Quelle-Insolvenz: Kreuzberger Jobs in der Warteschleife
In einem Callcenter in Kreuzberg sind hunderte Arbeitsplätze in Gefahr - befürchten Gewerkschaft und Senat. Die Geschäftsführung schweigt, die Mitarbeiter werden über ihre Zukunft im Dunkeln gelassen
Man kann es nicht sehen, aber es muss hier sein, das Quelle-Communication-Center in Kreuzberg. Zugang gibt es nur über ein Gelände von der Köpenicker Straße in Kreuzberg. Eine Schranke und Pförtner sorgen dafür, dass nicht jeder hinein kommt - schon gar keine Presse. Schon gar nicht an dem Tag nach Bekanntgabe der Insolvenz von Quelle.
Wie viele Menschen in Berlin und Brandenburg betroffen sind, ist unklar. Die Gewerkschaft Verdi spricht von 1.200 Mitarbeitern in Berlin und 700 in Cottbus. Laut Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) müssen 700 BerlinerInnen um ihren Job bangen. 2006 war das Berliner Callcenter als Tochterfirma von Quelle neu gegründet worden, mit 1,3 Millionen Euro Fördermitteln des Senats (siehe Text unten). Die Stellen, die hier entstanden sind, sind laut Verdi zulasten der Quelle-Callcenter in Westdeutschland gegangen. Die Personalkosten seien dort mit 11,30 Euro Stundenlohn erheblich höher gewesen.
"Hier liegt der Stundenlohn bei rund sieben Euro", sagt Hermann Peters*, der seit Gründung des Unternehmens dort arbeitet und im Stehcafé nebenan seine Mittagspause macht. "Die meisten hier machen keinen anderen Job nebenbei, das lassen die Arbeitszeiten nicht zu." Das Callcenter soll 24 Stunden geöffnet sein, "das ist aber nicht mehr an allen Tagen so. Die Schichten werden kreuz und quer gelegt, da ist für andere Jobs kein Spielraum mehr", ergänzt Jens Müller*, der ebenfalls seit Gründung des Unternehmens am Servicetelefon sitzt. "Ich habe das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht und währenddessen hier angefangen", sagt der 29-Jährige. Viele seiner KollegInnen hätten studiert und seien wie er in dem Job "hängengeblieben". Er mache sich keine Sorgen um Arbeitslosigkeit, aber "rational begründet ist das nicht. Ich bin nur einfach kein sorgenvoller Mensch".
Die Geschäftsleitung des Callcenters will sich gegenüber der taz nicht zu den drohenden Jobverlusten äußern und verweist an den Pressesprecher des Insolvenzverwalters. Der ist nicht zu erreichen. Auch den Mitarbeitern hat die Geschäftsführung noch nichts davon gesagt, ob sie nun allesamt oder zum Teil gekündigt werden, erzählt Müller: "Es sollte eigentlich eine Videomitteilung geben, aber die ist aus technischen Gründen abgesagt worden."
Ein Mitarbeiter aus der Verwaltung der Quelle-Tochter, der namentlich nicht genannt werden will, sagt, es müssen Stellen abgebaut werden. Wo und wie viele, "wissen wir einfach noch nicht. Und wir sind auf der Suche nach neuen Kunden - Quelle ist ja nicht der Einzige." Er gehe davon aus, dass das Callcenter weitergeführt wird.
Jürgen Stahl von Verdi sieht das anders: "Da werden meines Wissens jetzt nur noch die Lagerbestände ausverkauft. Neue Kunden werden nicht mehr geworben." Auch könne nicht mehr auf Raten gekauft werden, "nur noch gegen Cash". Die Mitarbeiter an den Telefonen sind pessimistisch: "Es ist klar, dass die Stellen hier gefährdet sind - das sagen auch Teile der Geschäftsleitung hinter vorgehaltener Hand", sagt Peters. "In der Gewerkschaft sind hier sind nur sehr wenige - es fehlt das politische Bewusstsein", fügt der 43-Jährige hinzu.
In dem Callcenter werden Bestellungen und Beschwerden oder Nachfragen entgegengenommen. "Wir sollen pro Stunde 20 Anrufe schaffen. Pro Anruf haben wir fünf Sekunden Nachbearbeitungszeit", erzählt Müller. Das sei oftmals unmöglich einzuhalten - zum Beispiel wennein Ersatzteil besorgt werden müsse. Dazu müsste man "20 Schritte befolgen", von der Prüfung, wo das Ersatzteil gelagert ist, bis zur Bestellung beim Lieferanten. "Ich als Telefonkraft habe überhaupt kein Interesse daran, dem Kunden zu helfen - es geht nur darum, so viele Anrufe wie möglich entgegen zu nehmen."
*Namen geändert
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