Auffanggesellschaft für die Treberhilfe: Neue Chance für den sozialen Markt
Nach der Maserati-Affäre schien die Treberhilfe vor dem Aus zu stehen, für Mitarbeiter und Klienten wurde die "Neue Chance" als Auffanggesellschaft gegründet. Doch die Ermittlungen dauern.
Die Schilder fehlen noch. Ortsunkundige finden weder auf den Messingtafeln an der Toreinfahrt noch im Fahrstuhl des Hinterhauses einen Hinweis auf die "Neue Chance". "Das mit den Schildern haben wir noch nicht geschafft", entschuldigt sich Sozialarbeiter Stefan Dornbach. Er hat mit seinen Kollegen vor drei Monaten die Räume in Neukölln bezogen. Ihre Klienten haben den Weg trotzdem gefunden: Eine hochschwangere junge Frau wartet auf dem Sofa am Eingang, durch die Glastür eines Büros sind Dornbachs Kollegen mit Klienten im Gespräch zu sehen.
Die Neue Chance ist eine Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene, die obdachlos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die Diakonie hat die gemeinnützige Gesellschaft aber nicht nur gegründet, um Bedürftigen bei Wohnungsproblemen zu helfen. Sie sollte auch eine Auffanggesellschaft für Mitarbeiter der skandalgebeutelten Treberhilfe werden. Seit deren damaliger Chef Harald Ehlert im Februar mit einem Maserati als Dienstwagen und einem angeblichen Jahresgehalt von mehr als 300.000 Euro in die Schlagzeilen geraten war, ist die Zukunft des Sozialträgers ungewiss. Staatsanwaltschaft, Finanzbehörden und eine Kommission aus Senatsverwaltung für Soziales und sozialen Trägern ermitteln seit Monaten gegen die Obdachlosenhilfe (siehe Kasten).
Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit März gegen die Treberhilfe wegen des Anfangsverdachts der Untreue. Der Exchef Harald Ehlert soll öffentliche Gelder zweckentfremdet haben.
Ebenfalls seit März prüfen die Finanzbehörden, ob der Gesellschaft die Gemeinnützigkeit entzogen wird. Eine gemeinnützige GmbH (gGmbH) darf im Unterschied zu einer normalen GmbH zwar Gewinne erzielen, diese aber nicht ausschütten, sondern muss sie für gemeinnützige Zwecke verwenden. Dafür muss sie keine oder nur geringe Steuerabgaben zahlen.
Sollte die Treberhilfe die Gemeinnützigkeit verlieren, müsste sie die Steuern der vergangenen Jahre nachzahlen.
Seit Mai führt die "Kommission 75" aus Vertretern der Senatsverwaltung für Soziales und sozialen Verbänden eine "Tiefenprüfung" der Treberhilfe durch. Diese geht einer anonymen Anzeige wegen Qualitätsmängeln nach. Die Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen. Sollte die Prüfung ergeben, dass öffentliche Mittel nicht ordnungsgemäß verwendet wurden, könnte die Kommission die Empfehlung aussprechen, dass die Treberhilfe keine öffentlichen Zuwendungen mehr erhält. Im Jahr 2009 sind mehr als 6 Millionen Euro öffentliche Gelder an die Treberhilfe geflossen. (kaf)
Die Ermittlungen der Finanzbehörden sind für die Zukunft der Treberhilfe die wichtigsten. Die Beamten überprüfen, ob die Treberhilfe ihre Gemeinnützigkeit verliert. "Wir rechnen fest damit, dass dies passiert", sagt Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke). Der Entzug der Gemeinnützigkeit würde für die Treberhilfe eine immense Nachzahlung von Steuern mit sich bringen, was zur Insolvenz führen dürfte. Nachdem Kenner der Branche bereits im Frühjahr der Treberhilfe die Pleite prophezeit hatten und zudem bekannt geworden war, dass diese Mieten und Gehälter zu spät zahlt, gründete die Diakonie im Mai die Auffanggesellschaft Neue Chance. Sie sollte Klienten und Mitarbeiter im Falle einer Insolvenz auffangen.
"Es war klar, dass diese Untersuchung sich ewig hinziehen und erstmal nichts passieren wird", sagt Stefan Dornbach. Der 37-Jährige hat anderthalb Jahre bei der Treberhilfe gearbeitet, bevor er mit den neun Kollegen des Wohnprojekts Neukölln beschloss, sich bei der Neuen Chance zu bewerben. "Das interne Klima bei der Treberhilfe war so schlecht und die Zukunft so ungewiss, dass wir dort wegwollten", erklärt er. Zwei weitere Teams aus Mitte und Hellersdorf folgten. Derzeit beschäftigt die Neue Chance 28 Mitarbeiter. Im Oktober werden weitere 24 ehemalige Treberhilfe-Mitarbeiter ihren Dienst antreten.
Doch nicht nur Dornbach und seine Kollegen verließen die Obdachlosenhilfe: Etwa die Hälfte ihrer Klienten folgte ihnen. Wie Katharina Schiller*, eine kräftige 22-Jährige mit kahl rasiertem Kopf und Kapuzenpulli. "Ich hatte keinen Bock, meinen ganzen Lebenslauf wieder einem neuen zu erzählen. Den Stefan kenn ich jetzt gut", erzählt sie. Seit über einem Jahr kommt die junge Frau einmal pro Woche zu Dornbach. Zuerst ging es darum, eine Wohnung für sie zu finden, da sie noch bei ihrer Mutter lebte und es dort dauernd Streit gab. Jetzt verwaltet die Neue Chance ihr Arbeitslosengeld II, da sie nicht mit Geld umgehen kann.
An diesem Tag geht es um die Weiterbildung, zu der das Jobcenter sie geschickt hat. "Ich kann zu der Maßnahme nicht hingehen. Ich soll da Mathe und Deutsch machen, aber ich will mit den Händen arbeiten", beschwert sie sich. Dornbach und sie vereinbaren, dass sie nächste Woche mit dem Fallmanager vom Jobcenter sprechen werden. Finanziert wird die Betreuung Katharina Schillers durch das Sozialamt, die Betreuung von Jugendlichen zahlt das Jugendamt. Zu welchem Träger sie gehen, entscheiden die Klienten selbst. Mehr als 2 Milliarden Euro öffentliche Gelder fließen in Berlin jährlich an gemeinnützige soziale Träger.
Acht Klienten betreut Dornbach derzeit: Er sucht Wohnungen für sie, macht Hausbesuche und hilft ihnen mit Anträgen, etwa für Arbeitslosengeld II. Zwei Klienten könnte er noch aufnehmen, ausgelastet sind die Kapazitäten der Neuköllner Einrichtung nicht. Dornbach macht die gleiche Arbeit wie zuvor bei der Treberhilfe, aber jetzt werde er unabhängig von der Zahl der Klienten bezahlt. "Es herrschte dort immer Druck, dass du genug Klienten bekommst", erzählt der Sozialarbeiter.
Laut anderen ehemaligen Mitarbeitern, die anonym bleiben wollen, funktionierte das Treberhilfe-System so: Die Sozialarbeiter hätten nur Arbeitsverträge für eine 50-Prozent-Stelle bekommen. Ob diese monatlich auf 75 oder 100 Prozent aufgestockt wurden, sei davon abhängig gewesen, wie viele Klienten in die Beratungsstellen kamen. Nur wenn diese zu 100 Prozent ausgelastet waren, seien die Mitarbeiter auch zu 100 Prozent bezahlt worden. Das Geschäftsrisiko hätten damit die Mitarbeiter getragen - und durch einen Jahresurlaub von gerade mal 20 Tagen habe Ehlert kräftig an seinen Mitarbeitern verdient.
"Alle Mitarbeiter wussten, dass Ehlert es sich gut gehen lässt. Ich kannte das von meinen früheren Arbeitgebern und fand es eher sympathisch, dass Ehlert damit offen umging", erzählt Dornbach. Die Medienberichte über Ehlerts luxuriösen Lebensstil hätten zwar alle geschockt, aber selbst nach der Maserati-Affäre hätten die meisten Mitarbeiter noch hinter ihrem Chef gestanden. "Aber dann wurde mit uns nicht offen umgegangen", so Dornbach. "Der neue und ständig wechselnde Aufsichtsrat war nur ein Kasperletheater: Ehlert zog nach vor die Strippen."
Daran scheint sich nichts geändert zu haben. "Dort ist keine Spur von einem Neuanfang, das läuft alles wie bisher", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der noch bis vor wenigen Wochen bei der Treberhilfe gearbeitet hat. Ehlert ist zwar seit Monaten kein Geschäftsführer mehr, aber, anders als angekündigt, hat er seinen 50-prozentigen Anteil an der Gesellschaft nicht verkauft. Die Aufsichtsratsmitglieder und Geschäftsführer haben ständig gewechselt, nach etlichen Kündigungen und Rauswürfen führt derzeit der als Ehlert-Getreue bekannte Frank Biskup die Geschäfte.
60 der ursprünglich 280 Mitarbeiter haben seit dem Skandal die Treberhilfe verlassen, 52 davon arbeiten nun für Neue Chance. "Mit diesen Sozialarbeitern, allesamt weiterqualifiziert durch die Treberhilfe Berlin, scheint die Neue Chance nun auf den Markt drängen zu wollen", kritisiert Juliane Friese, Sprecherin der Treberhilfe. Der Geschäftsführer der Neuen Chance, Rainer Krebs, möchte seine Gesellschaft indes nicht als Mitarbeiter abwerbende Konkurrenz verstanden wissen: "Das waren die persönlichen Entscheidungen einzelner Mitarbeiter."
Die Diakonie hat ihre Anteile an der Neuen Chance zum 1. September dem sozialen Träger Gebewo übertragen. "Die Gefahr der Insolvenz besteht derzeit nicht, und wir als Dachverband dürfen nicht auf Dauer soziale Dienste anbieten. Das ist die Aufgabe unserer Mitglieder", erklärte Diakoniechef Thomas Dane. Treberhilfe-Sprecherin Friese findet das Argument scheinheilig: Die Treberhilfe sei wirtschaftlich nie in Gefahr gewesen.
Bei der Obdachlosenhilfe selbst scheint sich seit dem Skandal außer der Kündigung von Mitarbeitern und dem Verlust einiger Klienten kaum etwas verändert zu haben. Und in der sozialen Landschaft Berlins? "Der Skandal hat einen erheblichen Vertrauensverlust im politischen Umfeld nach sich gezogen", sagt Dane. Sozialsenatorin Bluhm hat im Juli im Bundesrat eine Gesetzesinitiative eingebracht: Soziale Träger sollen schon vor Abschluss von Verträgen mit öffentlichen Stellen zur weitgehenden Offenlegung ihrer betriebswirtschaftlichen Daten gezwungen werden. Der Vorschlag liegt nun in den Ausschüssen des Bundesrats.
Die zweite Konsequenz der Senatsverwaltung besteht in der Einführung eines Verhaltenskodex für soziale Träger. Auf freiwilliger Basis sollen sie die Öffentlichkeit mittels einer Datenbank ab Januar über ihre Leistungen und finanziellen sowie personellen Strukturen informieren. Dafür erhalten sie ein Transparenzsiegel. "Wir gehen davon aus, dass gerade nach dem Treberhilfe-Skandal die meisten mitmachen, um das Vertrauen zurückzugewinnen", ist die Sozialsenatorin sicher.
Das bleibt abzuwarten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte im Zuge des Treberhilfe-Skandals im Juli eine Umfrage bei sozialen Trägern zu Geschäftsführergehältern in Auftrag gegeben. Von den befragten 650 Berliner Mitgliedsorganisationen wollte weniger als die Hälfte diese Daten offenlegen.
*Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Habecks Bewerbungsvideo
Kanzler-Era
Trumps Wahlsieg und Minderheiten
So wie der Rest