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SozialabbauProtest legt Innenstadt lahm

Mit einer Menschenkette haben Gewerkschaften und Sozialverbände gegen die Politik des Senats protestiert. Sie fordern die Umverteilung des Reichtums der Stadt.

Verbrennen die Elbphilharmonie-Millionen: Teilnehmer der Menschenkette. Bild: dpa

Martin Luther hat es vorgemacht, als er 1517 die Thesen zur Reform der katholischen Kirche in Wittenberg an die Kirchentür nagelte und eine neue Epoche einleitete. Hamburgs Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose ist zwar kein Geistlicher, sondern Gewerkschafter, dennoch versucht er, Hamburgs Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) zum Politikwechsel zu bewegen, indem er Forderungen an die Behördentür hämmert. "Die Regenten stellen sich taub, obwohl ihnen kluge Alternativen zum schwarz-grünen Sozial- und Kulturabbau vorgetragen werden", sagt Rose. "Wir nageln unsere Forderungen an die Tür, damit der ignorante Herr Frigge die Alternativen wenigstens nachlesen kann", sagt Rose. Er fordert: Der Reichtum Hamburgs müsse endlich von oben nach unten umverteilt werden.

Kurz zuvor hatte sich eine Menschenkette mit mehr als 10.000 Teilnehmern zwischen der Finanzbehörde und der Elbphilharmonie geschlossen, zu der Gewerkschaften und Sozialverbände gegen die sozial ungerechte Sparpolitik des Senats aufgerufen hatten. Kirchenglocken hatten um kurz vor 17 Uhr das Signal zum Start gegeben: Trotzdem brauchten die Demonstranten 15 Minuten, bevor sie sich vom Fußweg mit dem Transparent "Ver.di sagt: Gute Arbeit braucht gute Bedingungen" auf den Jungfernstieg trauten. Doch dann hallte es eineinhalb Stunden lang: "Aufrund einer Menschenkette ist der gesamte Innenstadtbereich von der Polizei gesperrt."

La-Ola-Wellen sorgten für Stimmung zur Parole: "Die Stadt sind wir". Die Menschenkette folge "symbolisch der Spur der Geldverschwendung in Hamburg", sagt DGB-Chef Uwe Grund. "Wegen Fehlplanungen und großmannssüchtiger Leuchtturmprojekte werden in dieser Stadt bedenkenlos Millionen verschleudert", schimpft Grund. Dagegen solle der harte Sparkurs bei den Ausgaben für Familien, Kinderbetreuung, Arbeitsmarktpolitik und bei den Maßnahmen gegen die fortschreitende soziale Spaltung der Stadt rücksichtslos durchgedrückt werden. "Dieser Senat legt Hand an die Zukunftsfähigkeit der Hansestadt, der DGB sagt: Gerecht geht anders!", sagte Grund.

Zu den Forderungen, die an die Tür des Finanzsenators geschlagen wurden, gehörten: höhere Spitzensteuern, Armut bekämpfen, Mindestlohn schaffen, Kita-Gebührenerhöhung und Studiengebühren zurücknehmen, Chancengleichheit für behinderte Menschen, qualifiziertes Pflegepersonal finanzieren, gesetzliche Krankenversicherung für alle ohne Zusatzbeiträge, kulturelle Teilhabe für alle, im Bundesrat eine Vermögensteuer beantragen. Scharf griff Rose Finanzsenator Frigge an: "Er ist auf einem Auge blind, sonst wüsste er, dass es in seiner Kasse kein Ausgabenproblem gibt, sondern ein Einnahmeloch." Wenn der Senat jetzt zugebe, dass jeder Steuerprüfer eine Million Euro einbringe, dann müsse er daraus die richtige Schlussfolgerung ziehen und in der reichsten Stadt Deutschlands nicht wie geplant sechs, sondern 200 neue Steuerfahnder einstellen

Mit der Kampagne "Gerecht geht anders" wollen die Gewerkschaften gemeinsam mit dem Netzwerk Attac und den Sozialverbänden in den nächsten Monaten mit vielfältigen Aktionen und Forderungen zeigen, dass der Reichtum in Hamburg ungerecht verteilt wird - und dass genug Geld für alle da sei.

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1 Kommentar

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  • DS
    Doro Sand

    Kritik geht anders!

     

    Die ver.di-Aktion "Gerecht geht anders!" wird immer mehr zu einer fragwürdigen populistischen Kampagne. Hinter platten Slogans wie "Skandal im Sparbezirk" und der "Bild"-Zeitung entnommenen reaktionären Gerechtigkeitsidealen wie der Forderungen nach "mehr Steuerprüfern", versteckt die Gewerkschaft die offenkundigen Widersprüche eines beschränkten Tradeunionismus, der nur so tut, als würde er sich auf das Feld der Gesellschaftspolitik wagen, dann aber doch nur Prozente fordert und den anderen die Definitionsmacht überlässt.

     

    Was gesagt und was verschwiegen wird

     

    Die von ver.di organisierte "Menschenkette" hatte "20 Streckenposten", für die „Sozialverbände“ thematische Patenschaften übernommen haben: "So dreht sich am Streckenposten vor der Finanzbehörde am Gänsemarkt natürlich alles um die Steuerungerechtigkeit, die durch mehr Steuerprüfer [das ist O-Ton „Bild“-Zeitung!] und die Wiedereinführung der Vermögensteuer beseitigt werden könnte." Die Abschnitte sechs und sieben widmen sich der "Privatisierung öffentlicher Unternehmen", die eine "Volksinitiative Die Stadt gehört uns" angeblich verhindern möchte. Tatsache ist jedoch, dass ver.di die Rekommunalisierung der Berliner Wasserwerke nicht unterstützt, weil man für die Belegschaft im Zuge der Privatisierung eine Beschäftigungsgarantie bis 2020 ausgehandelt hat.

     

    Der Slogan "Gerecht geht anders" ist eben Forderung und Angebot zur konstruktiven Mitgestaltung zugleich. Ob die „Privatisierung öffentlicher Unternehmen“ kritikwürdig ist, kommt im konkreten Fall ganz darauf an. Ganz besonders gilt dies für die der Privatisierung öffentlicher Räume. Wenn die von einem „diakonischen“ Unternehmen betrieben wird, in dem ver.di gerne einen Fuß in der Tür hätte, hört man von der Gewerkschaft – trotz Aufforderung! – kein Wort dazu. Die Privatisierung der Freifläche Sparbierplatz durch das „Diakonieklinikum“ ist bei ver.di ein Tabuthema.

     

    Auch die richtige Forderung nach einer "Rekommunalisierung von Dienstleistungen" trägt bei ver.di nicht weit, weil man dann auch "die Diakonie" ins Visier nehmen müsste, die sich seit Jahrzehnten immer mehr kommunale Dienstleistungen einverleibt. Zuletzt war es in Hamburg – mit Hilfe von Dietrich Wersich - die komplette kommunale Drogenberatung. Eine "Rekommunalisierung von Dienstleistungen" wäre das Ende "der Diakonie", mit der ver.di doch gerade erst ins Geschäft kommen will.