Die Wahrheit: Schwabinger Krawall: Selbstjustizirrtum
Dass in seinem Geldbeutel nur noch ein paar Kupfermünzen waren, hat Herr Kellermann erst bemerkt, als vier Feierabendbiere bereits verzehrt waren.
Die Bedienung hat angeboten, er könne bezahlen, wann immer er wolle, schließlich sei er Stammgast; aber Herr Kellermann hat empört entgegnet, er sei nicht irgend so ein dahergelaufener Bankspekulant und werde sich sofort zu einem dieser neumodischen Automaten begeben und mittels seiner Elektrokarte mit Bargeld versorgen.
In der Bank hat er den Zettel mit der Geheimzahl aus dem Geldbeutel gekramt und diese eingetippt, dabei vorschriftsgemäß das Zahlenfeld abgedeckt und sich deshalb, obwohl er die Zahl laut aufgesagt hat, zweimal vertippt. Als der Vorgang endlich beendet war, hat er Karte und Zettel wieder eingesteckt und ist davongewankt, um sich zur Feier des Tages vielleicht ein fünftes Feierabendbier zu gönnen. An der nächsten Straßenecke ist ihm jedoch schlagartig eingefallen, dass er zwar die Karte, nicht aber das Geld aus dem Automaten genommen hat. Sofort ist er zurückgelaufen und hat gerade noch gesehen, wie ein junger Kerl sein Geld eingesteckt hat und sich davonmachen wollte.
Sofort hat er die Verfolgung aufgenommen, zunächst in leichtem Trab, dann, als der Verdächtige ebenfalls zu laufen begonnen hat, immer schneller, die Kaiserstraße hinauf, die Römerstraße hinunter bis zum Nordbad, wo er den Mann endlich eingeholt und der gefragt hat, ob er verrückt sei und was er eigentlich wolle. Er solle nicht so saudumm daherreden, hat Herr Kellermann gebrüllt, sondern ihm auf der Stelle das Geld aushändigen, weil er ein anständiger Mann sei, der, wenn jemand das in Frage stelle, für nichts garantieren könne, außer dass ihm der Kragen platze, und zwar dermaßen, dass man das Echo der Watschn noch in Neuhausen hören und er sich drei Wochen im Kreis drehen werde. Zur Untermauerung hat er so bedrohlich geschaut, dass der Kerl ohne weitere Widerrede aus der Hosentasche vier Fünfzigeuroscheine gezogen hat, die er Herrn Kellermann hingeworfen und sich durch eiliges Davonrennen dem weiteren Verfahren entzogen hat. Zur Feier seines Triumphs über die Schlechtigkeit der Welt hat sich Herr Kellermann mit dem Taxi ins Wirtshaus kutschieren lassen und auf die erstaunte Frage seiner Stammtischbrüder, wo er so lange abgeblieben sei, erwidert, man habe versucht, ihn auszurauben, und sich dabei gewaltig verrechnet.
Als er zwei Tage darauf seinen Kontoauszug abholt, auf dem keine Abhebung verzeichnet ist, und die Dame von der Sparkasse erklärt, nicht entnommenes Geld werde vom Automaten wieder eingezogen und nicht verbucht, läuft Herr Kellermann tiefrot an. Die folgenden Tage stellt er sich abends jeweils zwei Stunden lang mit zweihundert Euro in der Tasche vor die Bankfiliale und wartet vergeblich, denkt sich dann, dies sei möglicherweise ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit, und antwortet am Stammtisch auf die Bitte, er möge doch noch einmal die Geschichte von dem verhinderten Raub erzählen, nur mit einem unwirschen Grummeln.
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