KOMMENTAR VON RUTH REICHSTEIN ÜBER DEN JÜNGSTEN LEBENSMITTELSKANDAL: Wenn die EU vom Pferd erzählt
Sicher: Pferdefleisch als Rindfleisch auszugeben und zu verkaufen ist schlicht Betrug – und an dem tragen erst einmal nur die Verursacher Schuld. Allerdings macht es sich der EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg zu einfach, wenn er alle Verantwortung von sich und seiner Behörde weist – eben mit dem Hinweis, es handle sich um kriminelles Verhalten und für die Kontrollen der Firmen seien sowieso die Mitgliedstaaten verantwortlich.
Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist nämlich sehr wohl EU-Aufgabe. Hier wird alles zentral in Brüssel geregelt. Verbraucherschützer fordern schon seit Jahren, dass die Herkunft von Fleisch auf Verpackungen vermerkt wird. Dies gilt seit den BSE-Fällen in den 1990er-Jahren – aber nur für frisches Rindfleisch. Erst ab 2014 soll die Regel auf Frischfleisch auch von anderen Tieren ausgeweitet werden. Vermerkt werden muss dann, wo das Tier herkommt, wo es geschlachtet wurde.
Eine Herkunftskennzeichnung von verarbeitetem Fleisch aber – zum Beispiel in Fertiglasagne – hat die EU-Kommission bisher immer ausgebremst. Das entspricht keinesfalls der Verbrauchermeinung. Eine Umfrage des europäischen Verbraucherschutzbunds BEUC hat erst vor wenigen Wochen ergeben, dass sich 70 Prozent der EU-Bürger eine solche Kennzeichnung wünschen.
Damit wäre zwar ein Betrug nicht ausgeschlossen, aber der Verbraucher hätte zumindest die Möglichkeit, nur noch Fleisch aus bestimmten, für ihn vertrauenswürdigen Ländern zu konsumieren. Bisher hat er dazu in EU-Supermärkten keine Chance. Woher das Fleisch kommt, kann der Verbraucher nur direkt beim Erzeuger oder bestenfalls in der Metzgerei seines Vertrauens erfragen. Immerhin: Der EU-Kommissar will nun bis Ende des Jahres prüfen, ob eine Ausweitung der Kennzeichnungspflicht sinnvoll ist. Dass fast stündlich neue Meldungen von verstecktem Pferdefleisch in immer mehr Mitgliedstaaten bei ihm auflaufen, sollte dafür doch Ansporn genug sein.
Und völlig unverständlich ist, dass die EU-Kommission, ohne mit der Wimper zu zucken, zeitgleich zum Pferdefleischskandal einen neuen Gesetzentwurf vorlegt, der eine „Made in“-Kennzeichnung für alle Produkte vorschreibt.
Dies sei notwendig, um – nach Aussage der Brüsseler Behörde – die Sicherheit der Verbraucher zu garantieren. Für alle Produkte sollen diese neuen Regeln gelten – außer für Lebensmittel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen