Übergriffe an Odenwaldschule: Versengte Genitalien
Neue Misshandlungsfälle an der hessischen Odenwaldschule: Schüler haben sich dort gegenseitig misshandelt. Die Schulleiterin ist fassungslos.
An der Odenwaldschule in Südhessen sind Fälle von gewalttätigen Übergriffen von Schülern untereinander bekannt geworden. Der Schulleitung liegen Berichte von zwei Schülern vor. "Das ist ganz furchtbar, ich habe mir nie vorstellen können, dass es an der Odenwaldschule eine solche gewaltvolle Atmosphäre gegeben haben kann", sagte Schulleiterin Margarita Kaufmann der taz.
In den Berichten sei von Verbrühungen und Versengungen von Genitalien die Rede. Jüngere Schüler seien als "Sandsack missbraucht" worden. Die Schüler, die von den Vorfällen berichteten, seien beide bis Anfang der 1990er-Jahre an der Schule gewesen sind, sagte Kaufmann. Seit Gründonnerstag lägen ihr die Berichte vor, über Ostern habe sie Gespräche mit beiden Schülern geführt. Ob es weitere Fälle von Gewaltexzessen unter Schülern gebe, könne sie zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.
"Wir müssen jetzt klären, wie es sein kann, dass davon kein Lehrer etwas mitbekommen hat", sagte Kaufmann. "Das muss ja in den Duschen, also hier im Haus stattgefunden haben, das muss eigentlich jemand gehört haben", sagte sie. Sie hoffe auf Aufklärung in den kommenden Wochen, zurzeit seien fast alle Mitarbeiter im Urlaub, so auch die Anwältin, die mit den Missbrauchsfällen betraut sei.
Die Frankfurter Rundschau (FR)berichtete am Mittwoch, es seien zudem neue Fälle von Missbrauch durch Lehrer bekannt geworden, die bis in die späten 1990er-Jahre reichten. Kaufmann sagte, ihr seien nur Fälle bis 1991 bekannt. "Wir haben aber auch keinen genauen Überblick mehr, es kann natürlich sein, dass es auch danach noch Missbrauch gegeben hat", sagte sie. Darüber liege ihr aber nichts vor. Sie habe bisher mit 35 ehemaligen Schülern gesprochen, die missbraucht worden sind, in der FR war von 40 Fällen die Rede. Ein Lehrer, Jürgen K., gegen den auch wegen Missbrauchs ermittelt werde, habe bei Misshandlungen eines Schülers zugesehen. "Dieser Lehrer ist 1992 in den Ruhestand gegangen", sagte Kaufmann. Die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn seien nicht neu, nur sei der Name bisher nicht öffentlich genannt worden. Die FR berichtete, bei den Misshandlungen, bei denen er zugesehen habe, sei ein Schüler mit einer Banane vergewaltigt worden. "Dabei ging es um eine Bananenschale, keine Banane", sagte Kaufmann.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt gegen sieben ehemalige Lehrer der Odenwaldschule wegen Missbrauchs an Schülern, zwei weitere Lehrer sind bereits verstorben. Gegen den früheren Schulleiter Wolfgang Harder werde wegen möglicher Strafvereitelung ermittelt, sagte Ger Neuber, Sprecher der Staatsanwaltschaft, der taz. Der ehemalige hessische Kultusminister Hartmut Holzapfel dementierte am Mittwoch gegenüber dem Hessischen Rundfunk Medienberichte, nach denen er schon im August 1998 vom Missbrauch durch den ehemaligen Schulleiter Gerold Becker gewusst habe. Becker war bis November 1999 Holzapfels Berater.
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