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Theaterregisseur Björn Bicker über den Boxer Johann Trollmann"Unwissend sämtliche Tabus verletzt"

Regisseur Björn Bicker über den sinto-deutschen Boxer Johann Trollmann. Bicker hat aus Trollmanns Biographie ein Theaterprojekt entwickelt, das die Geschichte der Sinti in Hannover vom Nationalsozialismus bis heute thematisiert.

Trollmanns Kampf: Das Theaterstück soll jugendlichen Sinti ein Forum bieten, die sich öffentlich mit ihrer Situation auseinandersetzen. Bild: Katrin Ribbe
Interview von Ralf Lorenzen

taz: Herr Bicker, was hat Sie an der Geschichte von Johann Trollmann interessiert, als das Staatstheater Hannover Sie um Ihre Mitarbeit gebeten hat?

Björn Bicker: Ich habe erstmal gemerkt, dass ich sehr wenig über Sinti und deren Geschichte weiß. Das hat mich angespitzt, weil mir klar wurde, was für eine krasse Lücke das ist. Und dann ist diese Trollmann-Geschichte natürlich bewegend. Da ist dieses große Bild, nachdem ihm die Nazis 1933 die deutsche Profimeisterschaft im Halbschwergewicht wegen "undeutschen Boxens" aberkannt haben. Da hat er sich im nächsten Kampf die Haare blondiert und den Körper geweißt. Und dann hat er tatsächlich mit seiner Tänzerei und dem modernen beweglichen Stil aufgehört und versucht "deutschen Faustkampf zu zeigen", wie er von ihm gefordert wurde. Dabei hat er natürlich extrem die Fresse voll bekommen. Ein sehr ambivalenter Widerstandsakt.

Wie haben Sie die Geschichte denn recherchiert?

Johann Trollmann/Björn Bicker

Johann Trollmann

Der Boxer Johann Trollmann, genannt "Rukelie", wuchs im Armenviertel Hannovers als Sinto auf.

Zum Publikumsliebling wurde er in der Weimarer Republik aufgrund seines eleganten Boxstils.

Nachdem er 1933 den Meistertitel im Halbschwergewicht gewann, erkannten die Nazis ihm den Titel wegen "undeutschen Boxens" ab.

Aus Protest stieg er bei seinem nächsten Kampf mit weiß gepuderter Haut und blond gefärbten Haaren in den Ring und ließ sich K.O. schlagen.

Ins KZ Neuengamme deportiert wurde er 1942 und 1943 im KZ Wittenberge ermordet.

Björn Bicker

ist Regisseur, Dramaturg und schrieb unter dem Pseudonym Polle Wilbert Theaterstücke.

Zuerst haben wir Kontakt zu seiner Familie aufgenommen, vor allem zu seinem Großneffen Manuel Trollmann, der auch eine Homepage über seinen Onkel betreibt. Dann habe ich natürlich die Biografie "Leg dich, Zigeuner" von Roger Repplinger intensiv studiert. Fulminant war die Begegnung mit Hans Firzlaff, ohne den die Geschichte Trollmanns in Vergessenheit geraten wäre. Er hat uns erzählt, wie sein Vater zu ihm als Kind gesagt hat: "Box mal wie der Trollmann." Das hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen und er hat sehr viel Material zusammengetragen.

Was war für Sie als Autor die Leitidee bei der Umsetzung dieses Stoffs?

Es war klar, dass wir diese Geschichte nur mit Sinti zusammen erzählen können. Marc Prätsch, der Regisseur, und ich wollten parallel zu dem historischen Stoff etwas über die Lebensrealität der Sinti heute erzählen. Aber es ist gar nicht so einfach, mit den Leuten zusammenzukommen und Vertrauen zu finden. Es gibt da verständlicherweise eine große Skepsis. Sie haben oft erlebt, dass sich Leute für ihr Leben interessieren, sie ausforschen, das auf den Markt tragen und für ihre Zwecke missbrauchen.

Wie haben Sie das denn trotzdem geschafft?

Über tausend Umwege sind wir in Hildesheim auf der Münchewiese gelandet, wo zahlreiche Sinti leben. Das ist ihr alter Platz, wo früher ihre Wagen und Baracken standen, und heute eben Häuser. Da haben wir Kontakt zu einer Gruppe junger Sinti bekommen, die in einer so genannten "Befähigungsmaßname" von Caritas und Arbeitsagentur waren. Wir haben uns getroffen und kennengelernt. Ich habe Spielszenen geschrieben und Interviews bearbeitet, die wir gemeinsam weiterentwickelt haben. Neben drei Profi-Schauspielern treten acht Laiendarsteller sowie die Musiker Kussi Weiss und Dotschy Reinhardt auf.

Wie verknüpfen Sie denn im Stück die Trollmann-Geschichte und die aktuelle Lebensrealität junger Sinti?

Wir inszenieren das als eine Radioendung über berühmte Sinti, in der an dem Abend eben Johann Trollmann das Thema ist. Die Darsteller versetzen sich in die Geschichte und kommen über die Motive zu ihrem eigenen Leben. Eine Darstellerin spielt zum Beispiel die Mutter von Trollmann und erzählt dann, wie sie selbst versucht, ihre Kinder zu erziehen.

Haben die Jugendlichen, mit denen sie zusammenarbeiten, heute noch eine ausgeprägte Identität und Gruppenzusammengehörigkeit als Sinti?

Klar haben sie die, aber sie ist extrem geprägt durch die lange Geschichte von Verfolgung und Stigmatisierung, die nach dem Völkermord an den Sinti in der Bundesrepublik nahtlos weiterging. Es ist den Darstellern, die bei uns mitmachen, sehr wichtig zu erzählen, was den Alten passiert ist. Und was ihnen heute noch täglich passiert, wenn beispielsweise die Chefin zu den anderen Auszubildenden sagt: "Schließt eure Spinde ab, es arbeitet jetzt eine Zigeunerin bei uns." Die Jüngeren fangen aber an, Selbstbewusstsein zu entwickeln und zu sagen: Wir sind stolz, Sinti zu sein und wollen das auch nicht mehr verstecken.

Kann so ein Projekt wie Ihres dazu beitragen, dieses Selbstbewusstsein zu unterstützen?

Das kann man nur hoffen. Aber die eigene Geschichte öffentlich zu machen, dazu gehört ja schon eine Menge Mut. Und das findet ja nicht in einer Nische, sondern in einem kulturellen Zentrum statt. Es ist nicht üblich, dass die Belange der Sinti an so zentraler Stelle verhandelt werden.

Sie sprachen von anfänglichem Misstrauen der Sinti. Gab es denn in der Zusammenarbeit auch Momente, wo die Welten schmerzhaft aufeinander geprallt sind?

Oh ja. Als die Darsteller meine ersten Texte vorlasen, wurde aus guter Laune plötzlich eine bedrückte Stille. Unwissend wie ich war, hatte ich sämtliche Tabus verletzt die man verletzen kann und Wörter benutzt, die Sinti nicht aussprechen.

Ihre Darsteller haben Sie in Hildesheim gefunden. Tauchen die Spuren, die Johann Trollmann in Hannover hinterlassen hat, in ihrem Stück auf?

Die sind immer präsent. Der Ballhof, wo wir das Stück spielen, ist ja um die Ecke von der Straße, in der Trollmann gewohnt hat. Und der zweite Spielort, die Kreuzkirche, in die wir im zweiten Teil umziehen, ist nur einen Steinwurf entfernt.

Die Stadt Hannover hat die Straße, in der er aufgewachsen ist, vor einigen Jahren nach Johann Trollmann benannt. Haben Sie den Eindruck, dass die Stadt dieses Erbe auch sonst angenommen hat?

Als wir die Kreuzkirche als Spielort haben wollten, musste ich das Projekt vor dem Kirchenvorstand vorstellen, da hat der Ex-Bürgermeister Schmalstieg einen flammenden Appell dafür gehalten, sich weiter mit diesem Kapitel zu beschäftigen.

Ihr Stück heißt im Untertitel auf Romanes "Mer Zikrales". Was heißt das auf Deutsch?

Wir zeigen es.

Wird auf der Bühne geboxt?

Nicht wirklich. 1 : 1-Realismus wird vermieden.

Sie sagten, die Sinti hätten oft die Erfahrung gemacht, dass sich Leute für ihre Geschichte interessieren, sie zu Markte tragen und dann wieder weg sind. Wird das in diesem Fall anders sein?

Das wäre schön. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem man zusammen mit dem Theater nachdenken kann, wie das Projekt weiterentwickelt werden kann.

Premiere: 30. 4. um 19.30 Uhr im Ballhof Eins in Hannover

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