Kommentar Außenpolitik: Auf eigene Rechnung
Merkel degradiert Westerwelle zum "Tourist in kurzen Hosen". Mit ihrer Ablehnung des Türkei-Beitritts spielt sie aber auch die Populisten-Karte. Das müsste nicht sein.
D ass in Deutschland über Außenpolitik gestritten wird, ist nicht neu. Um Westbindung, Wiederbewaffnung und Ostpolitik wurden schon ganze Wahlkämpfe geführt, um die Beteiligung an Kriegen ebenfalls. Der Riss ging bisweilen durch die Regierungen selbst: Gerhard Schröders Antiamerikanismus behagte seinem Vize Joschka Fischer nicht, über den Umgang mit Russland oder China gingen die Ansichten in der großen Koalition auseinander. Solche Differenzen innerhalb einer Regierung wurden aber nicht offen ausgetragen.
Deshalb ist es ein Novum, wenn Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle nun innerhalb eines Vierteljahres mit zwei grundverschiedenen Botschaften in die Türkei reisen. Der Außenminister stellte bei seinem Besuch im Januar einen EU-Beitritt des Landes in Aussicht und lobte das freundliche Klima im Umgang mit seinen Gesprächspartnern. Aus Merkels Umfeld hieß es dagegen schon vor der Reise wie gehabt, eine Erweiterung am Bosporus verderbe den Charakter der Union. Ihre Gespräche mit dem türkischen Kollegen verliefen stets ehrlich und offen, zu Deutsch: konfrontativ.
Schon im Januar gab es in der Türkei kritische Nachfragen, ob Westerwelle in diesen Fragen überhaupt die Prokura habe. Nun degradiert Merkel ihren Vizekanzler zu jenem Touristen in kurzen Hosen, der er noch im Januar partout nicht sein wollte. Wie schon zuvor in der Debatte um die Griechenlandhilfe, in der Westerwelle schwieg und Finanzminister Wolfgang Schäuble opponierte, macht Merkel einmal mehr Außenpolitik auf eigene Rechnung.
Ralph Bollmann ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Dabei widerspricht das doppelte Non, das Merkel Ankara und Athen entgegenschleudert, der bisherigen Argumentationslinie. Die Seriösen unter den Erweiterungsgegnern begründeten die Zurückweisung der Türkei gerne mit dem Argument, eine Vertiefung der Union sei dann nicht mehr möglich. Seit dem Brüsseler Gipfel gilt die Kanzlerin jedoch als eine Frau, die auch die Kern-EU nicht gerade als eine Familiengemeinschaft begreift.
Ihre beiden Positionen haben nur eines gemein: Sie werden von einer Mehrheit der Deutschen geteilt. Dabei könnte Merkel den Vorwurf des Populismus leichter abstreifen, wenn sie sich in der Türkeifrage genau so positionieren würde wie gegenüber Griechenland: Für eine strikte Einhaltung der Kriterien - nicht weniger, aber auch nicht mehr.
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