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Buch über Krise der MarktwirtschaftEin Schutz gegen Maßlosigkeit

Wirtschaftsethiker Thielemann fordert strukturellen Schutz vor der Maßlosigkeit des großen Geldes. Gewinnerwartungen vieler Konzerne seien zu hoch, schreibt er im Buch "System Error".

Versuch eines etwas anderen Tauschgeschäfts auf einer Luxus-Messe in München. Bild: dpa

Die Wirtschaft ist rätselhaft, verabscheuungswürdig und maßlos. Mit dieser Haltung begegnen viele Menschen dem, was sie täglich aus der Welt der Geldes und der Geschäfte erfahren. Merkwürdig eigentlich - leben doch alle in und mit dieser Marktwirtschaft, die der Mehrheit einen durchaus bequemen Wohlstand beschert. Woher also kommt der meist innerliche, eher selten praktizierte Widerstand gegen die Ökonomie? Eine Antwort darauf versucht Ulrich Thielemann im "System Error" der Marktwirtschaft zu geben.

So heißt das aktuelle, sehr lesenswerte Buch des aus Wuppertal stammenden, an der Universität von St. Gallen in der Schweiz arbeitenden Wirtschaftsthethikers. Um zum Punkt des Versagens zu kommen, analysiert Thielemann den Tausch als zugrundeliegenden Akt des Wirtschaftens. Was passiert, wenn Herr Müller seine Arbeitskraft anbietet und Siemens ihm einen Lohn dafür zahlt, wenn Frau Schmidt eine Wohnung mieten möchte, der Hausbesitzer aber mehr verlangt, als sie zu zahlen in der Lage ist?

Meist handelt es sich um einen Tausch zwischen zwar gleichberechtigten, aber doch mit unterschiedlicher Macht ausgestatteten Bürgern. Im Zweifel muss der Angestellte einen Abschlag vom Lohn akzeptieren, weil er den Job zum Leben braucht, während das Unternehmen auch noch ein paar Wochen warten kann, bis es einen neuen Arbeitnehmer einstellt. Oder die Mieterin willigt zähneknirschend in den eigentlich zu teuren Mietvertrag ein, weil sie sonst auf der Straße stünde.

Thielemann benennt eine schlichte Wahrheit, die in zeitgenössischen Abhandlungen über Wirtschaft viel zu selten zur Sprache kommt: Beim Tausch gibt es Gewinner und Verlierer. Und leider stehen sehr wenigen Gewinnern sehr viele Verlierer gegenüber. Die Ursache dafür sieht der Wirtschaftsethiker im Prinzip der Gewinnmaximierung.

"Es existiert da eine neue Radikalität im Management", sagt Thielemann, "die mit den betriebswirtschaftlichen Lehrbuchweisheiten ernst macht." Dafür gibt er einige Beispiele. So habe BMW-Vorstand Norbert Reithofer das Ziel ausgegeben, bis zu 26 Prozent Eigenkapitalrendite erzielen zu wollen. Diese horrende Gewinnerwartung wollte der Autokonzern unter anderem dadurch realisieren, dass man 8.100 Arbeitsplätze strich. Gewinner: Reithofer und eine paar Vorstände, Verlierer: tausende Beschäftigte.

Und auch die Finanzkrise wurde ausgelöst, weil die Deutsche Bank und andere Finanzinstitute es für angezeigt hielten, die Gewinne so hoch zu schrauben, dass sie zu weltweiten Verlusten von mehreren tausend Milliarden Euro führten. Gewinner: einige Bankvorstände, Händler und Investoren. Verlierer unter anderem: Millionen Steuerzahler, die die Schäden der Krise über Jahrzehnte abtragen müssen.

Diese Exesse sind für Thielemann eine Ursache der um sich greifenden Abscheu gegenüber der Wirtschaft insgesamt. Die Gewinne, die viele Unternehmen erzielen wollen, sind schlicht zu hoch und das wird nicht länger stillschweigend akzeptiert. Mancher Konzernvorstand wird über Thielemanns Thesen nicht amüsiert sein, lautet seine Schlussfolgerung doch, dass die Unternehmen bestimmte Geschäfte so nicht machen dürften, wie sie sie heute machen. Eine solche Position ist ein direkter Angriff auf den Kern der Unternehmenspolitik, den sich die Wirtschaftsethik normalerweise nicht leistet.

Wie sieht die Zukunft aus - was müsste passieren, um eine moderierte, zivilisierte Form der Marktwirtschaft auch hierzulande wieder einzuführen?

Wie viele analytisch gute Bücher wird Thielemanns Band schwächer, wenn es an die praktischen Konsequenzen geht. Etwas nebulös spricht der Autor dann über einen neuen globalen Rahmen des Wirtschaftens. Doch auch hier gibt es ein paar fruchtbare Hinweise.

Einer davon: Um das Kapital zu "neutralisieren", müsse man es durch die Interessen anderer Gesellschaftsgruppen einhegen. Würden in den Aufsichtsräten der Unternehmen auch stimmberechtigte Verbraucherexperten, Umweltschützer und Menschenrechtler sitzen, wären die Grenzen für die Vertreter des Kapitals enger gezogen. Ein solches Vorgehen und Konzept nennt Ulrich Thielemann "Protektionismus" - Schutz gegen die Maßlosigkeit des großen Geldes.

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6 Kommentare

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  • U
    Unerheblich

    Zum Thema findet sich ein passender Artikel im englischen Guardian, der in deutscher Übersetzung beim Freitag nachzulesen ist:

     

    Jeremy Seabrook, The Guardian

     

    Zügellos, unersättlich, gierig

    Der Mensch wird gegenüber der Natur immer rücksichtsloser, weil er stoisch an der Marktwirtschaft festhält. Das muss sich ändern – oder unsere Überlebenschancen sinken

     

    Link:

    http://www.freitag.de/politik/0948-habgier-klimawandel-kapitalismus-marktwirtschaft

     

    Bemerkungen:

    1)Die Kommentare auf das Original sind nicht mehr erreichbar, scheint mir.

    2) Die vom Kommentator ed2murrow zitierte acedia bedeutet zu deutsch etwa Trägheit des Herzens.

    (de.wikipedia.org/wiki/Faulheit)

     

    In diesem Sinne,

    Unerheblich

  • SS
    Svetozar Schnuckelberger

    Dass "die Finanzkrise [...] ausgelöst [wurde], weil die Deutsche Bank und andere Finanzinstitute es für angezeigt hielten, die Gewinne so hoch zu schrauben, dass sie zu weltweiten Verlusten von mehreren tausend Milliarden Euro führten" ist schlichter Unsinn. Die Finanzkrise ist vielmehr zwangsläufige Folge einer verfehlten Geldpolitik der Notenbanken (insbesondere der Fed), die zulange zuviel billiges Zentalbankgeld zur Verfügung gestellt und die Märkte daher geradezu in Liquidität ersäuft hat. Diese überschüssige Liquidität, der kein realwirtschaftliches Äquivalent gegenüberstand, hat sich zunächst in einer Vermögenspreisinflation der Aktienkurse (Stichwort dotcom-Blase), dann in einer Vermögenspreisinflation des Immobilienmarkts (Stichwort Subprime-Blase) niedergeschlagen, und schlägt sich nunmehr - da man das Gift, das zur Krise geführt hat, nämlich die Flutung der Märkte mit Liquidät - fälschlicherweise als Heilmittel gegen die Folgen der Krise betrachtet. Das hat notwendig zur Folge, dass der Knall beim Platzen der nächsten Blase noch lauter sein wird.... Was wir derzeit sehen, ist nicht etwa eine Krise der Marktwirtschaft, sondern eine Krise der staatlichen Geldpolitik.

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Marktwirtschaft ohne Kapitalismus

    ---------------------------------

     

    Kapitalismus ist nicht mit Marktwirtschaft gleichzusetzen. Doch worin wurzelt der Kapitalismus?

     

    Seine beiden Wurzeln sind das - natürliche - Bodenmonopol und das - künstliche - Geldmonopol.

     

    Der nicht vermehrbare Boden ist von Natur aus knapp und dessen Nutzung wirft Renten, sprich leistungslose Einkommen ab. Mit Hilfe des Zinses lässt sich der Wert des Bodens bemessen - sprich kapitalisieren.

     

    Beispiel: Bei 100 € an Boden-Rente und einem Zinssatz von 5% hat eine bestimmte Fläche einen Kapitalwert von 2.000 €. Sinkt der Zinssatz aufgrund guter Wirtschaftstätigkeit und damit bedingter Fülle an Sach- und Geldkapital, auf z. B.1%., dann steigt der kapitalisierte Wert der besagten Bodenfläche auf 10.000 € (!).

     

    Auf der anderen Seite, dem Gegenpol, ist das Geldmonopol. Das Geld muss im Gegensatz zum von Natur aus begrenzten Boden künstlich Knapp gehalten werden, um zu währen. Auch hier entsteht eine Monopolsituation. Bei 3% Realzins oder weniger entzieht sich das Geldkapital seiner Tauschfunktion und wird damit zum Machtmittel.

     

    Wie lassen sich aber Boden und Geld entkapitalisieren?

     

    Der Boden, durch Nutzungsrechte gegen Entgelt, z. B. in Form von kommunalen Erbbaurechten oder aber einer reinen Bodenwertsteuer, welche die Bodenpreissteigerung zu 100% besteuert. Die so abgeschöpften Erlöse könnten als "Grund"-Einkommen pro BürgerIn rückvergütet werden. Die Bodenrente wäre so neutralisiert.

     

    Die Monopolrente auf Geld könnte z. B. durch VOLLGELD, wie es Professor Joseph Huber, vorschlägt, neutralisiert werden. Die Gewinne der Europäischen Zentralbank könnten z.B. pro EU-Bürgerin ebenfalls als Grundeinkommen ausgezahlt werden.

     

    Darüber hinaus könnten mehr und mehr Banken als Genossenschaftsbanken geführt werden. Die Finanzkrise müsse eigentlich eine Welle von Bankneugründungen auslösen, wie seinerzeit durch Raiffeisen und Schultze-Delitsch initiiert.

     

    Aktiengesellschaften könnten z. B. auch in Stiftungen umgewandelt werden. Leuchtturm für ein Stiftungsunternehmen ist z. B. BOSCH.

     

    Wieso sollten Aktionäre ihre Anteile nicht an eine Industriestiftung schenken?

     

    Das mag alles ein wenig verrückt klingen, doch eine Ende der Konzerne in der heutigen Form von Aktiengesellschaften wird über kurz oder lang kommen (müssen), um eine nachhaltig ökosoziale Marktwirtschaft ohne Kapitalismus zu ermöglichen.

  • U
    Unerheblich

    Ist es nicht so, daß nicht nur die Gewinnerwartungen der Wirtschaft zu hoch sind, sondern auch die je eigenen?

     

    Ich will mich nicht der wohlfeilen Kritik an der allzumenschlichen Gier anschließen, aber darauf hinweisen, daß "die Wirtschaft" (wer ist das eigentlich genau?) für ihre Maßlosigkeit ein ebenso maßloses Gegenüber benötigt, um überhaupt Gewinne erzielen zu können.

     

    Mir will da das Bild des Esels, dem sein Reiter - die Wirtschaft:-) - an einem Stock eine Mohrrübe vor das Maul hält, nicht aus dem Kopf.

     

    Erst wenn sich der Esel besinnt, daß auch die Pflanzen am Wegesrand schmackhaft sind, kann er darüber nachdenken, ob er sich den Wünschen des Reiters weiter fügen will.

     

    Ich fürchte deshalb, es müssen recht radikale Lösungen her, wenn man sich nicht mit Augenwischerei zufrieden geben möchte.

     

    In diesem Sinne

    Unerheblich

  • C
    chasen

    Eine Möglichkeit, diese Auswüchse zu zügeln, sind nachhaltige Geldanlagen. Natürlich gibt es auch hier Augenwischerei, aber prinzipiell wird hier genau ein solche Kontrollinstanz umgesetzt: Umweltschutz und soziale Interessen müssen mit berücksichtigt werden.

    Jeder der irgendwelche Aktien oder Fondsanteile (z.B. Rentenversicherung!) besitzt sollte in Zukunft darauf achten, dass sein Geld auch nachhaltig investiert ist, sonst unterstützt man den ganzen Irrsinn ja selbst.

    Zum Nachlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Ethikfonds

  • E
    erster

    Kann mal mal mitgehen.

     

    Jedoch wird keine Legislative diese Ideen umsetzen, da die Lobby des Kapitals dagegen stimmen wird.

     

    Solch ein Gesetz würde nur zugelassen werden, wenn es dem Kapital Vermehrung verspricht.

     

    Die Preisfrage ist meiner Meinung nach, wie kann man das Kapital mal so richtig verarschen? Jeder hat doch so eine Achillesverse?