Arabischer Fernsehwettbewerb: Poetische Kritik vor dem Mikro
Ich habe das Böse in ihren Augen gesehen.... Mit ihren zersetzenden Fatwas ... Eine saudische Hausfrau dichtet den radikalen Islam ihres Heimatlandes in Grund und Boden.
Gesichtslos, voll verschleiert, von Kopf bis Fuß mit ihrer schwarzen Abaya bedeckt, tritt die saudische Hausfrau Hissa Hilal im Rampenlicht des Fernsehstudios ans Mikrophon. Gebannt warten die Jury, die nach Geschlechtern getrennten Gäste im Studio und ein Millionenpublikum auf ihr nächstes Gedicht.
"Ich werde heute Gedichte sprechen, die vorzutragen Mut erfordert. Denn die Menschen haben Angst und schweigen", kündigt die ehemalige Journalistin und Mutter von vier Kindern die Brisanz ihrer Gedichte an. Die Verse sind Kritik pur: an dem islamischen Konservativismus ihres Heimatlandes und an den extremistischen Scheichs, die ihn vertreten. In der letzten Sendung "Dichter der Millionen" trug sie im Halbfinale folgenden Vers vor:
"Ich habe das Böse in ihren Augen gesehen.
Mit ihren zersetzenden Fatwas in einer Zeit, in der sie Recht mit Unrecht vermischen.
Wenn ich den Schleier von der Wahrheit nehme, kommt ein Monster aus seinem Versteck.
Barbarisch in Denken und Handeln.
Wütend und blind.
Es trägt den Tod unter seiner Kleidung, bedeckt mit einem Gürtel."
Jeden Mittwoch sucht der Fernsehsender Abu Dhabis in einer Art "Die arabische Welt sucht den Super-Dichter" die besten noch unbekannten arabischen Poeten. Der Wettbewerb um den besten Reim hat Tradition, seit Beduinen nachts in der Wüste ums Feuer saßen. Die Fernsehshow hat diese Tradition in eine moderne Form gegossen.
Hissa Hilal ist die neuste Sensation der Sendung. Tosender Applaus und eine bewegte Jury sind ihr sicher. Ihr Hinweis auf die Scheichs und die Sprengstoffgürtel ist in der arabischen Welt eine explosives Thema. Ausgerechnet eine voll verschleierte Frau, und dazu aus Saudi-Arabien, lässt kein gutes Haar an den engstirnigen islamischen Rechtsgelehrten und deren erzkonservativen, frauenfeindlichen Islaminterpretationen. Dann folgt ihr nächstes, in altarabischen Versmaßen vorgetragenes Gedicht:
"Er spricht von seiner offiziellen Kanzel, terrorisiert die Menschen,
reißt jeden, der von Frieden spricht, als Beute.
Die Stimmen der Mutigen rennen davon.
Die Wahrheit steht in der Ecke und schweigt."
Von 47 Kandidaten ist Hissa Hilal ins Finale am Mittwoch kommender Woche eingezogen. Noch nie ist eine Frau so weit in diesem Wettbewerb gekommen, noch nie hat irgendein Teilnehmer eine so hohe Punktzahl erreicht. Gewinnt sie, winken ihr umgerechnet fast eine Million Euro. Aber das ist vielleicht gar nicht mehr der Punkt. Die mutige Dichterin hat in der arabischen Welt schon viele Herzen gewonnen.
Aber Hilal polarisiert auch und hat bereits einige Morddrohungen erhalten. Doch sie lässt sich nicht abschrecken und argumentiert immer wieder im Rahmen des islamischen Diskurses, etwa in einem Interview mit dem Fernsehsender al-Arabiya. Selbst der Prophet Mohammed habe eine Dichterin gebeten, ihre Verse vorzutragen. "Wenn die dichterische Stimme einer Frau verboten wäre, hätte der Prophet ihr dann zugehört?", fragt sie.
"Es gibt jene, die wollen, dass die arabische Gesellschaft in Dunkelheit lebt, so dass man nur die Dornen sieht", sagt Hilal. "Da nehmen sie die halbe Überlieferung des Propheten und den halben Koran und vergessen die andere Hälfte", greift sie radikale islamische Rechtsgelehrte an. Diese interpretierten alles so, dass es in ihr Weltbild passe.
Den Gesichtsschleier trägt sie, weil sie aus einer Stammesgesellschaft kommt und ihre Familien Probleme bekäme, wenn sie ihn abnehmen würde, erklärt sie. Die gleiche Familie, die sie mit ihren Gedichten und ihre öffentlichen Auftritten unterstützt. Aber Hilal fügt auch hinzu: "Ich hoffe, meine Töchter müssen ihr Gesicht nicht mehr bedecken und werden ein besseres Leben leben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball