Justiz- und Polizeiaffäre: Räuberpistole ad acta gelegt
Nach 20 Verhandlungstagen platzt Prozess gegen einen Polizisten. Der Richter wurde für befangen erklärt. Sogar einer Kollegin hatte er gedroht.
Das Verfahren begann im Herbst 2007 mit einer Räuberpistole im Polizeipräsidium und endet vorerst mit einem Paukenschlag im Landgericht: Nach 20 Verhandlungstagen ist der Berufungsprozess gegen den Polizeibeamten Kamiar M. wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung geplatzt. Der Grund: Die Kontrollrichterin der Kleinen Strafkammer 9, Ute Barrelet, erklärte den für M. zuständigen Richter der Kleinen Strafkammer 1, Alfons Schwarz, für befangen - und feuerte ihn aus dem Prozess.
Der Deutsch-Iraner M. habe demnach berechtigte Gründe, an der Unparteilichkeit von Richter Schwarz zu zweifeln, heißt es in ihrem Beschluss. Der Anwalt des Angeklagten,Uwe Maeffert, forderte die Staatsanwaltschaft nun auf, die Berufung gegen den Freispruch des Amtsgerichts Blankenese zurückzunehmen.
Kamiar M. war am 11. September 2007 von seiner langjährigen Freundin Meike W., mit der er noch gelegentlich sexuelle Kontakte hatte, angezeigt worden. Sie sei ihm am Vorabend zur Hilfe geeilt, weil der 29-Jährige Suizidabsichten geäußert habe und angeblich versucht hatte, sich mit einem Bademantelgürtel zu strangulieren. Plötzlich habe er sie sexuell bedrängt und begrapscht, gab W. an.
Tags darauf war Kamiar M. zu Polizeidirektor Kuno Lehmann ins Präsidium zitiert worden. "Kündigen Sie selbst. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werde ich Sie entlassen", erklärte ihm Lehmann. Als M. sich weigerte, stürmte das Mobile Einsatzkommando mit scharfen Waffen in Lehmanns Büro. Den roten Laserstrahl auf M.s Brust gerichtet, nahmen sie ihn fest.
In erster Instanz war Kamiar M. vom Amtsgericht freigesprochen worden, weil sich die Angaben von Meike W. mit anderen Zeugenaussagen nicht deckten und W. sich in Widersprüche verwickelte. Sie verzichtete dann auch als Nebenklägerin, Berufung einzulegen. Doch die Staatsanwaltschaft beharrte darauf, in die zweite Instanz zu gehen und doch noch eine Verurteilung zu erwirken, um M.s Polizeikarriere ein Ende zu setzen.
Die Kuriositäten dieses Falls setzten sich auch im Landgericht fort. Denn Richterin Barrelet machte aktenkundig, dass sie vor ihrer Entscheidung, den zuständigen Richter Schwarz zu feuern, einen heftigen Disput mit ihrem Kollegen hatte. Dieser habe sie "in scharfem Ton gewarnt, diese Sache zu kolportieren". Schwarz war erst unmittelbar vor dem Prozess, als dieser schon anhängig war, die Kammer 1 von Landgerichts-Präsidentin Sybille Umlauf übertragen worden.
"Die aufgebrochenen Konflikte lassen sachfremde Einflüsse und Motivationen erkennen", sagt Anwalt Maeffert. Diese würden einen fairen Prozess offensichtlich unmöglich machen.
Mehrere Monate hatten sich Maeffert und der Richter Schwarz einen heftigen Schlagabtausch geliefert, da Schwarz mit Äußerungen aus seiner Voreingenommenheit keinen Hehl machte und fast alle Beweisanträge zur Entlastung M.s ablehnte.
Als Maeffert etwa einen "Kammerbeschluss" beantragte, suchte der Berufsrichter und die Schöffen für einige Momente das Nebenzimmer zur Beratung auf, um seine Anweisung bestätigen zu lassen. Dafür kassierte er über zwölf Befangenheitsanträge. In ihren dienstlichen Äußerungen machten die Schöffen dann abgesprochene Angaben, um den Vorsitzenden zu decken, wie ein Sprachwissenschaftler aufdeckte.
Beim letzten Befangenheitsantrag war das Maß jedoch endgültig voll: Schwarz ließ sich einen Monat Zeit, um eine Stellungnahme erst kurz vor Fristablauf abzugeben, so dass sich die Ablehnungsrichterin Barrelet "unter Druck gesetzt" fühlte. Denn ihr blieb "keine Zeit für eine sorgfältige Bearbeitung". Außerdem seien dem Angeklagten und seinem Verteidiger jegliche Möglichkeit zur Stellungnahme genommen worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln