für die nächste Wahl zu ändern?

Warum sollen die Bürger vier Jahre lang von einer Mehrheit regiert werden, die durch ein verfassungswidriges Wahlgesetz zustande kam? Der Fehler ist nun mal jetzt aufgetreten.

Könnte das Verfassungsgericht bis zur Konstituierung des neuen Landtags am 27. Oktober entscheiden?

Das wird wohl nicht ganz reichen. Aber die Kläger könnten eine einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts beantragen. Dann blieben der alte Landtag und die alte Regierung geschäftsführend noch etwas im Amt. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts dürfte dann binnen weniger Wochen möglich sein.

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4 Kommentare

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  • TR
    Tom Ross

    Herr Lindner, Sie verbreiten falsche Informationen zur Landtagswahl 1992:

     

    1. bei der Wahl erhielten die Oppositionsparteien nur 47,6 % -- nicht 50,7 %, wie Sie schreiben. Offenbar haben Sie übersehen, dass der SSW damals (wie heute) als Minderheitenpartei in den Landtag einzog, die Grünen jedoch mit 4,97 % knapp draußen bleiben. Daher Ihr Rechenfehler um 3 Prozentpunkte.

     

    2. Überhangmandate spielten beim Sieg der SPD keine Rolle. Die SPD errang damals 10 Überhangmandate. Ebensoviele Ausgleichsmandate gingen an die Oppositionsparteien (CDU 7, FDP 1, DVU 2).

     

    3. Die SPD zog ihre Mehrheit von genau 1 Sitz ausschließlich aus d'Hondt. Nach Hare-Niemeyer oder Sainte-Laguë wäre ihr 1 Sitz weniger zugeteilt worden und die Alleinregierung wäre nicht zustande gekommen.

     

    Der Vergleich mit der Wahl von 2009 ist also äußerst polemisch, zumal wenn man bedenkt, dass d'Hondt schon zahlreiche Landtagswahlen entschieden hat (zum Beispiel in Baden-Württemberg).

  • UK
    Uwe Klabouch

    1. der Landtag von SH wird für 5 Jahre gewählt,

    das sollte auch ein renommierter Professor wissen

    2. Herr Lindtners Kommentar ist wenig fundiert:

    Hier geht es um den Sitzausgleich durch Überhangmandate, damals ging es einfach um die Anwendung der Regeln für die Sitzverteilung, da hat SH ein System, das die größte Partei im Zweifel bevorzugt. Dieses System nach D`Hont wird auf Bundesebene schon lange nicht angewandt. Die entscheidende Frage ist: Was meint die SH-Verfassung mit Ausgleich(smandaten)? Der Meinung der Landeswahlleiterin kann (muss aber nicht) man sich anschließen, da sie sich auf Gerichtsentscheidungen zum Kommunalwahlrecht beruft, die nicht den Landtag (direkt) betreffen.

  • DM
    Dr. Martin Lindner

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    Erinnert sich "einer der renommiertesten Experten für Parteirecht in Deutschland" an die Landtagswahl 1992 in Schleswig-Holstein? Da hatte die SPD 46,2 % (war damals noch eine Volkspartei). Die restlichen im Kieler Landtag vertretenen Parteien hatten zusammen 50,7 %. Nach der damals üblichen Sitzverteilung hatte dann aber die SPD mit 45 Sitzen die absolute Mandatsmehrheit (Rest zusammen 44)und regierte anschließend allein (Engholm II / Simonis I). Haben sich der Herr Morlock und die TAZ damals auch schon darüber aufgeregt? Oder kommt das Verfassungsrecht immer nur dann ins Spiel, wenn mal die linken Parteien verlieren...

  • KE
    Kai Engel

    Bitte schnell klagen und eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat verhindern. Dann werden die nächsten 4 Jahre erst richtig spannend!