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A 100 und die ParteisoldatinDer Fluch der Beharrlichkeit

Lange empfand die SPD die Beständigkeit ihrer Senatorin Ingeborg Junge-Reyer als wohltuend. Im Streit über die A 100 wird dies jedoch zur Belastung für die Partei.

Mag den Straßenbau: A 100-Senatorin Ingeborg Junge-Reyer Bild: dpa

Verlässlich. Ausdauernd. Ehrlich. Das bekommt man zu hören, wenn man nach Ingeborg Junge-Reyer fragt, ob im Regierungslager oder der Opposition. Doch die eigentlich positiven Eigenschaften wenden sich für die SPD zum Negativen. Die Beharrlichkeit ihrer Stadtentwicklungssenatorin lässt den Streit über die A 100 hochkochen: Während sich die Regierungsparteien von dem zuvor unterstützten Autobahnbau abwenden, hält Junge-Reyer daran fest.

Ein Begriff, der im Zusammenhang mit Junge-Reyer nie fällt, ist "opportunistisch". Es wäre für sie leicht gewesen, bei wachsendem Widerstand in ihrer Partei auf angeblich neue Einsichten und Argumente zu verweisen und sich plötzlich auch gegen die A 100 auszusprechen. Vielleicht hätte sie dann sogar raushandeln können, was weithin als unwahrscheinlich gilt: dass sie auch nach einem SPD-Wahlerfolg 2011 Senatorin bleibt. Nirgendwo ist eine Äußerung von ihr zu finden, wonach die heute 63-Jährige definitiv amtsmüde ist und auf die Politrente schielt. Sie kann sich nur schaden und einen vorzeitigen Rauswurf riskieren, wenn sie am Weiterbau der A 100 festhält, obwohl am Samstag auch die Linkspartei dagegen stimmte - wie zuvor 2009 ein SPD-Landesparteitag. Warum tut sie das?

"Es ist der große Unterschied im Vergleich zu ihrem Vorgänger, dass sie weniger Visionen ausstrahlt, dafür aber Konzepte stringent abarbeitet und nicht von einem zum nächsten springt", sagte Christian Gaebler, der parlamentarische Geschäftsführer und Verkehrsexperte der SPD-Fraktion. Genau das macht Junge-Reyer bei der A 100: Sie arbeitet ab, was beschlossen und festgeschrieben ist. Und die Verlängerung der Autobahn ist im Koalitionsvertrag fixiert. Gaebler kennt Junge-Reyer seit vielen Jahren aus nächster Nähe - sie und ihren besagten Vorgänger Peter Strieder, der auch SPD-Landeschef war. Der hatte meist viele Ideen und konnte seine Haltung laut Gaebler auch schnell mal ändern.

Auf Junge-Reyer hingegen passt mehr das Helmut-Schmidt-Zitat, wonach zum Arzt gehen soll, wer Visionen hat. Sie war 2004 kaum im Amt, als sie zunehmend unrealistische Projekte ihres Vorgängers kippte oder zurechtstutzte. Das passierte nicht nach persönlichem Gusto und Allmachtsanspruch, sondern nach dem Maßstab der Machbarkeit und Bezahlbarkeit.

Das gefiel der SPD lange Zeit gut. Die Partei schätzte Junge-Reyer auch deshalb bislang so sehr, weil sie sich als Senatorin für Stadtentwicklung und Verkehr viel gefallen ließ. Mehrfach hat sie sich in den vergangenen zwei Jahren vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit düpieren lassen, etwa bei der Nutzung des Flughafens Tempelhof. Junge-Reyer hatte längst einen Ideenwettbewerb gestartet, als ihr Wowereit einen Mietvertrag mit der Modemesse Bread & Butter vorsetzte.

Andere Politikerinnen und Politiker hätten da zumindest in Hintergrundgesprächen mit Journalisten Dampf abgelassen. Von Junge-Reyer aber ist kein einziges kritisches Wort über Klaus Wowereit zu hören. "Sie könnte jetzt ihrem Ärger freien Lauf lassen", sagte die Grünen-Politikerin Claudia Hämmerling, die sie seit den frühen 90ern kennt, als beide Sozialstadträtinnen waren, "aber das macht sie nicht, das entspricht einfach nicht ihrem Naturell".

SPD-Mann Gaebler erzählt, dass Junge-Reyer auch in internen Gesprächen immer die Haltung bewahrt, dass sie nicht poltert, nicht ausfallend wird. Gaebler sieht darin auch den Grund, warum Junge-Reyer in einer Weise redet, die Hämmerling ein "gruseliges Beamtendeutsch" nennt. Sie sei so bemüht, Emotionen aus ihren Worten zu nehmen, "dass die Dinge manchmal etwas trocken rüberkommen", sagt Gaebler. So selten weicht Junge-Reyer von ihren wie gestanzt wirkenden Formulierungen ab, dass es wie ein echtes Bonmot klang, als sie 2009 im Abgeordnetenhaus mal von Frühling, Sommer, Herbst und Winter als den "vier Feinden der S-Bahn" sprach.

Oft wurde Junge-Reyer wegen ihrer Loyalität als Parteisoldatin beschrieben. Genauer betrachtet aber stimmte das nur, weil bislang die Parteispitze weithin dasselbe wollte wie die Parteitagsmehrheit. Im Streit über die A 100 ist das anders, und da zeigt sie, wem gegenüber sie wirklich loyal ist: ihrem Chef Wowereit, so wie sie früher als Staatssekretärin loyal zu ihrem Senator war.

Junge-Reyers Beherrschtheit haben auch die Anwürfe aus der Opposition nicht knacken können. Die Senatorin sah sich im Parlament schon mehrfach als überfordert und unfähig abgestempelt, im S-Bahn-Chaos auch mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Nie ist sie ausgerastet. "Wowereit habe ich schon mal zur Weißglut gebracht", erzählt Hämmerling, "Junge-Reyer noch nie." Sie meckere nie, sie sei immer konziliant, sagt auch CDU-Verkehrspolitiker Oliver Friederici. Bleibt die Frage, ob Junge-Reyer selbst in ihrem tiefsten Innern an den Sinn der A 100 glaubt. Hämmerling sieht sie geprägt durch einen Betonlobbyismus in der SPD. Gaebler spricht ihr zu, von einem Gesamtverkehrskonzept zutiefst überzeugt zu sein und deshalb auch von der A 100 als Teil davon.

Mit ihrer Beharrlichkeit ist Junge-Reyer die größte Hoffnung von CDU und FDP geworden, die als Einzige am Weiterbau festhalten. "Bei der A 100 ist ihr nichts vorzuwerfen", sagt CDU-Mann Friederici, "da macht sie gute Arbeit."

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2 Kommentare

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  • G
    Genossenversteher

    Junge-Reyer muss raus! Raus der SPD-Meinungsunion. Dann kann sie ihre eigene Meinung in aller Ruhe abwerten, natürlich unter einem strikten Umstrukturierungsprozess ihrer Ansichten. Dann lassen wir sie vielleicht weiter in der SPD mitspielen.

  • L
    Lange

    Vielleicht fällt Frau Junge-Reyer auch deshalb aus dem Rahmen der Landesregierung, weil sich ihr Amt ernst nimmt und tatsächlich plant. Ich wäre von einem Weiterbau der A 100 erheblich negativ betroffen. Wenn ich aber auf den Stadtplan von Berlin sehe, halte ich den Weiterbau zur Erschliessung des Nordostens für zwingend notwendig.

    Auf den Weiterbau aus populistischen Gründen zu verzichten, nachdem man früher dafür war, wie SPD und Linke uns vorexerzieren, ist genauso blindes Agieren wie das planlose unsinnige Schliessen von Tempelhof.