Kleine Geschichte des Tischtennis: Wie Pingpong nach Moskau kam
Ivor Montagu war Pionier des Tischtennis, Kommunist, sowjetischer Spion und Alfred Hitchcocks Filmproduzent - ein Rückblick anlässlich der Team-Weltmeisterschaft in Moskau.
Am Ende der derzeit in Moskau ausgetragenen Mannschafts-WM im Tischtennis erhält das siegreiche Männerteam den Swaythling-Cup. Das ist ein 1926 gestifteter Pokal, benannt nach der Spenderin Lady Gladis Goldsmid Montagu Swaythling. Die wollte damit ihrem Sohn etwas Gutes tun: Ivor Goldsmid Samuel Montagu spielte gut und war begeistert von diesem in England noch jungen Sport. Er war erst 19 Jahre alt, als er 1923 zusammen mit dem Boulevardblatt Daily Mirror ein Tischtennisturnier organisierte: 40.000 Teilnehmer in 40 Hallen sorgten für den ungeahnten Erfolg des Sohnes von Louis Montagu, einem der reichsten Bankier Londons.
Erst ein Jahr zuvor hatte sich die "Ping Pong Association" gegründet. Doch weil der Name Ping Pong geschützt war, musste sich der Verband umbenennen in "English Table Tennis Association". Als vier Jahre später, 1926, der Weltverband "International Table Tennis Federation" (ITTF) gegründet wurde, da war Ivor Montagu wieder dabei: Er wurde erster ITTF-Präsident und blieb es bis 1967.
Das Spiel mit dem Zelluloidball war aber nur eine von mehreren Leidenschaften des talentierten Sohnes aus jüdischem Hause. Seine zweite große Passion war der Film. Mit Alfred Hitchcock drehte er unter anderem "The Man Who Knew Too Much" (1934). Der erste Film, bei dem Montagu selbst Regie führte, handelte vom Tischtennis. Eng befreundet war Montagu mit Sergej Eisenstein. Den vermittelte er 1930 in die USA. Von Eisenstein beflügelt, versuchte er auch eine Theorie des Kinos zu entwickeln.
Seinen guten Freund Charly Chaplin inspirierte Montagu zu einem seiner besten Filme: In einer Nazibroschüre hatte er diesen Satz über Chaplin gelesen: "Dieses kleine jüdische Stehaufmännchen ist so ekelhaft, wie es langweilig ist." Das teilte er Chaplin mit, und der war motiviert genug, um "The Great Dictator" (1940) zu drehen. Die dritte Leidenschaft Montagus war fast so groß wie die für Tischtennis: der Kommunismus. Zunächst trat er der Sozialistischen, bald der Kommunistischen Partei Großbritanniens bei. Der Cambridge-Absolvent hatte mit seiner Familie gebrochen und wollte unabhängig leben, "in einer Weise, in der er sich als Proletarier fühlen" konnte, wie die Times in ihrem Nachruf schrieb.
Bis zu seinem Tod 1984 war er Mitglied, trieb für die KP Geld auf, drehte viele Propagandafilme, und vermutlich ließ er sich sogar als Spion für die Sowjetunion anheuern. Ganz sicher ist dies nicht, aber viele Indizien sprechen dafür, dass er für den sowjetischen Militärgeheimdienst GRU das amerikanisch-britische Venona-Projekt ausspionierte, mit dem sowjetische Nachrichten entschlüsselt werden sollten. Geschadet haben die Gerüchte über seine Tätigkeit Ivor Montagu nie. Er blieb auch nach dem Krieg unangefochten der Präsident der ITTF. Und schließlich war er ja auch irgendwie der Mann, der das Tischtennis nach Moskau brachte. Bis hin zur aktuellen WM.
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