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AbschiebehaftEine Tote macht Politiker nachdenklich

Eine 34-jährige Indonesierin erhängte sich in Hamburg-Hahnöfersand in Der Innen- und Rechtsausschuss befasst sich in einer Sondersitzung mit dem Fall und sucht Alternativen zur bisherigen Praxis. Ein Runder Tisch soll Hilfestellung leisten.

Wo niemand die Suizidabsichten der 34-Jährigen bemerkte: Das Abschiebegefängnis Hahnöfersand. Bild: Foto: dpa

Yeni P. galt unter den Strafvollzugsbeamtinnen als "aufgeschlossen und kontaktfreudig, sprach über Zukunftspläne" und hatte "schnell Kontakt zu den Mitgefangenen", berichtet Justizsenator Till Steffen (GAL) in der gemeinsamen Innen- und Rechtsausschusssitzung über die 34-jährige Indonesierin, die sich vorigen Freitag in der Abschiebehaft im Frauengefängnis Hamburg-Hahnhöfersand das Leben genommen hat. "Es gab keinerlei Hinweise auf Suizidalität", sagt Steffen. Doch Yeni P. hatte Angst vor der so genannten "Rückführung" in ihr Heimatland, Angst vor der von zwei Bundespolizisten begeleiteten Abschiebung im Flieger, Angst davor, in Indonesien im Gefängnis zu landen - das belegen ihre Abschiedsbriefe.

Immer wieder stochert die Linksfraktion im Ausschuss nach, fragt den Leiter der Abteilung für Ausländerangelegenheiten der Ausländerbehörde, Christoph Bushart, ob Zwangsprostitution in P.s Fall eine Rolle gespielt habe. Mehrmals weicht Bushart aus, räumt aber ein, dass P. in der Prostitution tätig war.

Yeni P. war erstmals 1996 mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen, hatte in Hannover geheiratet und war nach der Scheidung ausgewiesen worden. 2002 kam sie wieder nach Deutschland, diesmal mit einem anderen Pass, hatte in Indonesien geheiratet. Die Ehe wurde von den Behörden als Scheinehe eingestuft, sie wurde erneut ausgewiesen, heiratete wieder unter anderem Namen in Dänemark, die Ehe wurde von den deutschen Behörden abermals nicht anerkannt. Vieles spricht für die Linkspartei-Abgeordnete Christiane Schneider dafür, dass Yeni P. in jenen Jahren Opfer von Zwangsprostitution war.

Zuletzt arbeitete sie jedoch nach taz-Informationen frei als Sexarbeiterin in einem Edelbordell, bis sie laut Ausländerbehörde nach einem Hinweis ihres Ex-Mannes am 23. Februar in der Modellwohnung aufgegriffen wurde. Denn gegen sie lag seit 2008 eine Ausweisung vor. Noch bevor ihr der Prozess gemacht werden konnte, hatte die Ausländerbehörde Abschiebehaft beantragt, die das Amtsgericht Hamburg-Barmbek am 9. März auch anordnete. "Sie kannte Wege, sich illegal in Hamburg den Aufenthalt zu finanzieren", sagt Bushart. Am 7. April wurde Yeni P. wegen Verstoß gegen das Ausländergesetz zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Untersuchungshaft ging nahtlos in Abschiebehaft über, P. landete im Frauengefängnis Hahnöfersand.

Dass Yeni P. gemeinsam mit Strafgefangenen untergebracht war, hält Senator Steffen für kein Problem. "Sonst wäre die totale Isolation eingetreten." So habe sie an vielen Freizeitaktivitäten in der Haftanstalt teilnehmen können - aber auch den Mitgefangenen seien keine Suizidabsichten aufgefallen. Hätte es Warnungen gegeben, hätten diese Alarm geschlagen, sagt Steffen, "das ist Kultur in dieser Haftanstalt". Lediglich das Aufnahmegespräch sieht man heute in einem anderen Licht, da es P. "ungerecht" empfunden habe, "begleitet" nach Indonesien abgeschoben zu werden - sie hatte womöglich Angst deswegen wieder in die Klauen von Schlepperringen zu geraten.

In der Politik hatte der Tod von Yeni P., der zweite Todesfall in Abschiebehaft innerhalb von zwei Monaten, tiefe Bestürzung ausgelöst. Noch am Todestag gab die schwarz-grüne Regierungskoaltion per Presseerklärung bekannt, etwas an der Abschiebehaft-Praxis ändern zu wollen und deshalb einen Runden Tisch zwischen Parlament, Vertretern von Justiz- und Innenbehörde sowie Flüchtlingsorganisationen und wissenschaftlichen und juristischen Sachverständigen einzuberufen.

Inzwischen möchte die CDU-GAL-Koaltion erstmals allein mit den Sachverständigen reden, was in der Opposition Befremden auslöst. "Die Opposition gehört zum Parlament", empört sich Christiane Schneider, die sich für ein sofortiges Ende der Abschiebehaft einsetzt. "Sie ist sogar das wichtigste." Justizsenator Steffen kündigte bereits an, alle Maßnahmen der Abschiebehaft zu beleuchten. Steffen: "Da gibt es keine Tabus."

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