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JustizHaft mit Hindernissen

Ein Häftling im Rollstuhl beklagt, dass seine Zelle in Tegel nicht behindertengerecht sei. Die Anstalt weist die Kritik zurück.

Detlef F. ist 52 Jahre alt und schwerbehindert. Wegen einer Sexualstraftat ist er zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die verbüßt er zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel. In einem Brief an die taz erhebt F. schwere Vorwürfe gegen die Anstalt. Er sitze im Rollstuhl und habe starke spastische Anfälle. "Behindertengerecht ist hier drin gar nichts, überall sind unüberwindliche Barrieren." Weil er zu wenig Bewegung habe, verschlimmere sich seine Spastik immer mehr. Zudem könne er sich auch nicht richtig waschen und habe deshalb Wunden.

Mitarbeiter der Tegeler Anstalt weisen die Vorwürfe zurück. Natürlich sei es für einen Menschen mit Behinderung nicht angenehm, im Gefängnis zu sitzen. Für Nichtbehinderte sei es das aber auch nicht. Und auch draußen stießen Behinderte auf Barrieren. Man täte viel für F., um ihm das Leben in der Haft erträglich zu gestalten. Er habe größere Freiräume als andere Häftlinge. Dinge, die er nicht selbst erledigen könne, würden ihm abgenommen.

Wie in den meisten Berliner Gefängnissen gibt es in der Anstalt Tegel, die mit 1.550 Haftplätzen Deutschlands größter Männerknast ist, nur eine einzige behindertengerechte Zelle. Diese befindet sich im Parterre des Anstaltshauses II. Der Häftling F. ist dort seit Oktober 2009 untergebracht. Auf 7,8 Quadratmetern Grundfläche stehen Tisch, Schrank, Regal, Stuhl und ein verstellbares Krankenbett. Während Toilette und Waschbecken im Haus II normalerweise in die Zellen integriert sind, ist an die behindertengerechte Zelle ein Bad von nochmals 7,6 Quadratmetern angeschlossen. Neben der üblichen Sanitärausstattung verfügt es über Dusche und Badewanne, an den Wänden sind Haltegriffe und Notrufknöpfe installiert.

Diese Zelle sei immer belegt, sagen Anstaltsmitarbeiter. Häftlinge mit schlimmeren Behinderungen als F. hätten dort schon eingesessen. Vergleichbare Beschwerden, wie sie F. vorbringe, habe es noch nie gegeben. In dem Brief an die taz schreibt F., er könne sich nicht richtig waschen, weil es keinen Wannenlift gebe, der ihn in die Badewanne hebe. Deshalb habe er offene Stellen am Gesäß. Dass die Dusche mit einem speziellen Sitz mit Hygieneausschnitt ausgestattet sei, nütze nichts, weil er von diesem wegen seiner spastischen Anfälle immer runterrutsche. "Deshalb bin ich gezwungen, mich auf dem Boden zu waschen."

Der Duschsitz sei eigens für F. angeschafft worden, sagt die Anstalt. Zu der Frage der Pflegebedürftigkeit des Häftlings und dessen Anforderungen an die Zellenausstattung habe man zuvor ein ärztliches Gutachten eingeholt. Der Häftling bekomme regelmäßig Physiotherapie. Seine Wäsche werde von anderen Häftlingen abgeholt und in die Anstaltswäscherei gebracht, das Essen werde ihm in der Zelle serviert, sein Geschirr abgewaschen, Haftraum und Bad würden gereinigt. All diese Dinge müssten die Gefangene eigentlich selbst tun. Zum Hofgang könne er mit dem Rollstuhl ganz normal hinausrollen. Wenn er sich das nicht zutraue, wisse er, dass er die Beamten ansprechen könne. Aber F. scheine wenig Interesse am Hofgang zu haben. Auch bei schönem Wetter gehe er nicht hinaus.

F.s Anwalt Friedrich Bauer sagt, sein Mandant habe sich noch mit Krücken fortbewegen können, als er seine Strafe angetreten habe. Wegen mangelnder Bewegung hätten sich seine Spastiken verschlimmert. Durch einen Gerichtsbeschluss bekomme er zwar zweimal die Woche eine physiotherapeutische Behandlung, aber wenn der Therapeut drei Wochen in Urlaub sei, falle die Behandlung aus. Wenn die Justiz nicht sicherstellen könne, dass ein behinderter Mensch im Gefängnis in geeigneter Weise versorgt werden könne, müsse er in eine Reha-Einrichtung verlegt oder die Haft unterbrochen werden, so der Anwalt.

Auch den Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen hat F. eingeschaltet. Der hat bekanntlich für gleichwertige Lebensbedingungen von Behinderten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu sorgen. Heike Weineck leitet das Büro des Landesbeauftragten. Sie hat F. mehrfach im Knast besucht. Ihr Eindruck: "Die Anstalt ist wirklich bemüht, Abhilfe zu schaffen." Dass F. trotzdem weiter Klage führe, so Weineck "kann ich teilweise nicht mehr verstehen."

Vielleicht geht es F. nur um eines: Er will raus. Zu verstehen wäre es. Aber auch in dieser Frage gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz: Behinderte Menschen, die wegen Vergewaltigung verurteilt sind, müssen ihre Strafe genauso verbüßen wie Nichtbehinderte. Es sei denn, sie sind haftunfähig. Der Auffassung ist auch Heike Weineck. An der Zellenausstattung dürfe es nicht scheitern, sagt sie. Beim Bau der geplanten neuen Männerhaftanstalt in Großbeeren südlich von Berlin will sie deshalb prüfen lassen, ob ein Wannenlift installiert wird.

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