Pro & Contra Klimahaus: Hingehen oder fernbleiben?
Am Klimahaus Bremerhaven scheiden sich die Geister. Der eine freut sich am Stakkato der sinnlichen Eindrücke, die andere findet es abgeschrabbelt und fühlt sich überfordert. Lohnt sich der Besuch denn nun?
Ja!
sagt Roger Repplinger
Bremerhaven hat nur davon viel, wovon wenig gut ist: Arbeitslose, soziale Probleme, Werften ohne Schiffe. Nun gibt es, gleich neben dem Schifffahrtsmuseum und dem Auswandererhaus, seit Mai 2009 das Klimahaus. Soll Touristen an locken. "Es kommen", sagt Klimahaus-Pressesprecher Sebastian Lamotte, "mehr als erwartet". Tatsächlich sind es 600.000 im Jahr, was daran liegt, dass die Konzeption stimmt.
Es gibt vier Ausstellungsbereiche: "Reise", "Elemente", "Perspektiven" und "Chancen". Wir machen uns auf die Reise. Immer auf dem achten Längengrad entlang, auf dem auch das Klimahaus liegt, einmal um die Erde rum. Wir stehen vor einer Tür, es ist wie bei der Geisterbahn. Die Tür geht auf und man weiß nicht, was kommt. Dann gehts los. Wir begleiten einen Herrn auf einer Weltreise, die in Bremerhaven am Hauptbahnhof beginnt und zunächst nach Isenthal in der Schweiz führt. Dort muht es, Kuhglocken, Heidi, Enzian. In einem der Fächer, in dem wir Gegenstände ertasten können, liegt ein Kuhfladen. Überraschungen sind hier immer drin, das bringt Spaß.
In anderen Fächern liegen Infos. Man kann sich dem, was hier präsentiert wird, auf viele Weisen nähern: lesen, gucken, schmecken, fühlen, riechen, tasten, eine Kuh melken. Wie wird Käse hergestellt? Und was ist mit den Gletschern los? Es ist ein Stück vom Blüemlisalpfirn da.
Wir schnaufen eine Anhöhe hoch, Almauftrieb. Oben die Gondel einer Seilbahn, in die wir uns setzen und nach unten fahren, ohne dass wir uns bewegen. Halt, stimmt nicht. Die Gondel schaukelt. Schöne Wechsel von Action und Ruhe.
Ende Schweiz, ab nach Seneghe auf Sardinien. Andere Farben, andere Töne, wer schon mal da war merkt: Das trifft es. Es riecht auch immer nach der Gegend, in der wir uns befinden. Es werden die Menschen und das Klima, in dem sie leben, vorgestellt - das soziale und das andere. Das andere Klima wird auf unterschiedliche Weise thematisiert. In Sardinien aus der Perspektive eines Insekts. Alles ist riesengroß: Grashalme, Blumen, die weg geschmissene Dose ist drei Meter hoch. Da kapiert man was.
Unser Reisender fliegt mit einem Piloten im Helikopter übers Mittelmeer. Der Pilot ist Italiener, er fliegt und telefoniert mit seiner Frau. Es geht um Wichtiges: Abendessen. Weiter nach Kanak (Niger). Heißer Sand, echter Sand, echt heiß. In der Wüste legen wir uns auf eine Matte. Jacke aus, Hemd auf, schwitzen, Durst. Einige schlafen ein, 35 Grad. Aus den Lautsprechern brummen Fliegen. Starker sinnlicher Eindruck. Ikenge (Kamerun): Wir stolpern durch den Regenwald. Es ist feucht-heiß, es summt, wir tapsen durch Pfützen, es ist rutschig. Wer nicht gut auf den Beinen ist, macht besser einen Bogen um Ikenge. Man ahnt, was es bedeutet, hier zu leben.
Das Klimahaus Bremerhaven liegt Am Längengrad 8 in Bremerhaven. Es ermöglich seinen Besuchern eine virtuelle Reise an diesem Längengrad entlang einmal rund um den Globus.
Kontakt: 0471/902 03 00, Fax 0471/ 90 20 30 99, www.klimahaus-bremerhaven.de
Öffnungszeiten von 1. November bis 31. März: Montag bis Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr
Preise: Erwachsene zahlen 12,50 Euro, Kinder, Schüler, Studenten, Zivis 8,50 Euro. Es gibt Familienkarten und Verbilligungen für Schulklassen
Zack: Antarktis, minus sechs Grad. Bloß nicht auf dem Eis ausrutschen. Nix wie raus aus dem Kühlschrank. Überall Infos, für den, der will. Funktioniert aber auch ohne. Satitoa auf Samoa, man ist ständig am Aus- und Anziehen. Sieht aus wie das Paradies. Die Brandung ist so, dass man ein bisschen pennen könnte. Nur kurz, so vier, fünf Stunden. "Kommt vor, das mit dem Schlafen", sagt einer der jungen Männer, die aufpassen, dass keiner ins Wasser fällt.
In den Holzhäusern, die hier stehen, sehen wir Filme, in denen Menschen erzählen, wie es bei ihnen zugeht. Satitoa: hohe Suizidrate, extremer sozialer Druck. Würde man nicht denken; gut, dass man es erfährt. Das bleibt nicht an der Oberfläche, hier wird keine Tourismuswerbung betrieben.
Alaska: bloß schnell weg. Und dann, bevor wir wieder in Bremerhaven sind, Langeneß, eine Hallig in der Nordsee. In einem Raum mehrere Monitore, auf denen wir eine Wäscheleine sehen, grasende Kühe, ein Containerschiff, das sich ins Bild schiebt. Eine Frau kommt, wehende Haare. Sie hängt Wäsche auf. Die flattert. Das Schiff bewegt sich ganz langsam. Alles in Echtzeit. Alles so echt, wie es sein kann, ohne dass man da ist.
Nein!
sagt Ilka Kreutzträger
Etwa 40 Menschen stehen dicht gedrängt in einem dunklen Raum, der mit Bahnhofsuhr, Gleisbett und Anzeigetafel dem Bahnhof in Bremerhaven nachempfunden ist. Auf einer großen Leinwand sehen sie, wie ein Mann in einen Zug steigt und zu einer Weltreise aufbricht. Nach einem kurzen Moment der Unentschlossenheit - "Müssen wir jetzt auf einen Zug warten?" - springen die ersten Besucher ins Gleisbett, folgen den Schienen und erreichen nach kurzem Fußmarsch den Schweizer Bergbauernhof der Familie Impfanger in Isenthal, der durch abschmelzende Gletscher und auftauende Permafrostböden bedroht wird.
Isenthal liegt wie Bremerhaven auf dem achten Längengrad, auf dem der Besucher einmal rund um den Globus durch neun Orte in neun Klimazonen reist. Das "Klimahaus Bremerhaven acht Grad Ost" ist weltweit eine der ersten Ausstellungen, die sich mit dem Klima und dessen Wandel beschäftigt. Die Reise durch die Klimazonen der Erde ist Kern der Ausstellung und versucht, das für viele noch immer abstrakte Thema Klima und Klimawandel spürbar zu machen. Soweit so löblich - aber leider kommt die Hauptattraktion im Klimahaus nicht ohne Klischees aus, setzt zu sehr auf Effekte und verliert sich in Details, die vom Verständnis für das große Ganze ablenken und schnell ermüden.
Drei weitere autarke Ausstellungsbereiche schließen sich an die "Reise" an: Das Science-Center "Elemente" soll Feuer, Wasser, Luft und Erde zum Teil interaktiv erfahrbar machen; hier sind bereits wenige Monate nach der Eröffnung im Juni viele der mehr als hundert Stationen verschrammelt oder defekt. Bei den "Chancen" lernt der Besucher, welche Lebensmittel energiebilanztechnisch vertretbar sind und wie die persönliche CO2-Bilanz ausfällt. Die "Perspektiven" informieren über den aktuellen Stand der Forschung und werfen einen Blick auf das Klima im Jahr 2050. Wer sich tatsächlich informieren will, der sollte sich viel Zeit für die "Perspektiven" und das Klimaarchiv nehmen.
Die Gruppe von 40 Besuchern strömt in die Schweiz und verstopft sofort den ganzen Raum, denn auch die vorherige Besuchergruppe tummelt sich dort noch - ein Problem, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Wer die dezenten Informationstafeln lesen will, braucht Ellenbogen; wer sich die Filme ansehen oder an den Hörstationen verweilen möchte, braucht Geduld. Und welche Geräuschkulisse begleitet die Schweiz-Besucher, die sich die schmale Treppe auf den nachgebildeten Berg inklusive Gletscher herauf schieben? Richtig: Kuhglockengeläut und Jodelgesang. Das wird leider nicht das einzige Klischee bleiben: So erfährt der Besucher in der Nachbildung des Dorfes Ikenge in Kamerun zum Beispiel, dass die Afrikaner gut und gern und eigentlich immer tanzen.
Die weitere Reise auf dem achten Längengrad geht von Sardinien über Niger, Kamerun, die Antarktis, Samoa, Alaska bis auf die Hallig Langeneß in der Nordsee und endet schließlich wieder in Bremerhaven. Vermittelt werden vor allem Gefühle wie "Ah, hier in Niger ist es aber heiß und trocken" oder "Oh, in der Antarktis friere ich aber sehr." Fundierte Informationen über die Entwicklung und die Zusammenhänge des Klimas sind aus diesem Teil der Ausstellung nur mit großer Willenskraft mitzunehmen - und die lässt in dem Gedränge und Geschiebe von bis zu 5.000 Besuchern am Tag schnell nach.
Das Klimahaus hat das typische Erlebnismuseumsproblem: Die Information geht zulasten des Entertainments und so versandet die gute Idee zwischen Touristenbespaßung und wissenschaftlichem Informationszentrum. Ein weiteres Problem sind die 143 Ausstellungsräume und die mehr als hundert Mitmachstationen. Ob dieser Masse geht schnell der Überblick und damit die Lust am Lernen verloren. Vorstellbar wäre beispielsweise, sich am Eingang für ein Wetterphänomen zu entscheiden, dem der Besucher dann einmal um den Globus folgt. Aber ohne einen solchen Fokus ist das Potential des Klimahauses verschenkt. Das ist schade, aber ein Museum lebt eben nicht von der guten Idee allein.
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