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65 Jahre nach HiroschimaMeditation über die Bombe

65 Jahre ist es her, dass über Hiroschima und Nagasaki Atombomben abgeworfen wurden. Doch auch im neuen Jahrtausend sind die Waffen präsent.

Die Pilzwolke der ersten jemals zu Testzwecken gezündeten Kernwaffe. Die Wasserstoffbombe "Ivy Mike" explodierte am 1. November 1952 auf einer pazifischen Insel. Bild: reuters

Der letzte Abwurf einer Atombombe, seien wir mal ehrlich, ist schon so lange her, der ist doch gar nicht mehr wahr. Diesen Eindruck jedenfalls könnte gewinnen, wem die seit dem Ende des Kalten Krieges schleichende Umwidmung der Atombombe zum Allzweckwerkzeug nicht entgangen ist. Über sie wird gesprochen, als handele es sich um einen Vorschlaghammer - eine feine Sache, solange er nicht in die falschen Hände gerät, die von Kindern oder Terroristen. In den richtigen Händen kundiger und entschlossener Leute aber, so die Erzählung, könnte die Atombombe durchaus eine segensreiche Wirkung entfalten. Für die Menschheit, versteht sich, denn drunter machts ein so gewaltiges Werkzeug nicht.

Es ist auch ein gewaltiger Unterschied, ob man diese Waffe am eigenen Leib erfahren hat, aus sicherer Distanz einen Test miterleben durfte, ihre verheerende Wirkung nur aus Büchern und Filmen kennt - oder, wie ich es bin, mit ihrer unsichtbaren Präsenz aufgewachsen ist. Hinter den sieben Bergen der idyllischen Westpfalz nämlich bunkerten und bunkert noch die USA jahrzehntelang, was sie so für den Nahkampf mit vorrückenden Sowjetpanzern in der norddeutschen Tiefebene alles zum Einsatz zu bringen gedachten.

Paradoxerweise lebt es sich an manchen Orten ganz behaglich im tiefen Schatten dieser Präsenz. In der Pfalz etwa wird nicht die Atombombe gefürchtet - sondern die wirtschaftliche Katastrophe, falls die Waffe zusammen mit der sie einhegenden militärischen Infrastruktur tatsächlich eines Tages verschwinden könnte: Giftgas im verschlafenen Dorf Fischbach bei Pirmasens an der französischen Grenze.

Kampf- und Bombergeschwader auf dem kleinstadtartigen Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Wer in dessen Einflugschneise Kaiserslautern aufwächst, kann irgendwann zwangsläufig eine anfliegende F-15 mühelos von einer F-16 unterscheiden. Unvergessen der eigentümlich lustvolle Grusel, als in all den Jahren ein einziges Mal bei Tageslicht der atlantikgraue taktische Atombomber B-52 über der Stadt einschwebte. Wie ein prähistorisches Tier, ein böses prähistorisches Tier, fähig, alle Historie zu beenden und aus allen vier Triebwerken hell aufheulend unter der Last dieser titanischen Macht.

Eine Macht, die sich ganz nüchtern in Toten oder auch Kilotonnen messen ließe. Zur Illustrierung könnte man von der gewaltigsten jemals von Menschen verursachten Explosion erzählen, der sogenannten Zar-Bombe, die 1961 über der Insel Nowaja Semlja gezündet wurde und deren Kawumm nach Durchwandern der Erdkugel noch auf der entgegengesetzten Seite messbar war, ihre Schockwelle sogar noch nach dreifacher Umrundung des Globus.

taz

Dieser Text stammt aus der aktuellen sonntaz vom 31.7./1.8.2010 - ab Samstag mit der taz am Kiosk oder direkt in ihrem Briefkasten.

Nach der Explosion

Der Termin: Am 6. August des Jahres 1945, also vor 65 Jahren, warfen die Vereinigten Staaten von Amerika die erste Atombombe auf die japanische Stadt Hiroschima, am 9. August die zweite Bombe auf die Stadt Nagasaki. Die Atombombenexplosionen töteten etwa 92.000 Menschen sofort. Weitere 130.000 Menschen starben an Folgeschäden.

Das Problem: Selbst 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges lagern heute weltweit noch immer mindestens 23.000 Atomwaffen. Mindestens 20 davon sind im deutschen Büchel in der Eifel stationiert. Jüngst stellte der Bundestag einen interfraktionellen Antrag, um den endgültigen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland durchzusetzen.

Dürfte man über entfesselte Omnipotenzen nicht in einer allem Wissenschaftlichen entgegengesetzten Sprache sprechen? Eine verblüffende Kohärenz zwischen dem Göttlichen und dem Zerstörerischen findet sich jedenfalls im altindischen Vers-Epos "Bhagavadgita". Darin bittet der Held Arjuna, die wahre Gestalt des Gottes Krischna schauen zu dürfen. Dieser warnt Arjuna, sein Anblick sei Sterblichen unerträglich: "Doch wirst du mich nicht können sehn mit diesem deinem eignen Aug, ein himmlisch Auge geb ich dir - schau mein, des Herren, Wundermacht!"

Arjuna schaut und stammelt: "Wenn das Licht von 1000 Sonnen am Himmel plötzlich bräche hervor zur gleichen Zeit - das wäre gleich dem Glanze dieses Herrlichen … Du leckst und züngelst rings umher, verschlingend die Menschen alle mit den Flammenrachen; die ganze Welt mit ihrem Glanz erfüllend glühen deine fürchterlichen Strahlen, Wischnu!"

Die erste indische Atombombe, mehr als drei Jahrtausende nach diesen Versen gezündet, hieß übrigens "Smiling Buddha". Das mag man zwar für zynisch halten, doch verrät es immerhin mehr Gespür für die Qualität dessen, was man da tut, als lapidare Verniedlichungen wie "Little Boy" (Hiroschima) oder "Fat Man" (Nagasaki).

Vollends verloren gehen nun Sinn, Verstand, der letzte Respekt vor der eigenen Potenz, wenn Kernwaffen, da sie ja nun mal in der Welt sind, "nützlichen" und damit zivilen Zwecken zugeführt werden sollten. Passiert ist das schon. In den USA wie in der Sowjetunion wurde versucht, mit unterirdischen Explosionen besser an Rohstoffvorkommen zu gelangen oder Kavernen zu erzeugen. Pläne gab es, den Kanalbau mithilfe von Wasserstoffbomben zu beschleunigen.

Oder Raumschiffe mit einem lustigen "nuklearen Pulstriebwerk" auszustatten - was bedeutet, sie auf den Druckwellen reihenweise detonierender Wasserstoffbomben durchs All zu jagen. Apropos All: Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde sollen angeblich auch mit Atombomben aus der Bahn gelenkt werden können. Der jüngste Vorschlag aus dem Lager der Machbarkeitsfanatiker lautete, unkontrollierbare Gas- oder Öllecks wie das im Golf von Mexiko mithilfe einer nuklearen Explosion gleichermaßen zu versiegeln. Eine Atombombe, gezündet über einem Ölreservoir unbekannter Größe am Meeresboden? Hey, gute Idee!

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16 Kommentare

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  • A
    Athina

    In diesen Zusammenhang sollte man auch die uranangereicherte Munition erwähnen,die in den aktuellen Kriegen dieser Welt benutzt werden!

    Schade,daß die Taz darüber nicht berichtet.

  • P
    PrinzRoman

    Wieso nur diese Zynik?

  • MZ
    Michel Zahlt

    Das Märchen vom wirtschaftlichen Ende für viele Regionen wird uns schon seit Jahren erzählt. Tatsache ist aber, dass wir Europäer die Amis bezahlen. Natürlich ist auch hier Deutschland mal wieder Zahlmeister Nummer 1. Von dem Geld sieht die Bevölkerung in den betroffenen Regionen nur einen ganz kleinen Teil. Das Geld, das wir den Amis in den Rachen werfen, damit die Europa besetzen und ihre Machtpolitik betreiben, können wir besser in andere Projekte investieren.

    Es wird höchste Zeit, dass die Besatzung Europas, und der ganzen Welt, durch die Amis ein Ende findet.

  • T
    tsaimath

    Nunja, ich denke die meisten Menschen können sich eine solche Detonation nicht richtig vorstellen, da mache ich sicher keine Ausnahme.

    Laut Wikipedia entspricht eine kT etwa 4,184 *10^12 Joule.

    Die hier erwähnte Zar-Bombe hatte laut Wikipedia 50 Megatonnen

     

    also 50.000 Kilotonnen

    also 2,092*10^17 Joule = 209.200 Tera-Joule

    Zum Vergleich: Die Stadt Berlin hat nach offiziellen Zahlen im Jahr 2006 einen Endenergieverbrauch von ~260.000 Tera-Joule gehabt.

     

    Diese Bombe hat also in unter einer Minute fast soviel Energie freigesetzt wie in Berlin in einem ganzen Jahr verbraucht wird.

     

    Oder man könnte 91.851.071 Jahre Sex ...

    Womit wir wieder bei "Make love, not war" wären

  • U
    upupintothebluesky

    Artikel Zitat:

     

    Unvergessen der eigentümlich lustvolle Grusel, als in all den Jahren ein einziges Mal bei Tageslicht der atlantikgraue taktische Atombomber B-52 über der Stadt einschwebte. Wie ein prähistorisches Tier, ein böses prähistorisches Tier, fähig, alle Historie zu beenden und "AUS ALLEN VIER TRIEBWERKEN" hell aufheulend unter der Last dieser titanischen Macht.

     

    Zitat Ende

     

    Die B52 hat ACHT Triebwerke (Doppeltriebwerke)!

    Aber das nur nebenbei.

  • G
    grossesbadaboom

    Ich verstehe zwar nicht genau den Sinn dieses Artikels aber da hat der Autor noch vergessen Mad Max und die damit entstandene Endzeitromantik zu erwähnen, die sich über die Jahre in allerlei Köpfen breitgemacht hat, ganz allein um zu verdrängen das so ein kleines bisschen Atomkrieg wohl das Ende und nicht eine verschroben Punkige Welt darstellen würde.

     

    Ich jedenfalls fand den Artikel toll.

    Hab ich gern gelesen.

  • E
    einer

    Sorry, aber die Bildunterschrift ist megapeinlich.

    Die erste "jemals zu Testzwecken gezündeten Kernwaffe" hieß "The Gadget", wurde am 16. Juli 1945 im Rahmen des "Trinity-Test" im Jornada del Muerto, New Mexico gezündet und war natürlich keine Wasserstoffbombe.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Trinity-Test

     

    "Ivy Mike", gut sieben Jahre später, war der erste Test einer _thermo_nuklearen aka Fusions- aka Wasserstoffbombe.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ivy_Mike

  • WZ
    Wolfgang Ziller

    Aktiv für die Abschaffung aller Atomwaffen, hier:

     

    http://friedensmarsch-fuer-hiroshima.de/

  • H
    hto

    Wenn die Menschen dieser Welt- und "Werteordnung", auf dem Weg der Macht der Straße, den im Zeitgeist nun "freiheitlichen" Wettbewerb die Macht des "gesunden" Konkurrenzdenkens und Handelns ablaufen würden, und dabei WAHRHAFTIGE Kommunikation fusionieren, dann würde der Bombe sicher bald kein Gedanke mehr für irgendwie entartete Meditation dienen - geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein, mit allen daraus MENSCHENWÜRDIG resultierenden Konsequenzen / Möglichkeiten, ANSTATT: konfusionierte Interessen-Gemeinschaften in GLEICHERMAßEN unverarbeiteter / MANIPULIERBARER Bewußtseinsschwäche von Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein" auf Sündenbocksuche!?

  • U
    ulschmitz

    die bildunterschrift ist falsch: zu TESTzwecken wurde eine A-bombe (Fission) (keine H-Bombe (Fusion) wie 1952) schon 1945 VOR den beiden A-bomben auf Hiroshima (Uran-Bombe)und Nagasaki (Plutonium-Bombe)gezündet - in den USA (Alamogordo?).

  • HP
    Harold Pinter

    Lest meine Rede zum Nobelpreis! Eines Tages werden wir diese Atombombenabwuerfe in eine Reihe stellen mit den KZs.

  • P
    pekerst

    "65 Jahre ist es her, dass über Hiroschima und Nagasaki Atombomben abgeworfen wurden. Doch auch im neuen Jahrtausend sind die Waffen präsent." Falsch, denn über Hiroschima und Nagasaki wurde eine Atombombe abgeworfen. Und diese heißt nicht "Waffen", sondern Waffe.

  • I
    Irrlicht

    Einverstanden: Kernexplosionen auf der Erde sind pfui, aber was bitte spricht gegen einen Thermonuklearen Raumantrieb nach dem Orion Konzept(http://de.wikipedia.org/wiki/Orion-Projekt)?

     

    Gut, der Brennstoff müsste risikobehaftet in die Umlaufbahn geschossen werden, aber das erübrigt sich, wenn man das Uran z.B. auf dem Mond gewinnt. Klingt irre, aber ohne Mondbasis könnte man eh kein so großes Raumschiff bauen. . . insofern ist das:

     

    A) noch ganz ganz weit weg.

    B) kein Problem wenn man es so macht.

     

    Nach gegenwärtigen Stand des Wissens ist ein nuklearer Antrieb nach Art von Orion die einzige Möglichkeit überhaupt das nächste Sonnensystem in halbwegs akzeptabler Zeit (sprich einigen Jahrzehnten) zu erreichen. Ich würde es deshalb nicht so einfach in die Tonne treten.

  • L
    Leser

    Warum die Aufregung zu dem Vorschlag, ist doch alles schon dagewesen. M.W. sind in der UDSSR mehrfach havarierte Bohrlöcher durch Nuklearsprengung angegangen worden.

    Besonders erschreckend ist, dass es immer noch A. Waffen in Deutschland gibt. In Büchel sogar nachgewiesenermassen. Wofür bezahlen wir Politiker, die uns das Teufelszeug vom Hals schaffen sollten.

    Ist wahrscheinlich dasselbe wie mit den Guantanamo Leuten. Warum sich das Problem teuer in die USA holen, wenn es Volldeppen gibt, bei denen man alles abladen kann.

  • V
    vic

    Was gerne vergessen, aber ungern thematisiert wird: Die Bundeswehr fliegt die nützlichen Atombomben zu Übungszwecken gelegentlich über unseren Köpfen spazieren.

    Für alle die das beenden wollen, hier noch ein Link:

    http://www.atomwaffenfrei.de/

    Das Wichtigste aber bleibt, die Parteien NICHT zu wählen, die den vollständigen Abzug nicht gewährleisten. Davon gibt`s nicht viele...

  • N
    NikN

    Die Boing B-52 ist ein strategischer, kein taktischer Bomber. Bombardiert also Infrastruktur und so und keine vorrückenden Truppen. Dies tun die in der Pfalz stationierten _strategischen_ Atombomben auch nicht, die sind für Industriegebiete gedacht.

     

    Die taktischen Atomwaffen, um u.a. die Fula Gap zu schließen, waren fest vor Ort und nicht in Rammstein. Ob das in Norddeutschland genauso war, weiß ich nicht, aber vieles spricht dafür.

     

    Ein Aufwachsen in der Nähe von Rammstein scheint vielleicht zu befähigen, F-15 und F-16 unterscheiden zu können, Militärhistoriker und -theoretiker wird man damit aber anscheinend nicht automatisch.

     

    Die Kernaussage des Artikels, dass Atomwaffen unabhängig vom Besitzer gefährlich sind, stimmt natürlich.