die wahrheit: Karten an den Vater
Franz Kafka auf Helgoland? Auf der Insel Krk? Auf den Malediven? Endlich entdeckt: unbekannte Post des berühmten Prager Dichters.
Franz Kafka auf Helgoland? Auf der Insel Krk? Oder gar auf den Malediven? Von solchen Exkursionen des berühmten Prager Dichters war der Forschung bis vor kurzem nichts bekannt. Man könnte sagen, dass er als Stubenhocker verrufen war, als menschenscheuer Sonderling und Reisemuffel. Umso verblüffender wirkt die Meldung, dass im Keller eines Antiquariats in Dresden Postkarten aufgetaucht sind, die seine Anwesenheit in mehr oder weniger exotischen Urlaubsdomizilen belegen.
"Lieber Vater! Auf Krk amüsiere ich mich ganz prächtig. Schwimmen, Schlemmen, Zechen! Ja, und gestern habe ich eine niedliche Krkerin kennengelernt. Wir wollen uns verloben, aber nicht miteinander, sondern sie sich mit einem stämmigen Bauernburschen und ich mich mit einer drallen Küchenmamsell, die hier im Hotel ihren Dienst versieht. Ich melde mich dann aus den Flitterwochen, die wir in Las Vegas verbringen werden. Arbeite schön! Es grüßt Dich Dein Franz."
Wenn auch der Inhalt gegen Kafkas Copyright an diesem Urlaubsgruß zu sprechen scheint, so haben renommierte Grafologen doch jeden Zweifel an der Echtheit seiner Handschrift ausgeräumt. Auch ein Tintentest bestätigt die Annahme, dass hier kein Schwindler am Werk gewesen ist, und als ob das noch nicht genug wäre, hat eine Analyse des Speichels unter der Briefmarke die Übereinstimmung mit Kafkas DNS ergeben.
Die Experten stehen vor einem Rätsel. Erschwert wird die ohnehin knifflige Einordnung der neuen Fakten in Kafkas Lebenslauf durch den Umstand, dass die Karten nicht datiert und die Poststempel nicht zu entziffern sind. Immerhin lassen sie sich nach inhaltlichen Kriterien in eine logische Reihenfolge bringen. Auf den Trip nach Krk folgte die Reise nach Las Vegas, mit einer Zwischenstation im Ruhrgebiet, wo Kafka sich von seiner frischgebackenen Verlobten trennte und das Weite suchte. Dies jedenfalls ist der Sinn, der sich einer von Helgoland abgesandten Karte entnehmen lässt: "Hallo Papa! Wir sind nur bis zur Ruhr gekommen. Dort habe ich das Mamsellchen sitzengelassen und mich mit einen geschäftstüchtigen Croupier zusammengetan. Er arbeitet in einem Spielkasino auf Helgoland, einer landschaftlich wenig reizvollen Insel, die vornehmlich von Transvestiten bewohnt wird. So long! Dein Franzl."
Gegenüber dem Adressaten scheint Kafka sich von Mal zu Mal größere Freiheiten herausgenommen zu haben. Darauf deutet ein Kartengruß aus Tripolis hin: "Hey Pops! Bin mal wieder woanders gelandet. Hier lassen sich hohe Gewinne erzielen, vor allem durch Waffenschmuggel, aber auch in den Branchen Mädchenhandel und Eisenverhüttung. Dumm ist nur, daß ich die Sprache nicht verstehe. F."
Noch kürzer angebunden zeigte Kafka sich bei einem Abstecher nach Alexandria: "Die Scheißhitze hier geht mir entsetzlich auf die Nüsse, Alter!" Daran schließen sich weitere Kurzmitteilungen aus Damaskus, Bombay und Peking an, deren Ton jedoch so rüde ausfällt, dass sich die Wiedergabe in einer seriösen Tageszeitung verbietet.
"Wenn diese Karten echt sind, fresse ich einen Besen", hat der Kafka-Fan Klaus Wagenbach erklärt und eine Unterschriftenaktion gestartet, die sich vehement gegen diese vermeintliche Verfälschung der Literaturgeschichte wendet: "Wir ehren das Andenken des großen Dichters Franz Kafka und wenden uns gegen den plumpen Versuch, ihn als neoliberalen Globetrotter zu verunglimpfen. Hier ist die uneingeschränkte Solidarität aller Kulturnationen gefordert!" Zu den Erstunterzeichnern dieses Appells gehören neben Günter Grass und Wolfgang Niedecken so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Helmut Markwort, Bruno Ganz, Alice Schwarzer und Helene Hegemaus.
Viel Glück, kann man da nur sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!