Debatte Opel-Krise: Arbeit ist für alle da
Es gibt eine Alternative zu Werkschließungen und Massenentlassungen: Durch Arbeitszeitverkürzung ließe sich die Krise des Autokonzerns meistern.
N ick Reilly hat gesprochen. Glaubt man dem Europachef von General Motors, wird kein einziger Opel-Standort in Europa schließen müssen. Dabei steht fest, dass 9.000 der 50.000 Arbeitsplätze bei Opel in Europa auf jeden Fall gestrichen werden - in Deutschland aller Voraussicht nach allein 5.400 von 25.000 Jobs.
Aber nicht nur Opel - auch VW, Mercedes und BMW werden Überkapazitäten abbauen müssen. Denn einer Produktionskapazität von 90 Millionen Autos im Jahr steht weltweit eine Nachfrage nach lediglich 56 Millionen gegenüber. Diese Überkapazität resultiert nicht daraus, dass die Nachfrage auf den Weltmärkten sinkt, sondern daraus, dass Schwellenländer den Autoherstellern in den entwickelten Industrieländern Marktanteile streitig machen. China und Indien produzieren inzwischen selbst Autos mit durchaus modernster Technik, aber eben deutlich kostengünstiger.
Der Abbau von Arbeitsplätzen bei den von Insolvenz bedrohten Opel-Werken in Europa wird daher nur ein Anfang sein. Jeder Versuch, Opel und andere Hersteller mit ihren Überkapazitäten durch Abwrackprämien und andere Formen offener oder versteckter Subventionierung künstlich am Leben zu erhalten, führt in die Sackgasse. Dagegen entspricht die Verlagerung eines Teils von Arbeit und Einkommen in die Schwellenländer einer fairen internationalen Arbeitsteilung, die nicht nur entwicklungspolitisch zu begrüßen ist. Letztlich können dabei auch die Industriestaaten gewinnen - etwa wenn sie die Verluste beim Export konventioneller Autos durch den Export von klimaverträglichen Spitzentechnologien und moderne Produktionsanlagen für Autos und auf andere Sektoren mehr als wettmachen.
Muss aber der Abbau von Überkapazitäten zu Entlassungen führen? Folgt man der Strategie des Opel-Gesamtbetriebsrats in Deutschland, scheint sich diese Frage gar nicht zu stellen. Er fordert lediglich, entweder nur 4.500 statt der geplanten 5.400 Stellen in Deutschland zu streichen oder aber die Restbelegschaft stärker am Unternehmen zu beteiligen. In beiden Fällen nimmt er die Streichung von 9.000 Arbeitsplätzen in Europa hin, ohne den verbleibenden Beschäftigten die Angst davor zu nehmen, vom nächsten Kahlschlag getroffen zu werden. Bei einer Befragung der Gesamtbelegschaft würde die vom Gesamtbetriebsrat bevorzugte Option "Kapitalbeteiligung" ohnehin mit großer Wahrscheinlichkeit durchfallen, da keiner zu den von Entlassung Bedrohten gehören will.
Lohnverzicht statt Spaltung
Zur Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen Spaltung der Belegschaft und Insolvenz, gibt es für Opel eine realistische Alternative, die jedoch aus dem Blickfeld geraten ist: Gemeint ist die Arbeitsplatzsicherung für die gesamte Belegschaft durch Arbeitszeitverkürzung. Um alle 50.000 Arbeitsplätze von GM in Europa zu halten, müsste die Arbeitszeit um 20 Prozent, das heißt von derzeit 35 auf 28 Stunden pro Woche, reduziert werden.
Klar, dass voller Lohnausgleich in einem von Insolvenz bedrohten Betrieb nicht drin ist. Der Gesamtbetriebsrat in Deutschland hatte sich schon beim Magma-Deal grundsätzlich zum Lohnverzicht bereit erklärt. Statt die Summe von jährlich 300 Millionen Euro, die auf diesem Weg eingespart werden soll, gegen Entlassungen und eine größere Beteiligung der Restbelegschaft einzutauschen, würde sie in eine solidarische Sicherung aller Arbeitsplätze investiert. Die eingesparten Kosten der Arbeitslosigkeit von 9.000 Beschäftigten in Deutschland könnten der Gesamtbelegschaft als teilweiser Lohnausgleich zufließen. Unterm Strich blieben für alle Opelaner so eine 4-Tage-Woche und weniger Lohn, dafür aber mehr Freizeit und die Sicherheit, weitere Jahre beschäftigt zu bleiben. Koppelte man eine weitere Reduzierung der Arbeitszeit an die Produktivitätssteigerung, könnten die Arbeitsplätze sogar langfristig gesichert werden. Europa, Deutschland und Opel wären so um ein neues, solidarisches Experiment reicher.
Dieses Experiment wäre der erste Schritt zu einer 28-Stunden-Woche mit teilweisem Lohnausgleich. Sie könnte für den gesamten Metallbereich eine brauchbare Alternative zur Verlängerung der Kurzarbeit sein, wie sie sogar von Teilen der IG Metall favorisiert wird. Kurzarbeit verhindert zwar aktuelle, jedoch niemals spätere Entlassungen und belastet obendrein schon jetzt den hoch verschuldeten Staat. Die Einsicht, dass eine faire Aufteilung der Arbeit eine ungemein bessere, weil sowohl sozialere wie kostengünstigere Alternative zur Kurzarbeit ist, scheint sich nicht nur bei Gewerkschaften und Unternehmern, sondern auch bei manchen Politikern durchzusetzen; auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers unterstützt inzwischen den Vorschlag.
VW-4-Tage-Woche als Vorbild
Das Modell einer Arbeitszeitverkürzung bei Opel könnte sich auf frühere Erfahrungen wie das VW-28,8-Wochenstunden-Modell stützen. Das VW-Modell einer 4-Tage-Woche mit Lohnminderung wurde 1994 eingeführt, als das Sinken des Absatzes den Autokonzerns in die Krise stürzte. Durch dieses Modell konnten betriebsbedingte Kündigungen bei VW verhindert, die Produktionskosten sogar gesenkt werden. Die Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche im Jahr 2006 erfolgte weniger aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sie entsprach eher dem allgemeinen Trend der Arbeitszeitverlängerung, trotz Zunahme von Überkapazitäten auch beim VW-Konzern.
Mittel- und langfristig dürfte bei traditionellen Autobauern in den Industrieländern Arbeitszeitverkürzung allein nicht ausreichen, wollen sie auch in Zukunft Absatzkrisen entgehen, die angesichts zunehmender Konkurrenz drohen. Die Autohersteller wären gut beraten, sich schon jetzt der Herausforderungen des Klimawandels zu stellen: zum einen durch die Umstellung der Produktion auf CO2-freie Fahrzeuge, zum anderen durch die verstärkte Produktion von öffentlichen Verkehrsmitteln. Würde die Bundesregierung die gewünschten Staatsgelder von 3,3 Milliarden Euro an solch eine Umstrukturierung koppeln, hätte sie ein gutes Instrument in der Hand, General Motors bei Opel zum Kurswechsel zu drängen.
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