Debatte Menschenrechte: Die WTO ist keine Lösung
Bisher haben vor allem die Industriestaaten das Recht auf sauberes Wasser, Nahrung und Gesundheit untergraben. Gegen sie helfen nur die UN - und die NGOs.
W ie lassen sich das Recht auf Wasser, Nahrung, Gesundheit und die anderen im UNO-Sozialpakt von 1966 für alle BewohnerInnen dieser Erde garantierten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK) institutionell besser durchsetzen? Nur durch eine "menschenrechtlich reformierte Welthandelsorganisation" (WTO), schreibt Felix Ekart in seinem taz-Debattenbeitrag vom 10. August. Das sei "die einzige realistische Möglichkeit, um Institutionen zu entwickeln, die für eine dringend benötigte globale Umwelt- und Sozialpolitik unabdingbar sind". Ich halte diesen Vorschlag für wenig überzeugend. Die von Ekart vorgenommene Analyse geht von falschen Voraussetzungen aus.
Die Demokratien sind schuld
Dass die WSK-Rechte auch nach 34 Jahren immer noch "durchsetzungsschwächer" (Ekart) sind als die zum selben Zeitpunkt verabschiedeten bürgerlichen und politischen Menschenrechte, haben im Wesentlichen die reichen Industriestaaten des Nordens (USA, Australien, Neuseeland, Japan und Westeuropa) zu verantworten. Ihr Wille, die WSK-Rechte jenseits ihrer Grenzen durchzusetzen, ist leider nicht stärker als der von "Halbdemokratien und Diktaturen" (Ekart).
Andreas Zumach ist UNO-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf. Zuletzt veröffentlichte er: "Die kommenden Kriege - Präventivkrieg als Dauerzustand?" bei Kiepenheuer und Witsch.
Die Industriestaaten gründeten Anfang der 90er Jahre unter Führung der damals stärksten Wirtschaftsmächte - USA, EU, Japan und Kanada - die WTO. Ihr einziges Ziel: Sie wollten mithilfe einer "Liberalisierung" des Welthandels einen Zugang zu den Märkten anderer Länder bekommen, um so ihre Industriewaren und Dienstleistungen absetzen zu können.
Diese Öffnung der Märkte hat in fast allen beteiligten Ländern für breite Bevölkerungsschichten zu einer Verschlechterung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen geführt ebenso wie zu vermehrten ökologischen Schäden. Das gilt insbesonders, wenn die "Liberalisierung" einherging mit der Privatisierung der Wasserversorgung, des Gesundheitssystems oder anderer Bereiche ehemals öffentlicher Daseinsfürsorge.
Einige WTO-Mitgliedsstaaten aus Afrika, Asien und Lateinamerika sowie zahlreiche NGOs aus Nord und Süd engagieren sich daher von Anfang an für die von Ekart geforderten "starken Klima-, Umwelt- und Sozialstandards in der WTO". Völlig vergeblich. Selbst einer 97-Prozent Mehrheit der WTO-Mitgliedsstaaten gelang es bisher nicht, wenigstens für die vielen Millionen Aids-Kranken in den armen Staaten Afrikas und Asiens das Recht auf Zugang zu erschwinglichen Medikamenten durchzusetzen. Denn die Regierungen der vier WTO-Staaten mit den weltgrößten Pharmakonzernen - die USA, Deutschland, Japan und die Schweiz - blockierten Ausnahmen von den Patentrechten dieser Konzerne.
Wen interessiert die Umwelt?
Auch dass die WTO "wenigstens überhaupt über funktionierende Institutionen verfügt' (Ekart) - gemeint sind die Panels und Schiedsgerichte für Dispute zwischen Mitgliedsstaaten - bietet keine Basis für eine künftig andere, also menschenrechtsfreundliche Politik. Bei über 95 Prozent aller Klagen, die bislang von diesen Institutionen verhandelt wurden, ging es um klassische Verstöße gegen bestehende WTO-Freihandelsabkommen.
In weniger als fünf Prozent hatte die beklagte Partei Einschränkungen des Freihandels mit Umwelt-, Gesundheits- oder Artenschutzargumenten begründet. Dies wurde in allen Fällen von den WTO-Gerichten verworfen. Die Verletzung oder Gefährdung von Sozialstandards, das Recht auf Nahrung und Wasser oder anderer Menschenrechte waren gar noch nie Gegenstand von Verhandlungen. Zudem können Einzelpersonen oder Gruppen, die sich in ihren Rechten verletzt sehen, aber keine Unterstützung bei der Regierung oder den Gerichten ihres Landes finden, nicht mit Klagen oder Beschwerden an die WTO wenden.
In dieser Hinsicht bieten die UNO oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon heute mehr institutionelle Möglichkeiten als die WTO. Sobald Deutschland und andere Staaten endlich das seit zwei Jahren vorliegende Zusatzprotokoll zum Sozialpakt ratifizieren, kann dieses in Kraft treten - im besten Fall schon Anfang 2011. Dann können auch Einzelpersonen vor den Menschenrechtsinstitutionen der UNO ihr Recht auf Nahrung oder sauberes Wasser einklagen.
Verfassungsgerichte plus NGOs
Im Unterschied zur WTO - die nicht Teil des UNO-Systems ist - sind sämtliche Institutionen, Sonderprogramme und Spezialorganisationen der UNO an die zahlreichen Verträge, Normen und Standards in den Bereichen Menschenrechte, Soziales sowie Umwelt- und Gesundheitsschutz gebunden, die seit 1945 von allen oder zumindest fast allen Mitgliedsstaaten unterschrieben und ratifiziert wurden. Damit liegt ausreichend Material vor für eine "umwelt- und sozialpolitische Flankierung des Freihandels" (Ekart). Es ist überhaupt nicht erforderlich, dass die Staaten innerhalb der WTO jetzt mit großem Aufwand erneut Standards aushandeln, auf die sie sich längst völkerrechtlich verbindlich verpflichtet haben.
Die Frage ist doch: Warum verstoßen die Regierungen systematisch gegen all die internationalen Verträge, sobald sie im Rahmen der WTO miteinander verhandeln und Freihandelsabkommen schließen? Warum geben sie letzterem Abkommen im Konfliktfall immer den Vorrang vor anderen internationalen Verträgen? Ändern wird sich das nur durch starken Druck von NGOs - in Demokratien ebenso wie in Halbdemokratien und Diktaturen. Auf das "Weltmenschenrechtsgericht" (Ekart), das "der internationalen Politik Schranken setzt" möchte ich nicht warten.
Trotz aller Globalisierung ist jede "internationale Politik" immer noch im Wesentlichen Ergebnis einer bestimmten Konstellation nationalstaatlicher Interessen und Entscheidungen. Und wenn das "Recht auf Wasser längst in rechtlich bindenden Menschenrechtserklärungen enthalten ist" (Ekart), dann ist es automatisch auch Bestandteil des nationalen Rechts der Unterzeichnerstaaten. Also könnten und sollten selbstverständlich auch nationale (Verfassungs-)Gerichte diesem und anderen existenziellen Menschenrechten zur Durchsetzung verhelfen. Bislang hat allerdings noch nirgendwo jemand geklagt.
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