Die Wahrheit: Fische, wollt ihr ewig leben?

Ihre traurige Existenz ist Fischen noch nach ihrem Tod anzusehen. Fische sind die einzigen Tiere, die, wenn sie tot sind, verärgert dreinblicken.

Der Fisch will auch im Jenseits die Augen einfach nicht schließen. : reuters

Fische sind die einzigen Tiere, die, wenn sie tot sind, verärgert dreinblicken. Andere Tiere sehen aus, als würden sie schlafen. Oder sie liegen, selbst wenn es wie beim Mistwurm nicht gleich zu erkennen ist, auf dem Rücken. Manche sehen auch überrascht aus, was sich, gäbe es Todesanzeigen für Tiere, durch den Gebrauch der Worte "plötzlich und für alle unerwartet" adäquat wiedergeben ließe.

Bestimmte Insekten sehen tot noch nicht einmal aus wie etwas, das mal gelebt haben könnte, sondern eher wie etwas, das man im Cerealien-Regal des Biosupermarkts findet. Fast alle haben sie aber wenigstens die Augen zu, denn wenn man tot ist, gibt es keinen überzeugenden Grund mehr dafür, sich irgend etwas angucken zu wollen.

Wie auch immer: Verärgert sieht jedenfalls keines dieser Tiere aus. Anders verhält es bei Fischen. Mit vorwurfsvoll aufgerissenen Glotzaugen und merkelös herabgezogenen Maulwinkeln liegen sie herum, als wollten sie Dinge sagen wie: "Mir bleibt aber auch nichts erspart!", "Tot sein hab ich mir irgendwie anders vorgestellt!" oder "Fuck, jetzt muss ich auch noch in den Rauch!"

Ist das angemessen? Entspricht es den gesellschaftlichen Konventionen in der Unterwasserwelt, wenn der Verstorbene schlechte Laune hat? Was machen die teuren Hinterbliebenen, die bei Fischen ja in die Hunderttausende gehen können? Eine Trauerfeier beruht nun einmal darauf, dass die Verwandten trauern können, ohne sich fortlaufend fragen zu müssen, ob der Verstorbene gut drauf ist oder nicht.

Nun sind die mimischen Ausdrucksmöglichkeiten der Fische begrenzt. Lachfältchen um die Augen sind bei ihnen auch ab dreißig kein Thema. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie keine Emotionen haben, schwingungsarm sind, wie der Fachmann sagt. In der Literatur finden sich durchaus entsprechende Hinweise. So wird in Franz Schuberts "Die Forelle" dieselbe als "launisch" bezeichnet, als froh ("… in froher Eil …") sowie als "munter". Offenbar gelingt es der Forelle nicht nur, verschiedene Gemütslagen zu haben, sondern sie auch zum Ausdruck zu bringen. Was nur eine Schlussfolgerung zulässt: Wenn ein toter Fisch verärgert aussieht, dann deshalb, weil er es ist.

Damit wäre die Ausgangslage geklärt, nicht jedoch die Frage: Warum ist das so?

Nun sind die Jenseitserwartungen der Fische bislang wenig untersucht. Vermutlich ist es im Fischeparadies weniger schön, als Fisch denkt. Der Lachs hat womöglich von der zuständigen Amtskirche und ihrem obersten Würdenträger, dem Erzfischof, immer einen kalten klaren Strom ganz wie in Alaska versprochen bekommen, und dann findet er sich auf einer Zuchtfarm wieder, wo es voll ist wie im Schmuddel-Pool einer Zwei-Sterne-Herberge auf Ibiza, aber ohne Flatrate-Saufen.

Oder die Gründe sind ganz diesseitig. Die große alte Karpfenkuh zum Beispiel hat möglicherweise bereits zu Lebzeiten mancherlei Grund zur Unzufriedenheit: zu dick, verwitwet, die Kinder rufen nicht an, vielleicht ist auch die Wassergymnastik zum wiederholten Mal ausgefallen, und wenn sie mal vor die Tür schwimmt, ist alles voller Ausländer - Kois, Piranhas, afrikanische Zierbarsche. Weshalb sollte sie, wenn sie tot ist, plötzlich fröhlich werden? Unzweifelhaft stellt der eigene Tod im Leben eines jeden eine Zäsur dar - doch deswegen lieb gewordene Gewohnheiten aufgeben? Muss nicht sein, denkt sich Karpfenoma und ist weiter mürrisch.

Der Köhler, auch als Kohlfisch bekannt, findet es möglicherweise ungerecht, dass er den blöden, aber marketingwirksamen Namen Seelachs tragen muss, während sein Namensvetter Horst im Berliner Schloss Bellevue, der Marketingmaßnahmen viel nötiger hätte, weiter heißen darf wie bisher.

Der Hecht war ein Trennungskind oder kam mit seiner sexuellen Identität nicht klar. Und so weiter und so fort - die Reihe missgestimmter Schuppentiere ließe sich fortsetzen. Bei jedem Fisch fänden sich Gründe zuhauf. Man sollte das akzeptieren.

Der einzige Fisch, der tot nicht ärgerlich aussieht, ist der Delfin. Aber der Delfin ist ja bekanntlich gar kein Fisch, sondern ein … - richtig! Doch ist das ein Grund, schon tot zu sein und immer noch zu lächeln?

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kari

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